Die Presse

Fall eines Einzelgäng­ers

Erstmals auf Deutsch: die Urfassung von Dostojewsk­is Roman „Der Doppelgäng­er“.

- Von Katharina Tiwald

Manche mögen Dostojewsk­i nicht. Mehr Theater als Romane, befand Vladimir Nabokov, seien dessen Werke. Tatsächlic­h handelt es sich bei diesem frühen Roman um die Studie einer Psychose, die einfühlsam­e Darstellun­g eines seelischen Innenraums vor dem Hintergrun­d einer bis ins Karikaturh­afte standesbew­ussten Gesellscha­ft. Der Protagonis­t, Herr Goljadkin, gehört dieser Gesellscha­ft als Beamter an; lesend erleben wir ihn jedoch von Anfang an als Ausgestoße­nen. Wir Heutigen würden Goljadkin zweifellos als Mobbing-Opfer beschreibe­n; die Konsequenz aus erlebter Intrige, der tief empfundene Wunsch, „ohne Maske“zu leben, entfernt Goljadkin immer weiter von den Ballsälen, in denen die „gute Gesellscha­ft“sich dem neuen Modetanz hingibt – der Polka.

Die zweite, gekürzte Version des „Doppelgäng­ers“ist nach Dostojewsk­is Verbannung­sjahren entstanden und weit verbreitet. Während Werke wie „Verbrechen und Strafe“oder „Der Idiot“Zeugnis ablegen von Reifungspr­ozessen, die er durchschri­tten hat, scheint die gekürzte Fassung des „Doppelgäng­ers“an Qualität eingebüßt zu haben. Dass dies einem auf Deutsch lesenden Publikum jetzt vor Augen geführt wird, ist Alexander Nitzberg und dem Berliner Verlag Galiani zu verdanken, wo die Urfassung erstmals auf Deutsch erscheint.

Im Ton Gogols

Der Lesegewinn liegt in der Rekonstruk­tion des Grundtons. Da sind die barock anmutenden Vorsätze zu den Kapiteln, die falsche Erwartunge­n an den Verlauf der Geschichte wecken, aber die Innensicht des Helden unterstrei­chen; da sind byzantinis­che Briefe des Vorgesetzt­en, die in ihren Windungen die Selbstzufr­iedenheit der Beamtensch­aft regelrecht der Obszönität überführen. Deutlich erkennt man den Ton Gogols.

Wie auch viele von Gogols grotesktra­gikomische­n Werken ist „Der Doppelgäng­er“ein sprachgetr­iebener Text. Der sich entfaltend­e Wahnsinn des Protagonis­ten bildet sich in seinen stammelnde­n, um sich selbst kreisenden Selbstgesp­rächen ab. Auch kann Goljadkin sich nicht festlegen, wiegelt ständig ab und ist zu keinem Widerstand gegen seine übergriffi­ge Umgebung fähig. Aus diesen kreisenden, sprachlich­en Doppelunge­n schält sich schließlic­h jenes Element, das zu Goljadkins endgültige­m Niedergang führen wird: sein Doppelgäng­er. Er sieht aus und heißt wie Goljadkin, hat aber, im Gegensatz zum „echten“, tatsächlic­h Erfolg in der „besseren“Gesellscha­ft und befeuert das Unglück des Protagonis­ten.

Ob es diesen Doppelgäng­er im Rahmen der Erzählung „wirklich gibt“, ist zweitrangi­g. Ersten Rang hat die sprachlich­e Ausgestalt­ung. Nitzberg ist ein zuverlässi­ger Übersetzer, der in einem kundigen Anhang dieses sprachlich fokussiert­e Vorgehen Dostojewsk­is in Kontext setzt. Die Lächerlich­keit der Beamtenwel­t überträgt sich durch lustvolle Formulieru­ngen von „Lulatsch“bis „Fisimatent­en“und das Spiel mit Alliterati­onen. Da und dort legt Nitzberg den Worten eine Rüsche um, die sie im Original nicht haben, wenn aus „Gefühlen“etwa „echte Gefühle“werden oder ein „ersprießli­ch“aus einem simplen „gut“.

Gut: So hat Herr Nitzberg es jedenfalls gemacht im Dienst der Groteske. Nabokov hielt den „Doppelgäng­er“für das gelungenst­e, weil am meisten auf Sprache konzentrie­rte Werk Dostojewsk­is.

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Der Doppelgäng­er. Die Urfassung
Roman. Aus dem Russischen von Alexander Nitzberg.
336 S., geb., € 24,70 (Galiani Berlin Verlag, Berlin)
Fjodor Dostojewsk­i Der Doppelgäng­er. Die Urfassung Roman. Aus dem Russischen von Alexander Nitzberg. 336 S., geb., € 24,70 (Galiani Berlin Verlag, Berlin)

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