Mit der Häppchen-Opposition wird die SPÖ nicht weit kommen
Whataboutismus heißt eine Methode, mit der sich die Partei ständig in die Defensive drängen lässt. „Aber was ist mit . . .“Rendi-Wagners Konzept?
Es gibt unerfreulichere Ereignisse für eine Politikerin als ein „Sommergespräch“im ORF, über das ein paar Tage danach niemand mehr redet. Dennoch: Das TV-Gespräch von SPÖChefin Pamela Rendi-Wagner am Montag geriet nur für ihre Partei zum „starken Auftritt“, interessierte im Durchschnitt an die 150.000 weniger Zuseher als jenes von FPÖ-Chef Herbert Kickl und generierte wenig mediale Aufmerksamkeit.
Zu Recht. Es war zu beiläufig. Man hatte nicht den Eindruck, als hätte sie oder irgendjemand in der SPÖ vorher überlegt, welche Botschaft sie den Zusehern vermitteln will oder soll. Dieser Befund ist jetzt keine Reaktion auf die ständige Aufforderung mancher Leser, doch endlich die SPÖ zu kritisieren, statt an dem, was die Regierung tut oder nicht tut, herumzunörgeln. Abgesehen davon, dass die Ermunterungen zum Blickwechsel mitunter auf eine Art Message Control hinauslaufen, ergeben sie rein sachlich wenig Sinn. Es ist nicht sehr lohnend, sich mit der SPÖ zu beschäftigen, die weder ihre interne Verwirrung überwinden noch zu einer stringenten Botschaft finden kann. Es ist doch wichtiger aufzuzeigen, was die Regierung durchsetzen könnte, wenn sie nur wollte, als sich ständig an der Machtlosigkeit der Opposition abzuarbeiten.
Vor fünfzig Jahren wurde eine sowjetische (Propaganda-)Technik bekannt, die heute unter dem Begriff „whataboutism“pop ulär ist. Ganz einfach: Auf jede Kritik wird mit einer Gegenfrage reagiert und/oder auf ein anderes Thema abgelenkt. 2008 verschaffte ihr das britische Magazin „Economist“eine gewisse Bekanntheit. „Whataboutism“lässt sich schwer ins Deutsche übertragen, denn „Aber-was-ist-damit-Ismus“ist doch etwas eigen. Einfacher gesagt: Es ist eine rhetorische Methode zur Ablenkung. Jeder Kritik wird mit einer Gegenfrage gekontert. Sie hat mit dem Inhalt der Vorhaltungen nichts zu tun. Oder es wird ein anderes Thema in die Auseinandersetzung geworfen, womit von der ursprünglichen Kritik abgelenkt wird. So lässt sich jede inhaltliche Diskussion zerstören.
Das eigentliche Thema wird so als irrelevant dargestellt.
Es ist nicht verwunderlich, dass diese Technik des „Und was ist mit . . .“gerade in Zeiten der sozialen Medien zu neuer Bekanntheit und wohl auch Beliebtheit gelangt ist.
Auf das aktuelle Bespiel übertragen: Die Covid-19-Infektionszahlen steigen, die Regierung aber hat den Sommer 2021 in Vorbereitung auf den Herbst kaum besser genützt als 2020. Und was ist mit der SPÖ? Ihre Vertreter waren auch auf Urlaub. Oder: Die Regierung weiß heute noch nicht, wie in ein paar Monaten die Wintersaison in der Pandemie organisiert werden muss, um weiteren Schaden im Tourismus zu vermeiden? Und was ist mit der SPÖ? Welchen Plan hat sie, um einen neuerlichen Anstieg der Arbeitslosigkeit zu verhindern? Oder: Der Regierung fehlt der Wille zu strukturellen Reformen. Was ist mit der SPÖ? Sie hat in Jahrzehnten auch nichts in Sachen Postenschacher, Korruption, Pflegenotstand, Anhebung des Pensionsalters, steigende Armut etc. unternommen.
Jetzt kommt wahrscheinlich sofort die Reaktion: Und was ist mit der SPÖ und ihren Vertretern? Wenden sie nicht auch diese Strateg iean,aufunsachliche Art von sich abzulenken? Ja eh – wie alle Parteien. Auch deshalb drehen sich die Diskussionen im Kreis und verhindern oft jahre lang die erfo rderlichen Entscheidungen.
Die SPÖ und Pamela Rendi-Wagner können in diesem kommunikativen Teufelskreis nur verlieren. Sie könnten ihm aber dadurch entkommen, dass sie die Häppchen-Opposition aufgeben – eine Idee heute, eine morgen, ein Vorschlag jetzt, einer später – und in allen wichtigen Bereichen ein schlüssiges, perfekt ausgearbeitetes Konzept vorlegen. Darauf hat man vor den ORF-„Sommergesprächen“offenbar vergessen. Die Wähler aber würden den Whataboutismus leichter durchschauen.
Es ist wichtiger aufzuzeigen, was die Regierung durchsetzen könnte, als sich ständig an der Opposition abzuarbeiten.