Abhauen, wenn es ungemütlich wird?
Ein großes EU-Projekt erforscht, wie Klimawandel und Migration zusammenhängen. Jede Bewegung hat Folgen am Zielort und in der Herkunftsregion, und nicht immer ist die Abwanderung ein schlechtes Zeichen.
Klimaflüchtling. Dieser Begriff wird in der heutigen Forschung gemieden. Denn rechtlich gesehen gibt es keine Menschen, die aufgrund von Umweltfaktoren den Flüchtlingsstatus erhalten: Die Genfer Flüchtlingskonvention zählt weder Klimawandel noch Umweltbedingungen als Fluchtgrund auf. „Nichtsdestotrotz gibt es Menschen, die zur Flucht gezwungen werden und schutzbedürftig sind. Wir sprechen in der Wissenschaft von Migration im Kontext des Umweltwandels, die freiwillige und unfreiwillige Wanderungen umfasst“, sagt Patrick Sakdapolrak vom Geografie-Department der Uni Wien.
Er sieht den Begriff „Umweltflüchtling“eher als Appell an Entscheidungsträger, dass viele Menschen Hilfe brauchen und das Phänomen behandelt werden soll. „Migration an sich ist ja weder gut noch schlecht“, sagt Sakdapolrak. Einerseits kann Migration als Folge von Umweltwandel ein Zeichen sein, dass Anpassungen in der Region fehlgeschlagen haben und Menschen den Ort verlassen müssen. „Andererseits kann es ein gutes Zeichen sein, das für aktives Handeln spricht. Wenn ein Haushalt es schafft, ein Mitglied in die Stadt zu schicken, das Gelder nach Hause sendet, kann das eine erfolgreiche Anpassung sein“, so Sakdapolrak.
Sein Team leitet ein Arbeitspaket im größten je von der EU finanzierten Projekt, das sich dem Thema Migration und Klimawandel widmet: Das Habitable-Projekt vereint mit einem Budget von 6,8 Millionen Euro 20 Arbeitsgruppen in der EU und im Globalen Süden. Es läuft seit Anfang des Jahres bis 2024 und wird von einem belgischen Forschungszentrum in Lüttich geleitet. Sakdapolrak, der thailändische Wurzeln hat und Teile seiner Kindheit in den 1980ern in Bangkok verbracht hat, untersucht seit über zehn Jahren, wie sich Klimaveränderungen auf Migration in Thailand und anderen Ländern auswirken – und welche positiven Aspekte Migration haben kann. „Wir sehen Migration oft so problembehaftet. Doch Migration kann der Zielregion und dem Herkunftsort guttun“, sagt Sakdapolrak. Für zahlreiche Fallstudien arbeitet die Uni Wien mit Organisationen vor Ort zusammen, etwa der Raks-Thai-Foundation, die in Thailand Gemeinde- und Entwicklungsarbeit leistet.
Haushalte passen sich erfolgreich an
„Im Nordosten des Landes führen oft Dürren dazu, dass sich die Lebensverhältnisse der ländlichen Haushalte verändern“, sagt Sakdapolrak. Die Land-Land-Migration, bei der Menschen permanent in andere ländliche Regionen migrieren, ist in Thailand eher die Ausnahme. „Es überwiegt die klassische Land-Stadt-Migration, bei der ein junger Mensch aus einem ländlichen Haushalt in die Stadt geht und in Fabriken in Bangkok und Umgebung arbeitet“, sagt Sakdapolrak. Diese Strategie gilt als erfolgreiche Anpassung, wenn das Geld, das aus der Stadt in den Heimatort geschickt wird, z. B. hilft, die Landwirtschaft zu diversifizieren. „Wenn die Familie neues Land kauft und nicht nur Reis, sondern auch andere Produkte anbaut, ist der Haushalt viel resilienter gegen Umweltkrisen“, betont der Geograf. Er bestätigt auch die wissenschaftlichen Fakten, dass der Großteil der durch Umweltwandel bedingten Migration nicht internationale Grenzen überschreitet, sondern Binnenwanderung ist. Betroffene von Extremereignissen wie derzeit auch viele in Deutschland oder Belgien finden oft bei Verwandten oder in temporären Unterkünften in ihrer Nähe Zuflucht und kehren zum Wiederaufbau meist relativ schnell wieder in die von der Flut zerstörten Orten zurück. Auch von wie
derkehrenden Dürren und anderen Naturgefahren betroffene Menschen im Globalen Süden zieht es für eine langfristige Ortsveränderung stärker in Regionen des eigenen Landes. „Das ist plausibel, denn für Migration braucht man Ressourcen und Netzwerke. Oft verfügen aber gerade die Gruppen, die am stärksten von Umweltwandel betroffen sind, nicht über solche Ressourcen“, sagt Sakdapolrak.
Er weist darauf hin, dass ein großer Unterschied besteht zwischen den Katastrophen durch Extremereignisse, wie sie heuer durch Waldbrände und Hochwasser in unser Bewusstsein gespült wurden, und der permanenten Migration, die durch Umweltbedingungen ausgelöst wird. „Unsere Forschung fokussiert weniger auf die temporären Bewegungen: Denn nach Extremereignissen werden die zerstörten Haushalte und Orte oft schnell wieder aufgebaut.“Die betroffenen Menschen entscheiden sich meist nicht, für immer wegzugehen. Das Habitable-Projekt und die Forschung des Geografie-Departments untersuchen hingegen die Ursachen und Folgen von langfristigen Ortswechseln. „Hier hakt es aber noch an der Finanzierung der Forschung: Denn ,lang‘ laufende Projekte dauern oft nicht länger als drei oder fünf Jahre. Wir brauchen aber Daten, die Jahrzehnte zurückreichen“, erklärt Sakdapolrak.
So einen Datenschatz hebt sein Team nun in Äthiopien. Auf dieses Land fokussiert das Habitable-Arbeitspaket der Uni Wien nun zusätzlich zur seit Jahren bestehenden Forschung in Thailand. „In Äthiopien gibt es Datensätze aus ,Health and Demographic Surveillance Systems‘, die in vielen Regionen
Asiens und Afrikas kontinuierlich seit zehn bis 30 Jahren erhoben werden“, so Sakdapolrak. In dem Wissensberg über Gesundheitsfragen und Bevölkerungsbewegungen sucht das Wiener Team nun nach Verbindungen zu Umweltfaktoren und Migration.
„Dabei entwickeln wir wissenschaftliche Methoden und arbeiten Fragestellungen aus, damit auch in weiteren Regionen solche Forschung effizient betrieben werden kann“, sagt Sakdapolrak. So wird das Team nun auch die Auswertung ähnlicher Datenzentren in Nigeria übernehmen. Im Gegensatz zu Thailand ist in Äthiopien jedenfalls Land-Land-Migration sehr üblich, bei der Menschen in andere ländliche Regionen wandern, um dort Landwirtschaft zu betreiben. „Freilich gibt es auch Migration zu städtischen Zentren und internationale Migration, etwa äthiopische Hausangestellte im Nahen Osten. Aber die äthiopische Regierung versucht über Kampagnen die grenzüberschreitende Migration zu reduzieren. Nicht so wie in den Philippinen, wo internationale Auswanderung gezielt promotet wird“, so Sakdapolrak.
Geld geht weiter an die Herkunftsregion
Sein Team zeigte bereits, wie stark die Integration im Zielland auch Anpassungen an den Umweltwandel in der Heimatregion beeinflusst: „Thailänder arbeiten oft in Singapur, das jedoch Migration viel stärker reguliert, als wir Europäer das kennen: Als temporäre Vertragsarbeiter haben die Leute keine Perspektive, es kommt kaum zu einer Verwurzelung, und daher nehmen die Geldtransfers in die Herkunftsregion nicht ab über die Zeit.“Dies zeigten die Auswertungen, die sein Team bisher auf Ebene der Haushalte durchführte.
Für das neue Projekt streben die Forscher auch Erkenntnisse auf einer höheren Ebene an, nämlich die Gemeinden und ihre Anpassungen an Klimawandelfolgen. „Wir haben ein Migration-Adaptation-Guidebook erstellt, das Organisationen helfen kann, in ihrer Gemeindearbeit rund um Klimawandel-Anpassung auch den Faktor Migration zu berücksichtigen“, schließt Sakdapolrak.