Die Presse

Flucht aus dem Gruselkabi­nett der Royals

Am Freitag feierte Pablo Larra´ıns „Spencer“in Venedig Premiere: ein Drama, das sich ins Seelenlebe­n von Lady Di hineinfant­asiert. In der Hauptrolle: „Twilight“-Star Kristen Stewart. Auch das Sci-Fi-Epos „Dune“debütierte am Lido.

- VON ANDREY ARNOLD

Was folgt, sei eine „Fabel von einer wahren Tragödie“: Mit dieser Einblendun­g beginnt das Lady-Diana-Porträt „Spencer“. Nein, als Tatsachenb­ericht will sich dieser wunderlich­e Film, der am Freitag beim Filmfest von Venedig Premiere feierte, auf keinen Fall verstanden wissen. Nicht mit den Royals im Nacken, die ihr hochwohlge­borenes Image in großen Ehren halten. Schon die beliebte Netflix–Serie „The Crown“erntete einen Schuss vor den Bug, als ihre vierte Staffel sich des Gerüchtege­wuchers rund um die Princess of Wales annahm: Man solle doch bitte vor jeder Folge kennzeichn­en, dass es sich dabei um Fiktion handle, hieß es 2020 seitens des britischen Kulturmini­sters.

Gegen solche Anfechtung­en hat sich „Spencer“leidlich abgesicher­t. Im Regiestate­ment auf der Venedig-Homepage betont Regisseur Pablo Larra´ın den imaginären Charakter des Films. Ein „Dokudrama“habe er angesichts seines mangelnden Einblicks hinter die Kulissen des Diana-Komplexes nicht drehen wollen, vielmehr ein „umgekehrte­s Märchen“auf Rechercheb­asis – umgekehrt, weil sich die Prinzessin darin gegen den Aufstieg zur Königin sperrt. Und obwohl „Spencer“nie wirklich märchenhaf­t wirkt, bleibt der Film stets entrückt genug, um seine Vision eines Weihnachts­abends auf dem königliche­n Landsitz Sandringha­m dem Gefilde der Kunstfreih­eit zuzurechne­n.

„Shining“-Stimmung im Adelsschlo­ss

Eine Schar Militärs lädt hier eingangs wichtiges Frachtgut ab: Die Zutaten des feierliche­n Abendessen­s. Sogleich wird sie von einer streng geführten Kochkolonn­e abgelöst. Diana düst derweil im Cabrio herbei, verfährt und verspätet sich – vielleicht, weil sie in Wahrheit gar nicht kommen will. Kristen Stewart gibt die Kronprinze­ssin innerlich zerrissen und auf nervöse Weise aufmüpfig. Hastig japst sie ihre Sätze, als stünde sie kurz vor dem Kreislaufk­ollaps. Nicht, dass es viel zu reden gäbe: Von Anfang an scheint Diana einsam und allein im Anwesen zu sein. Wie vom Rest der Königsfami­lie (und von ihrem fremdelnde­n Ehemann, Charles) abgeschnit­ten, driftet sie durch das ausgedehnt­e Gelände, ein Gespenst auf der Suche nach Erlösung.

Punktuell führen ihre Irrungen zu pointierte­n Begegnunge­n und Gesprächen. Mit ihren Söhnen, mit der Queen, mit Angestellt­en (gespielt von Mike-Leigh-Stammdarst­ellern wie Sally Hawkins und Timothy Spall). Und mit Anne Boleyn, in deren bitterem Schicksal sie ihr eigenes vorgezeich­net wähnt. Spukt es etwa in diesem Adelsschlo­ss? Das wohl nicht. Doch die traumartig­e Gruselaura ist gewollt.

Der chilenisch­e Kunstfilme­r Larra´ın, der sich vor allem mit seinem Jackie-KennedyDra­ma „Jackie“für „Spencer“empfohlen hat, klaut clever bei Kubrick, spritzt zitzerlwei­se „Shining“-Stimmung ins Geschehen: Stück für Stück verschwimm­en Sein und Schein, eine delirieren­de Diana wankt im Würgegriff des Weitwinkel­objektivs durch endlose Korridore. Sandringha­m als unheimlich­es Zwischenre­ich: große Zimmer, hohe Decken, tote Luft. Ein ausgeblich­ener Seidenschl­eier hängt über den Bildern der französisc­hen Kamerafrau Claire Mathon.

Es sind nicht böse Royals, die Diana hier zugrunde richten, auch nicht rücksichts­lose Paparazzi – sie kommen alle relativ glimpflich davon. Vielmehr ist es die Last der Tradition, die die Seele der Volksprinz­essin mit dumpfem Prunk und steifer Etikette zu erdrücken droht. Bis diese sich frei tanzt: Larra´ın setzt auf ein hoffnungsv­olles Ende, den Tatsachen zum Trotz. Ob er Dianas Andenken mit seiner spekulativ­en Gefühlsstu­die einen Gefallen tut, sei dahingeste­llt: Die royale Renegatin wirkt hier weniger wie eine starke Frau, die ihren eigenen Weg geht – und eher wie eine trotzige Teenagerin, die aus ihrem strengen Elternhaus ausbüxt. Auch in Denis Villeneuve­s „Dune“spielt dynastisch­er Druck eine wesentlich­e Rolle. Das von vielen heiß erwartete, seit Pandemiebe­ginn auf dem Hollywood-Abstellgle­is geparkte Sci-Fi-Epos debütierte am Lido direkt im Anschluss an „Spencer“außer Konkurrenz. Wo Alejandro Jodorowsky sich in seinen astronomis­chen Adaptions-Ambitionen verheddert­e, wo David Lynch 1984 versuchte, sich Frank Herberts kultige Bestseller-Vorlage aus den 1960ern typisch lynchig zu eigen zu machen – und (aus seiner Sicht) – am Widerspruc­h der Produzente­n scheiterte, da bleibt Villeneuve („Blade Runner 2049“) der Vorlage weitgehend treu.

Ein Wüstenplan­et wird hier zum Schauplatz eines Machtkampf­s zwischen zwei intergalak­tischen Herrscherg­eschlechte­rn. In seinem Sandgestöb­er glitzert das „Gewürz“, ein halluzinog­ener Rohstoff, der sogar im rechtschaf­fenen Haus Atreides (vertreten durch Oscar Isaac, Rebecca Ferguson und Timothe´e Chalamet) Kolonialis­tengelüste weckt. Das Haus Harkonnen macht indes kein Hehl aus seiner Raffgier, sein feister Räuberbaro­n (Stellan Skarsga˚rd) grunzt im Ölbad gierig nach satten Profiten. Doch die Dünen gehören den Fremen: einer Gemeinscha­ft zäher, wettergege­rbter Krieger (und Kriegerinn­en – Vergleiche mit den Taliban erübrigen sich). Villeneuve­s Weltraumop­er, dessen Fortsetzun­g bereits in Planung ist, will eine Art „Star Wars“-Noir für die Generation Klimawande­l sein. Sie legt Schwerpunk­te auf Systemkrit­ik, zeigt sich aber überforder­t von Herberts dichter Mythologie. Erst im Endspurt kann Villeneuve seine Stärken – wogende Bildgewalt und dröhnendes Düsterpath­os – wirkungsvo­ll ausspielen.

 ?? [ Filmnation ] ?? Lady Diana ist „not amused“: Kristen Stewart wirkt in „Spencer“stets am Rand des Nervenkasp­ers.
[ Filmnation ] Lady Diana ist „not amused“: Kristen Stewart wirkt in „Spencer“stets am Rand des Nervenkasp­ers.

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