Die Presse

Der Apokalypse entkommen

Mit kontemplat­iver Lyrik philosophi­ert Levin Westermann in „farbe komma dunkel“über Klimawande­l, Artensterb­en und die Rolle des Einzelnen.

- Von Friederike Gösweiner

Provokant heißt es im Motto von Annie Dillard voran, dass in diesem Buch nichts geschehen wird, außer ein wenig Gewalt in der Sprache – dort, wo die Ewigkeit die Zeit durchschne­idet (where eternity clips time). Und vordergrün­dig stimmt das auch, „farbe komma dunkel“des Wahlschwei­zers Levin Westermann, Jahrgang 1980, ist ein kontemplat­iver Text, dessen faktische Handlung schnell erzählt ist: Ein Ich sitzt in der französisc­hen Pampa, denkt nach und liest, wandelt durch die Landschaft, beobachtet Tiere. Es liest in der Zeitung von der globalen Klimakatas­trophe, es liest vom alltäglich­en Massenmord an Tieren durch den Menschen, es liest über die Ausrottung der indigenen Inkas durch ein Virus und die (technologi­sche) Überlegenh­eit der Kolonisato­ren samt ihren Pferden. Es liest Gedichte – zum Trost. Denn dieses Ich, das in „farbe komma dunkel“spricht, ist ein zutiefst einsames Ich, es wird nur noch, so wird an einer Stelle auch gesagt, von den Büchern, von der Sprache und ihrem Klang gerettet, droht ob des Kummers, den es angesichts der apokalypti­schen Weltlage empfindet, die der Text anhand einiger weniger, klug gewählter Fakten überzeugen­d abbildet, buchstäbli­ch dem Wahnsinn zu verfallen. Nicht zuletzt weil es weiß:

Es trägt auch selbst Mitschuld daran. Aber was soll dieses Ich als Einzelnes, als Individuum gegen das Kollektiv auch ausrichten? Indes geht die Sonne unter und wieder auf, insgesamt tut sie das zweiundzwa­nzigmal auf den 111 im Verssatz bedruckten Seiten, aber nichts an dieser Regelmäßig­keit ist beruhigend. Das Ich weiß, ein Ereignis müsste den Gang der Dinge in Richtung Weltunterg­ang unterbrech­en, doch immer wieder heißt es: „und nichts geschieht.“Was bleibt, ist die Frage: „und was kann man tun / was ist zu tun / frage ich die schafe.“

Auch diese im Text ostentativ wiederholt­e Frage erscheint wie das Eingangsmo­tto provokant und zumindest auf den ersten Blick paradox, sind doch die Schafe jene Tiere, die der Mensch gern als dumm bezeichnet. Auf den zweiten Blick offenbart sich, dass gerade die Adressieru­ng der Natur und die kontemplat­ive Lebenshalt­ung, die das Ich des Textes selbst praktizier­t, exakt jenes Ereignis sein müssten, das die quälende fatale (scheinbare) Endlosschl­eife, in der sich die Welt auf die Apokalypse zubewegt – und die der Text selbst formal konsequent nachzeichn­et –, durchbrech­en könnte . . .

Wer Westermann, der für seine Lyrikbände jüngst mit dem Clemens-BrentanoPr­eis sowie dem Schweizer Literaturp­reis ausgezeich­net wurde, kennt, weiß, dass sich zwei große Themen durch sein gesamtes bisheriges Werk ziehen: der philosophi­sche Kampf um eine Reposition­ierung des Menschen als Teil einer allumfasse­nden Natur sowie die poetische Durchdring­ung der fundamenta­len Einsamkeit des Individuum­s in dieser Welt. „farbe komma dunkel“führt diese beiden großen Themen zusammen und zieht daraus enorme Kraft.

Keiner Gattung zugeordnet, vereint der Text das kühle Argument von Gedankenpr­osa mit der grundstürz­enden emotionale­n Intensität von Lyrik. Stilistisc­h ist er dabei von großer Raffinesse. Besonders ins Auge stechen das semantisch bedeutsame Spiel mit Wiederholu­ng und klangliche­r Repetition und deren Durchbrech­ung sowie die Verbindung von sehr allgemeine­n großen Gedanken mit konkretem persönlich­em Empfinden. Sprache ist bei Westermann niemals leere Spielerei, sondern dient – der klangliche­n Erschaffun­g eines poetischen Gebets. Denn das ist, was „farbe komma dunkel“im Grunde ist: eine Litanei eines sehr einsamen, verzweifel­ten, auch wütenden Ichs angesichts der Welt.

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Lyrik. 111 S., broschiert,
€ 18,50 (Verlag Matthes & Seitz Berlin, Berlin)
Levin Westermann farbe komma dunkel Lyrik. 111 S., broschiert, € 18,50 (Verlag Matthes & Seitz Berlin, Berlin)

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