Flucht aus dem Gruselkabinett der Royals
Am Freitag feierte Pablo Larra´ıns „Spencer“in Venedig Premiere: ein Drama, das sich ins Seelenleben von Lady Di hineinfantasiert. In der Hauptrolle: „Twilight“-Star Kristen Stewart. Auch das Sci-Fi-Epos „Dune“debütierte am Lido.
Was folgt, sei eine „Fabel von einer wahren Tragödie“: Mit dieser Einblendung beginnt das Lady-Diana-Porträt „Spencer“. Nein, als Tatsachenbericht will sich dieser wunderliche Film, der am Freitag beim Filmfest von Venedig Premiere feierte, auf keinen Fall verstanden wissen. Nicht mit den Royals im Nacken, die ihr hochwohlgeborenes Image in großen Ehren halten. Schon die beliebte Netflix–Serie „The Crown“erntete einen Schuss vor den Bug, als ihre vierte Staffel sich des Gerüchtegewuchers rund um die Princess of Wales annahm: Man solle doch bitte vor jeder Folge kennzeichnen, dass es sich dabei um Fiktion handle, hieß es 2020 seitens des britischen Kulturministers.
Gegen solche Anfechtungen hat sich „Spencer“leidlich abgesichert. Im Regiestatement auf der Venedig-Homepage betont Regisseur Pablo Larra´ın den imaginären Charakter des Films. Ein „Dokudrama“habe er angesichts seines mangelnden Einblicks hinter die Kulissen des Diana-Komplexes nicht drehen wollen, vielmehr ein „umgekehrtes Märchen“auf Recherchebasis – umgekehrt, weil sich die Prinzessin darin gegen den Aufstieg zur Königin sperrt. Und obwohl „Spencer“nie wirklich märchenhaft wirkt, bleibt der Film stets entrückt genug, um seine Vision eines Weihnachtsabends auf dem königlichen Landsitz Sandringham dem Gefilde der Kunstfreiheit zuzurechnen.
„Shining“-Stimmung im Adelsschloss
Eine Schar Militärs lädt hier eingangs wichtiges Frachtgut ab: Die Zutaten des feierlichen Abendessens. Sogleich wird sie von einer streng geführten Kochkolonne abgelöst. Diana düst derweil im Cabrio herbei, verfährt und verspätet sich – vielleicht, weil sie in Wahrheit gar nicht kommen will. Kristen Stewart gibt die Kronprinzessin innerlich zerrissen und auf nervöse Weise aufmüpfig. Hastig japst sie ihre Sätze, als stünde sie kurz vor dem Kreislaufkollaps. Nicht, dass es viel zu reden gäbe: Von Anfang an scheint Diana einsam und allein im Anwesen zu sein. Wie vom Rest der Königsfamilie (und von ihrem fremdelnden Ehemann, Charles) abgeschnitten, driftet sie durch das ausgedehnte Gelände, ein Gespenst auf der Suche nach Erlösung.
Punktuell führen ihre Irrungen zu pointierten Begegnungen und Gesprächen. Mit ihren Söhnen, mit der Queen, mit Angestellten (gespielt von Mike-Leigh-Stammdarstellern wie Sally Hawkins und Timothy Spall). Und mit Anne Boleyn, in deren bitterem Schicksal sie ihr eigenes vorgezeichnet wähnt. Spukt es etwa in diesem Adelsschloss? Das wohl nicht. Doch die traumartige Gruselaura ist gewollt.
Der chilenische Kunstfilmer Larra´ın, der sich vor allem mit seinem Jackie-KennedyDrama „Jackie“für „Spencer“empfohlen hat, klaut clever bei Kubrick, spritzt zitzerlweise „Shining“-Stimmung ins Geschehen: Stück für Stück verschwimmen Sein und Schein, eine delirierende Diana wankt im Würgegriff des Weitwinkelobjektivs durch endlose Korridore. Sandringham als unheimliches Zwischenreich: große Zimmer, hohe Decken, tote Luft. Ein ausgeblichener Seidenschleier hängt über den Bildern der französischen Kamerafrau Claire Mathon.
Es sind nicht böse Royals, die Diana hier zugrunde richten, auch nicht rücksichtslose Paparazzi – sie kommen alle relativ glimpflich davon. Vielmehr ist es die Last der Tradition, die die Seele der Volksprinzessin mit dumpfem Prunk und steifer Etikette zu erdrücken droht. Bis diese sich frei tanzt: Larra´ın setzt auf ein hoffnungsvolles Ende, den Tatsachen zum Trotz. Ob er Dianas Andenken mit seiner spekulativen Gefühlsstudie einen Gefallen tut, sei dahingestellt: Die royale Renegatin wirkt hier weniger wie eine starke Frau, die ihren eigenen Weg geht – und eher wie eine trotzige Teenagerin, die aus ihrem strengen Elternhaus ausbüxt. Auch in Denis Villeneuves „Dune“spielt dynastischer Druck eine wesentliche Rolle. Das von vielen heiß erwartete, seit Pandemiebeginn auf dem Hollywood-Abstellgleis geparkte Sci-Fi-Epos debütierte am Lido direkt im Anschluss an „Spencer“außer Konkurrenz. Wo Alejandro Jodorowsky sich in seinen astronomischen Adaptions-Ambitionen verhedderte, wo David Lynch 1984 versuchte, sich Frank Herberts kultige Bestseller-Vorlage aus den 1960ern typisch lynchig zu eigen zu machen – und (aus seiner Sicht) – am Widerspruch der Produzenten scheiterte, da bleibt Villeneuve („Blade Runner 2049“) der Vorlage weitgehend treu.
Ein Wüstenplanet wird hier zum Schauplatz eines Machtkampfs zwischen zwei intergalaktischen Herrschergeschlechtern. In seinem Sandgestöber glitzert das „Gewürz“, ein halluzinogener Rohstoff, der sogar im rechtschaffenen Haus Atreides (vertreten durch Oscar Isaac, Rebecca Ferguson und Timothe´e Chalamet) Kolonialistengelüste weckt. Das Haus Harkonnen macht indes kein Hehl aus seiner Raffgier, sein feister Räuberbaron (Stellan Skarsga˚rd) grunzt im Ölbad gierig nach satten Profiten. Doch die Dünen gehören den Fremen: einer Gemeinschaft zäher, wettergegerbter Krieger (und Kriegerinnen – Vergleiche mit den Taliban erübrigen sich). Villeneuves Weltraumoper, dessen Fortsetzung bereits in Planung ist, will eine Art „Star Wars“-Noir für die Generation Klimawandel sein. Sie legt Schwerpunkte auf Systemkritik, zeigt sich aber überfordert von Herberts dichter Mythologie. Erst im Endspurt kann Villeneuve seine Stärken – wogende Bildgewalt und dröhnendes Düsterpathos – wirkungsvoll ausspielen.