„Es wird nicht von überall Applaus geben“
Die Klimawende gelingt nur, wenn die Menschen Stromleitungen und Windräder lieben lernen, sagt Verbund-Chef Strugl. Bei der Öko-Steuerreform dürfe die Regierung „nicht den Weg des geringsten Widerstands gehen“.
Manchmal muss man sich Zuneigung erst erkämpfen. Da reicht es etwa nicht aus, dass die Impfung gegen das Coronavirus die Pandemie beenden kann. Es reicht auch nicht, dass der Bau neuer Wind- und Solaranlagen die Vision vom klimaneutralen Leben erst ermöglicht. Eine flächendeckende Begeisterung für die beiden Themen ist dennoch in weiter Ferne. „Je näher am eigenen Haus ein Windrad gebaut werden soll, desto geringer ist die Akzeptanz bei den Menschen“, sagt VerbundChef Michael Strugl.
Keine gute Grundlage für das, was die Regierung Österreich und der Energiebranche für die kommenden neun Jahre verschrieben hat: Bis 2030 sollen so viele Wasser-, Wind- und Solarkraftwerke gebaut werden, dass das Land dann bilanziell zum Ökostrom-Selbstversorger werden könnte. Die Stromwende ist notwendige Grundlage dafür, dass auch die Industrie und der Verkehrssektor weitgehend klimaschonend umgebaut werden können. „Wir werden dafür gigantische Mengen an erneuerbarer Energie brauchen“, sagt Michael Strugl. Die Energiewirtschaft ist bereit, Milliarden in den Umbau des Systems zu investieren – wenn man sie lässt.
Drahtseilakt Dekarbonisierung
Allein der Verbund investiert derzeit rund eine halbe Milliarde Euro in den Ausbau seiner Pumpspeicherkraftwerke, rüstet das Hochspannungsnetz für die neuen Herausforderungen und errichtet gemeinsam mit der OMV die größte Freiflächen-Fotovoltaikanlage. Drei Milliarden Euro will der Konzern in den kommenden Jahren in Projekte wie diese stecken. Doch nicht alle Pläne lassen sich auch so schnell umsetzen, wie es sich das Unternehmen vornimmt. Denn wo immer gebaut wird, regt sich Widerstand bei den Anrainern.
„Man wird die Energiewende sehen auch im Landschaftsbild“, betont Strugl. Die Menschen dafür zu sensibilisieren, dass es dennoch eine willkommene Veränderung sei, hält er für eine „Herausforderung für die ganze Gesellschaft“. Alle neun Bundesländer
müssten damit beginnen, ausreichend Flächen für die Ökostrom-Kraftwerke freizumachen. Genehmigungsverfahren müssten so gestaltet werden, dass die Projekte rechtzeitig finalisiert werden könnten – ohne die Menschen um ihre Mitbestimmungsrechte zu bringen.
Es ist ein Drahtseilakt, der nicht einfacher wird, wenn die Folgen der Dekarbonisierung
auf den Konten der Menschen sichtbar werden. CO2-Preis, teurer Netzausbau und Öko-Steuerreform werden die Kosten für Energie in den kommenden Jahren in die Höhe treiben. Die Vorteile der Energiewende werden hingegen erst mit einiger Verspätung sichtbar werden.
„CO2 muss etwas kosten – und zwar in allen Sektoren“, sagt Strugl mit Blick auf die geplante Steuerreform in Österreich. Entscheidend sei, dass die neuen Ökosteuern auch einen Lenkungseffekt hätten. Wer Kohlendioxid emittiert, wird dafür bezahlen müssen.
Umgekehrt solle klimafreundliches Verhalten auch finanziell belohnt werden. Es sei notwendig, Industrie und Haushalte da zu unterstützen, wo es notwendig sei, damit sich diese die Umstellung auch leisten könnten. Wenn man es „schlau“mache, werde die Steuerreform keine großen Standortnachteile für die Unternehmen und keine Belastung für die Menschen bedeuten. Die Schweiz oder Schweden seien gute Blaupausen für die erfolgreiche Einführung einer CO2-Bepreisung. Doch der frühere Landespolitiker hat für seine Ex-Kollegen auch eine Warnung parat: „Die Politik darf hier nicht den Weg des geringsten Widerstands gehen.“Sonst erreiche man die Lenkungseffekte nicht. „Es wird nicht von überall Applaus geben. Damit muss man rechnen.“