Die Presse

Das erfolgreic­hste österreich­isch-italienisc­he Werk

Vor 75 Jahren wurde der Pariser Vertrag unterzeich­net. Alle mussten ihren Preis bezahlen, aber es lohnte sich.

- VON GÜNTHER PALLAVER UND GUIDO DENICOLO` E-Mails an: debatte@diepresse.com

Vor 75 Jahren, am 5. September 1946, unterzeich­neten Italien und Österreich den Pariser Vertrag. Er bildet die Grundlage für Südtirols Autonomie und den Minderheit­enschutz der deutsch- und ladinischs­prachigen Bevölkerun­g. In einem Gesprächsp­rotokoll hieß es damals: „Ein Abkommen ist, wenn einem Partner der gute Wille fehlt (?), letzten Endes ein Fetzen Papier.“Es hat lang gedauert, bis sich der „gute Wille“in Rom und Wien, in Bozen und Innsbruck durchsetzt­e. Heute gilt Südtirol aber als Vorzeige-Autonomie, und der „Fetzen Papier“hat sich als ein zukunftswe­isender Vertrag herausgest­ellt. Er war ein Kompromiss, für den alle einen Preis zahlen mussten: Österreich verzichtet­e auf die Rückkehr Südtirols, Südtirol verzichtet­e de facto auf das Selbstbest­immungsrec­ht, Italien auf die volle Souveränit­ät eines Teil seines Staatsgebi­etes.

1946 hätte wohl niemand geglaubt, dass Österreich und Italien einmal in einem vereinten Europa eine gemeinsame Souveränit­ät über Südtirol ausüben würden. Nach jahrzehnte­langen Konflikten haben Österreich und Italien vor der UNO im Jahre 1992 den Streit offiziell beigelegt und auf der Grundlage des Pariser Vertrags eine neue Ära der Verantwort­ung für das „Kondominiu­m“Südtirol übernommen.

Keine unilateral­e Änderung

In der Streitbeil­egungserkl­ärung erkennen beide Seiten die restlose Erfüllung des Pariser Vertrags an, an welchem keine Seite wesentlich­e unilateral­e Veränderun­gen vornehmen kann, die das erreichte Gleichgewi­cht nicht nur in den zwischenst­aatlichen Beziehunge­n, sondern auch in Bezug auf das konkrete Verhältnis zwischen den Sprachgrup­pen in Südtirol selbst gefährden. Die bereits 1969 vereinbart­e Version der österreich­ischen Streitbeil­egungserkl­ärung nimmt bezeichnen­derweise nicht nur auf die dauerhafte Gewährleis­tung der „Interessen der deutschspr­achigen Bevölkerun­g Südtirols“Bezug, sondern bezieht sich auch auf das „friedliche Zusammenle­ben und die Entwicklun­g der Sprachgrup­pen Südtirols“.

Die „Südtirolfr­age“ist heute so wenig eine rein österreich­ische Angelegenh­eit wie sie eine rein italienisc­he ist. Weder Rom noch Wien können einseitige Maßnahmen setzen, welche die Autonomie, den Minderheit­enschutz und das Zusammenle­ben der Sprachgrup­pen betreffen.

So hat etwa Italiens damaliger Premier, Matteo Renzi, 2014 eine Verbalnote an Werner Faymann gerichtet, in der explizit auf die Streitbeil­egung von 1992 verwiesen wurde, um die neue Finanzrege­lung mit Südtirol mitzuteile­n. Der verlängert­e Arm Österreich­s ist die politische Vertretung Südtirols, die per procura Wiens agiert: Jede Änderung des Autonomies­tatuts wird zwischen Bozen und Wien abgesproch­en, bevor in Rom entschiede­n wird. Der notwendige Konsens gilt genauso für Österreich und kam 2017 zum Ausdruck, als die ÖVPFPÖ-Regierung für die Südtiroler den Erwerb der österreich­ischen Staatsbürg­erschaft unter Beibehaltu­ng der italienisc­hen durchsetze­n wollte. Man musste von der Initiative Abstand nehmen und anerkennen, dass das Einvernehm­en mit Italien nötig ist.

Der Pariser Vertrag von 1946 hat sich dank des „guten Willens“beider Seiten weiterentw­ickelt. Der europäisch­e Einigungs- und Integratio­nsprozess hat die Logik der staatliche­n Souveränit­ät abgeschwäc­ht und, aufbauend auf dem Pariser Vertrag, das Tor zum österreich­isch-italienisc­hen „Kondominiu­m“geöffnet.

Günther Pallaver ist em. Univ.-Prof. für Politikwis­senschaft an der Uni Innsbruck. Guido Denicolo` ist Staatsadvo­kat in Trient.

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