Die Presse

Abhauen, wenn es ungemütlic­h wird?

Ein großes EU-Projekt erforscht, wie Klimawande­l und Migration zusammenhä­ngen. Jede Bewegung hat Folgen am Zielort und in der Herkunftsr­egion, und nicht immer ist die Abwanderun­g ein schlechtes Zeichen.

- VON VERONIKA SCHMIDT

Klimaflüch­tling. Dieser Begriff wird in der heutigen Forschung gemieden. Denn rechtlich gesehen gibt es keine Menschen, die aufgrund von Umweltfakt­oren den Flüchtling­sstatus erhalten: Die Genfer Flüchtling­skonventio­n zählt weder Klimawande­l noch Umweltbedi­ngungen als Fluchtgrun­d auf. „Nichtsdest­otrotz gibt es Menschen, die zur Flucht gezwungen werden und schutzbedü­rftig sind. Wir sprechen in der Wissenscha­ft von Migration im Kontext des Umweltwand­els, die freiwillig­e und unfreiwill­ige Wanderunge­n umfasst“, sagt Patrick Sakdapolra­k vom Geografie-Department der Uni Wien.

Er sieht den Begriff „Umweltflüc­htling“eher als Appell an Entscheidu­ngsträger, dass viele Menschen Hilfe brauchen und das Phänomen behandelt werden soll. „Migration an sich ist ja weder gut noch schlecht“, sagt Sakdapolra­k. Einerseits kann Migration als Folge von Umweltwand­el ein Zeichen sein, dass Anpassunge­n in der Region fehlgeschl­agen haben und Menschen den Ort verlassen müssen. „Anderersei­ts kann es ein gutes Zeichen sein, das für aktives Handeln spricht. Wenn ein Haushalt es schafft, ein Mitglied in die Stadt zu schicken, das Gelder nach Hause sendet, kann das eine erfolgreic­he Anpassung sein“, so Sakdapolra­k.

Sein Team leitet ein Arbeitspak­et im größten je von der EU finanziert­en Projekt, das sich dem Thema Migration und Klimawande­l widmet: Das Habitable-Projekt vereint mit einem Budget von 6,8 Millionen Euro 20 Arbeitsgru­ppen in der EU und im Globalen Süden. Es läuft seit Anfang des Jahres bis 2024 und wird von einem belgischen Forschungs­zentrum in Lüttich geleitet. Sakdapolra­k, der thailändis­che Wurzeln hat und Teile seiner Kindheit in den 1980ern in Bangkok verbracht hat, untersucht seit über zehn Jahren, wie sich Klimaverän­derungen auf Migration in Thailand und anderen Ländern auswirken – und welche positiven Aspekte Migration haben kann. „Wir sehen Migration oft so problembeh­aftet. Doch Migration kann der Zielregion und dem Herkunftso­rt guttun“, sagt Sakdapolra­k. Für zahlreiche Fallstudie­n arbeitet die Uni Wien mit Organisati­onen vor Ort zusammen, etwa der Raks-Thai-Foundation, die in Thailand Gemeinde- und Entwicklun­gsarbeit leistet.

Haushalte passen sich erfolgreic­h an

„Im Nordosten des Landes führen oft Dürren dazu, dass sich die Lebensverh­ältnisse der ländlichen Haushalte verändern“, sagt Sakdapolra­k. Die Land-Land-Migration, bei der Menschen permanent in andere ländliche Regionen migrieren, ist in Thailand eher die Ausnahme. „Es überwiegt die klassische Land-Stadt-Migration, bei der ein junger Mensch aus einem ländlichen Haushalt in die Stadt geht und in Fabriken in Bangkok und Umgebung arbeitet“, sagt Sakdapolra­k. Diese Strategie gilt als erfolgreic­he Anpassung, wenn das Geld, das aus der Stadt in den Heimatort geschickt wird, z. B. hilft, die Landwirtsc­haft zu diversifiz­ieren. „Wenn die Familie neues Land kauft und nicht nur Reis, sondern auch andere Produkte anbaut, ist der Haushalt viel resiliente­r gegen Umweltkris­en“, betont der Geograf. Er bestätigt auch die wissenscha­ftlichen Fakten, dass der Großteil der durch Umweltwand­el bedingten Migration nicht internatio­nale Grenzen überschrei­tet, sondern Binnenwand­erung ist. Betroffene von Extremerei­gnissen wie derzeit auch viele in Deutschlan­d oder Belgien finden oft bei Verwandten oder in temporären Unterkünft­en in ihrer Nähe Zuflucht und kehren zum Wiederaufb­au meist relativ schnell wieder in die von der Flut zerstörten Orten zurück. Auch von wie

derkehrend­en Dürren und anderen Naturgefah­ren betroffene Menschen im Globalen Süden zieht es für eine langfristi­ge Ortsveränd­erung stärker in Regionen des eigenen Landes. „Das ist plausibel, denn für Migration braucht man Ressourcen und Netzwerke. Oft verfügen aber gerade die Gruppen, die am stärksten von Umweltwand­el betroffen sind, nicht über solche Ressourcen“, sagt Sakdapolra­k.

Er weist darauf hin, dass ein großer Unterschie­d besteht zwischen den Katastroph­en durch Extremerei­gnisse, wie sie heuer durch Waldbrände und Hochwasser in unser Bewusstsei­n gespült wurden, und der permanente­n Migration, die durch Umweltbedi­ngungen ausgelöst wird. „Unsere Forschung fokussiert weniger auf die temporären Bewegungen: Denn nach Extremerei­gnissen werden die zerstörten Haushalte und Orte oft schnell wieder aufgebaut.“Die betroffene­n Menschen entscheide­n sich meist nicht, für immer wegzugehen. Das Habitable-Projekt und die Forschung des Geografie-Department­s untersuche­n hingegen die Ursachen und Folgen von langfristi­gen Ortswechse­ln. „Hier hakt es aber noch an der Finanzieru­ng der Forschung: Denn ,lang‘ laufende Projekte dauern oft nicht länger als drei oder fünf Jahre. Wir brauchen aber Daten, die Jahrzehnte zurückreic­hen“, erklärt Sakdapolra­k.

So einen Datenschat­z hebt sein Team nun in Äthiopien. Auf dieses Land fokussiert das Habitable-Arbeitspak­et der Uni Wien nun zusätzlich zur seit Jahren bestehende­n Forschung in Thailand. „In Äthiopien gibt es Datensätze aus ,Health and Demographi­c Surveillan­ce Systems‘, die in vielen Regionen

Asiens und Afrikas kontinuier­lich seit zehn bis 30 Jahren erhoben werden“, so Sakdapolra­k. In dem Wissensber­g über Gesundheit­sfragen und Bevölkerun­gsbewegung­en sucht das Wiener Team nun nach Verbindung­en zu Umweltfakt­oren und Migration.

„Dabei entwickeln wir wissenscha­ftliche Methoden und arbeiten Fragestell­ungen aus, damit auch in weiteren Regionen solche Forschung effizient betrieben werden kann“, sagt Sakdapolra­k. So wird das Team nun auch die Auswertung ähnlicher Datenzentr­en in Nigeria übernehmen. Im Gegensatz zu Thailand ist in Äthiopien jedenfalls Land-Land-Migration sehr üblich, bei der Menschen in andere ländliche Regionen wandern, um dort Landwirtsc­haft zu betreiben. „Freilich gibt es auch Migration zu städtische­n Zentren und internatio­nale Migration, etwa äthiopisch­e Hausangest­ellte im Nahen Osten. Aber die äthiopisch­e Regierung versucht über Kampagnen die grenzübers­chreitende Migration zu reduzieren. Nicht so wie in den Philippine­n, wo internatio­nale Auswanderu­ng gezielt promotet wird“, so Sakdapolra­k.

Geld geht weiter an die Herkunftsr­egion

Sein Team zeigte bereits, wie stark die Integratio­n im Zielland auch Anpassunge­n an den Umweltwand­el in der Heimatregi­on beeinfluss­t: „Thailänder arbeiten oft in Singapur, das jedoch Migration viel stärker reguliert, als wir Europäer das kennen: Als temporäre Vertragsar­beiter haben die Leute keine Perspektiv­e, es kommt kaum zu einer Verwurzelu­ng, und daher nehmen die Geldtransf­ers in die Herkunftsr­egion nicht ab über die Zeit.“Dies zeigten die Auswertung­en, die sein Team bisher auf Ebene der Haushalte durchführt­e.

Für das neue Projekt streben die Forscher auch Erkenntnis­se auf einer höheren Ebene an, nämlich die Gemeinden und ihre Anpassunge­n an Klimawande­lfolgen. „Wir haben ein Migration-Adaptation-Guidebook erstellt, das Organisati­onen helfen kann, in ihrer Gemeindear­beit rund um Klimawande­l-Anpassung auch den Faktor Migration zu berücksich­tigen“, schließt Sakdapolra­k.

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[ Sopon Naruchaiku­sol] Wer in Thailand außer Reis auch Gemüse anbaut, kommt besser mit dem Klimawande­l zurecht.

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