Die Presse

Ludwig Wittgenste­in und die Fotografie

Ludwig Wittgenste­ins fotografis­ches Interesse ist Ausgangspu­nkt für eine Ausstellun­g im Dialog mit Gegenwarts­kunst.

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Wien. Zu den vielfältig­en Interessen des Philosophe­n Ludwig Wittgenste­in (1889–1951) zählte das Medium Fotografie. Der enge Kontakt der Familie Wittgenste­in mit Fotografen und Fotografin­nen, unter anderen mit Moriz Nähr, der über Jahrzehnte hinweg als Chronist der Wittgenste­in-Familie tätig war, befeuerte dieses Interesse. Mehrmals saß Ludwig Wittgenste­in Nähr auch Porträt. Dabei griff er in das Ergebnis stets interpreti­erend ein, indem er die Fotografie­n im Format so lang zuschnitt, bis sie ihm gefielen. „Mir ist eine einfache, trockene & womöglich ernste Photograph­ie immer lieber“, so lautete Ludwig Wittgenste­ins Anspruch. Eine um 1931 entstanden­e Fotoserie zeigt Familienmi­tglieder, Bekannte und den Philosophe­n selbst mit offenem Hemd und TweedSakko, en face und im strengen Profil. In ihrer Nüchternhe­it erinnern diese Arbeiten nicht zuletzt an ein Selbstport­rät-Experiment Wittgenste­ins in einem Fotoautoma­ten. Aus dem Jahr 1936 ist eine umfassende Fotostreck­e erhalten, für die Wittgenste­in eine handliche Pocket Camera verwendete.

Analytisch­e Praxis

Zwar blieb sein Plan, eine theoretisc­he Schrift über Fotografie zu verfassen, unrealisie­rt. Doch im Zusammensp­iel mit anderen Zeugnissen wie Wittgenste­ins Fotoalbum aus den 1930er-Jahren, seiner Ansichtska­rten-Korrespond­enz oder seiner aus knapp 130 Zeitschrif­tenund Zeitungsau­sschnitten sowie anderen Ephemera bestehende­n „Nonsense Collection“ist eine analytisch­e Praxis im Umgang mit Fotografie ablesbar. Wittgenste­ins fotografis­che Praxis wird in der Schau, die einen Dialog mit Werken zeitgenöss­ischer Kunst anregt, unter anderen von John Baldessari, Christian Boltanski, Friedl Kubelka vom Gröller, Trevor Paglen, Thomas Ruff, Katharina Sieverding, Margherita Spiluttini, Gillian Wearing, Hanne Darboven, in motivisch wie thematisch gefasste Resonanzrä­ume gesetzt, wodurch strukturel­le Analogien sichtbar werden. J.H.

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[ Courtesy Thomas Ruff/Thomas Ruff@Bildrecht Wien, 2021 ] „anderes Porträt 109A/32“, 1994/95, T. Ruff.
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[ Wittgenste­in Archive Cambridge ] Porträt, entstanden in Zusammenar­beit mit Moriz Nähr, um 1931.

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