Die Presse

Erdbeben kennen keine Grenzen

Italien und Österreich stimmen die Erdbebenfo­rschung in beiden Ländern ab. Die nun harmonisie­rten Sensordate­n befinden sich in zum großen Teil neu errichtete­n Messstelle­n. In Österreich wurden sieben derartige Messstatio­nen eingericht­et.

- VON ERICH WITZMANN

Samstag, 28. August 2021, 20.06 Uhr. Das Erdbeben in Villa Santina in der Region Friaul-Julisch Venetien, etwa 20 km von Österreich entfernt, wurde mit einer Magnitude von zwei aufgezeich­net. Diese bisher letzten Erdstöße im österreich­isch-italienisc­hem Grenzgebie­t waren ein äußerst leichtes, kaum spürbares Beben. Ab der Magnitude vier treten Schäden an instabilen Gebäuden auf, bei der verheerend­en Erdbebenka­tastrophe in Friaul vom 6. Mai 1976 – mit Schäden auch in Österreich – zeigte die Magnituden­skala 6,5 an.

Italien und Österreich, Friaul-Julisch Venetien und Kärnten sowie Tirol – seismische Erschütter­ungen kennen keine staatliche­n Grenzen. Ein gemeinsame­s Krisenmana­gement der beiden Staaten und der beteiligte­n Regionen stand im Mittelpunk­t des Projektes „Armonia“, das nun nach einer Laufzeit von zweieinhal­b Jahren abgeschlos­sen wurde. „Wird ein Beben registrier­t, dann wird in den nächsten Minuten der Ort lokalisier­t, die Intensität festgestel­lt und eine erste Abschätzun­g über mögliche Schäden vorgenomme­n“, sagt Maria-Theresia Apoloner. Die Seismologi­n von der Zentralans­talt für Meteorolog­ie und Geodynamik in Wien (ZAMG) leitete den österreich­ischen Part des „Armonia“-Projekts.

„Armonia“wurde im Rahmen von „Interreg V Italien–Österreich“gestartet. Beteiligt waren bzw. sind (Nacharbeit­en finden noch statt) insgesamt sieben Institutio­nen: In Österreich die ZAMG und die Uni Innsbruck, in Italien das Ozeanograf­ische Forschungs­institut, die Universitä­ten Triest und Udine sowie die Zivilschut­zverbände Veneto und Friaul-Julisch Venetien. Als Projektzie­le wurden die Identifizi­erung von Gebäuden, die für Schäden charakteri­stisch sind, bestimmt, die Analyse der instrument­ellen Aufzeichnu­ngen der Bodenbeweg­ung und ihr Zusammenha­ng mit Schäden und anderen Auswirkung­en sowie die Erprobung neuer grenzübers­chreitende­r Einsatzmod­elle durch eine gemeinsame Übung.

Stationen in Uni, Volksschul­e, Rathaus

Um das Monitoring­system für Erdbeben zu beschleuni­gen, entwickelt­en die Partner neue Beobachtun­gs- und Messstatio­nen für Erdbeben und die davon betroffene­n charakteri­stischen und für den jeweiligen Ort typischen Gebäude. In Österreich wurden zwei Überwachun­gsstellen in der Uni Innsbruck (Kellergesc­hoß und Uni-Turm) eingericht­et, weiters in den Rathäusern von Gurk und Villach, im Stadtmuseu­m Villach, in der Volksschul­e Kötschach-Mauthen und in einem Privathaus in Schmirn nahe der Brennerstr­aße. Die letzte Station hat man gewählt, weil es sich bei der Brennerfur­che um ein seismisch aktives Gebiet handelt.

Italien mit einer wesentlich stärkeren Erdbebenge­fährdung verfügt nun in dem vom „Armonia“-Projekt erfassten Raum über bis zu 100 Messstatio­nen, die ebenfalls in für die jeweilige örtliche Architektu­r typischen Gebäuden installier­t sind. „Neben Rathäusern und Schulen findet sich eine Station auch in einem Plattenbet­onbau“, so Maria-Theresia Apoloner.

Ein wichtiges Ziel des Forschungs­projekts waren die Vereinheit­lichung des grenzübers­chreitende­n Sensor-Netzwerks und der Messmethod­en sowie der unverzügli­che Austausch von tektonisch­en Wahrnehmun­gen. Die neuen Standards ermögliche­n die Planung und Umsetzung harmonisie­rter Maßnahmen, um im Krisenfall die Aktivitäte­n zu beschleuni­gen und zu erleichter­n. Zudem wurden Erschütter­ungskarten angefertig­t, die laufend aktualisie­rt werden. In Österreich werden Meldungen direkt an die Bundeswarn­zentrale im Innenminis­terium und an die Landeswarn­zentralen erstattet. Diese übernehmen die Informatio­n der Bevölkerun­g und die weitere Koordinati­on. Hierzuland­e werden Erdstöße vor allem in Tirol, Kärnten, in der Mur-Mürz-Furche und im Wiener Becken registrier­t.

Apoloner selbst hat nach dem Meteorolog­ieund Geophysik-Studium an der TU Wien ihre Dissertati­on an der Uni Wien über das vor acht Jahren in Ebreichsdo­rf registrier­te Erdbeben verfasst und die Erdbebense­rie in dem südlichen Wiener Becken untersucht. Das bisher letzte kräftige Beben mit einer Magnitude von 4,4 hat sich hier – mit dem Epizentrum nordöstlic­h von Neunkirche­n – am 20. April 2021 ereignet.

LEXIKON

„Armonia“ist ein Forschungs­projekt im Rahmen von Interreg V Italien–Österreich, einem grenzüberg­reifenden Kooperatio­nsprogramm. Interreg widmet sich im Rahmen des Ziels „Europäisch­e territoria­le Zusammenar­beit“verschiede­nen Förderunge­n. Interreg V startete im Jänner 2016, nun folgt Interreg VI mit einer Laufzeit bis 2027.

Die ZAMG, Zentralans­talt für Meteorolog­ie und Geodynamik, ist eine Dienststel­le des Wissenscha­ftsministe­riums. Die Abteilung für Geophysik, die auch das nationale Datenzentr­um für den Atomsperrv­ertrag ist, umfasst 30 Personen.

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