Ein Schnitzler voller Liebelei, Judenhass und Zionismus
Als Auftragsarbeit hat Susanne Wolf den unter Kitschverdacht stehenden Roman „Der Weg ins Freie“dramatisiert. Regisseur Janusz Kica gab dem Ensemble freie Bahn, das zu spielen, was es wirklich gut beherrscht: die elegante Welt von gestern.
Arthur Schnitzlers Roman „Der Weg ins Freie“hat seinem Kollegen Hugo von Hofmannsthal offenbar nicht gefallen. Er habe das Buch halb zufällig, halb absichtlich in der Eisenbahn vergessen, steht brutal in einem Brief. Dagegen hätte Schnitzler zumindest einwenden können, dass sein einziges voluminöses Prosawerk, das 1908 erschien und kurz vor der Jahrhundertwende spielt, sein erfolgreichstes wurde. Wer von diesen Großen der Wiener Moderne und des Fin de Sie` cle hat die besseren Argumente?
Für Hofmannsthal spricht, dass die Liebeleien des (Anti-)Helden Georg von Wergenthin scharf am Rand des Kitsches vorbeischrammen: ein fescher Baron unter ihn anhimmelnden Frauen, der sich der Verantwortung entzieht und es just Freiheit nennt. Doch zumindest die Salongespräche über den damals blühenden Antisemitismus, die aufkeimende Idee des Zionismus und die Radikalisierung zur Zeit des Bürgermeisters Karl Lueger waren doch hochaktuell? Ja, aber diese Parallelaktion wird dem Schlüsselroman etwas thesenhaft beigemengt.
Trotzdem hat sich das Theater in der Josefstadt auf das Wagnis eingelassen, diesen Stoff auf die Bühne zu bringen. Das Resultat: respektabel, wie die Uraufführung in Wien am Donnerstag zeigte. Susanne Wolf hat eine schlanke Bühnenfassung geschrieben, die noch weitere Quellen nutzt. Janusz Kica hat klug zurückhaltend inszeniert. Karin Fritz hat ein pfiffiges Bühnenbild erstellt, das rasante Szenenwechsel erleichtert: Von oben wird immer wieder ein weitläufiges Zimmer herabgelassen, in dem Gäste herumsitzen und -stehen, kommen und gehen.
Alles ganz einfach. Der Weg ist also frei fürs Josefstädter Ensemble, in zweieinhalb Stunden das zu spielen, was es wirklich gut beherrscht: die elegante Welt von gestern.
Es darf auch das Zeitalter der Nervosität wiederbeleben. Alexander Absenger gibt mit Grandezza den Frauenverführer Wergenthin, der hoffnungsvoll am Beginn seiner Karriere als Komponist steht. Er fängt eine Affäre mit der aus bescheidenden bürgerlichen Verhältnissen stammenden Anna Rosner an, will sich aber nicht binden – nicht einmal, als sie ein Kind von ihm erwartet.
Tragische Umstände werden zur Entfremdung führen. Alma Hasun verleiht dieser Musikerin viel Herzblut, lässt schließlich sogar ihren wachsenden Willen zur Emanzipation spüren.
Toll: Klar und von Bargen als Zerrissene
Dieser ist stets ganz expressiv bei Katharina Klar als Therese Golowski vorhanden. Wie sich herausstellt, neigt diese sozialistische Vorkämpferin ebenfalls zum Polyamorösen. Sie tändelt mit Georg und einem schneidigen Offizier, der überhaupt nicht ihrem Weltbild entspricht. Diese Zerrissenheit stellt Klar äußerst glaubwürdig dar. Sie hat damit den stärksten Auftritt, neben Raphael von Bargen: Er spielt Heinrich Bermann, einen jüdischen Schriftsteller, der für eine Oper Wergenthins das Libretto schreibt. Seine Zeitgenossen sieht er ganz klar, bitter, ironisch, immer am Abgrund zur tiefen Depression. Schnitzlers gesellschaftspolitische Anliegen werden von ihm auf den Punkt gebracht. Das gelingt auch Joseph Lorenz als gütiger, hellsichtiger Doktor Stauber. Atmosphärisch passend wirken zudem Elfriede Schüsseleder und Siegfried Walter als reiches jüdisches Ehepaar Ehrenberg. Sie ist eine Salonie`re, die am liebsten große Gesellschaft hat, aber bei politischen Diskussionen sofort ermüdet. Er ist ein großzügiger Gastgeber, der immer wieder aus dem falschen Wien flüchtet. Else, die Tochter dieses Paares, würde am besten zum Baron passen. Michaela Klamminger spielt sie springlebendig, als junge Frau, die die Kultur der Scheinmoral durchschaut und beherrscht.
Viele gelungene Momentaufnahmen also. Auch von Michael Schönborn: Er gibt den rechten Populisten Ernst Jalaudek, der seinen Antisemitismus meist hinter Gemütlichkeit versteckt. Wie dies auf ein Opfer wirkt, zeigt Julian Valerio Rehrl als Thereses Bruder Leo Golowski – Tagebucheintragungen über die Judenfeindlichkeit beim Militär, an der Rampe vorgelesen. Vor allem die Jüngeren in diesem Ensemble neigen zum Outrieren, das der Text begünstigt. Bereits bei Schnitzler ist er nicht frei von Klischees.
War die Aufführung zu lang? Vielleicht. Gespielt wurde immerhin recht flott, mit unauffälligem Einsatz von Musik und Lichteffekten. Es wäre interessant zu wissen, ob Hofmannsthal sein Programmheft halb zufällig, halb absichtlich vergessen und sich bereits in der Pause zurück ins Offene, auf den Weg nach Rodaun gemacht hätte.