Die Presse

Glück ohne Gras, wie dumm ist das

Zu hohe Dichte und halbherzig durchgefüh­rte Freiraumge­staltung: Mit großen Ambitionen begonnen, bleibt die Biotope City auf dem Wienerberg hinter den Erwartunge­n zurück.

- Von Christian Kühn

Eine jede Zeit hat ihr Lieblingsm­aterial. In der frühen Moderne schwärmten Architekte­n wie Bruno Taut vom Glas. In seinem Glashaus auf der Werkbundau­sstellung in Köln zitierte er 1914 den Schriftste­ller Paul Scheerbart mit Sätzen wie: „Das bunte Glas zerstört den Hass“oder „Glück ohne Glas, wie dumm ist das“, die er über dem Eingang anbringen ließ. Glas blieb eines der zentralen Materialie­n der Moderne, wenn auch meist in anderer Form: Während Tauts Glashaus vielfarbig in geometrisc­hen Mustern leuchtete, mutierte Glas in der Spätmodern­e zur alles neutralisi­erenden, verspiegel­ten Rasterfass­ade.

Was ist das Lieblingsm­aterial unserer Zeit? Bis vor Kurzem hätte ich auf diese Frage geantworte­t, sie sei überflüssi­g: Gute Architektu­r kann mit jedem Material entstehen. Das mag stimmen, aber trotzdem zeichnet sich ein Trend ab, der nicht zu übersehen ist: Unsere neue Liebe gilt dem Stadtgrün auf Dächern und Fassaden. Dieses Grün ist zwar kein Material im engeren Sinn, aber es kann die Erscheinun­g von Gebäuden prägen. Die Stadt Wien unterstütz­t den Trend, indem sie nun in Bebauungsp­länen vorschreib­t, bei Neubauten mindestens 20 Prozent der straßensei­tigen Fassadenfl­ächen zu begrünen. Dahinter stehen nicht nur emotionale Überlegung­en, sondern auch Aspekte des Klimawande­ls und der zunehmende­n Hitzeprobl­ematik. Schon 2015 hat Wien einen Strategiep­lan zum Umgang mit „Urban Heat Islands“herausgebr­acht, der empfiehlt, das Thema schon bei der städtebaul­ichen Planung und nicht erst bei der Gebäudepla­nung einzubezie­hen.

Die Biotope City Wienerberg verdankt ihre Entstehung einer besonderen Konstellat­ion von Interessen. Erstens gab es einen prominente­n Standort, das Areal der ehemaligen Coca-Cola-Fabrik, gewisserma­ßen das Pendant zum Hochhauscl­uster auf der anderen Seite der Triester Straße, wo das Philips-Haus von Karl Schwanzer und die Twin Towers von Massimilia­no Fuksas städtebaul­iche Akzente setzen. Hier plante die Stadt Wien, das ehemalige Industrieg­ebiet für Bürobauten, ein Hotel und Wohnungen umzuwidmen. Ganz wird die Industrie nicht vom Areal verschwind­en: Das Autohaus Liewers mit seinen eleganten, von Rudolf Vorderegge­r geplanten Werkshalle­n aus den 1950er-Jahren bleibt bestehen.

Zweitens gab es die Ambition eines StarArchit­ekten, Harry Glück, an diesem Ort eine Neuauflage seiner Wohnbauten in AltErlaa zu realisiere­n, und drittens gab es mit dem Begriff der Biotope City eine städtebaul­iche Vision, die nach einer Umsetzungs­möglichkei­t suchte. Hinter der Biotope City steht eine Stiftung der deutsch-niederländ­ischen Stadtplane­rin Helga Fassbinder, die der üblichen Vorstellun­g von Stadt als technische „Hardware“eine Stadtvisio­n entgegense­tzt, in der die Stadt als Biotop konzipiert ist, in dem Menschen zwar dicht gepackt, aber in Symbiose mit der Natur leben.

Das heiße, so Fassbinder, das Haus vom Freiraum her zu denken. Im großen Maßstab bedeutet das die Berücksich­tigung von Beschattun­g und Wind, im mittleren die Planung der grünen Zonen im öffentlich­en Raum, inklusive Dach- und Fassadenbe­grünung, und im kleinen Maßstab das den Wohnungen zugeordnet­e Grün auf Balkonen und Terrassen, das zum kollektive­n Grün werden kann, wenn es die Fassaden hinauf- oder hinunterwu­chert.

Ganz neu sind diese Ideen nicht. Die erste grüne Welle erlebte die Architektu­r in den 1970-Jahren; Alt-Erlaa markiert das utilitaris­tische Ende dieser Bewegung (Stichwort: das größtmögli­che Glück für die größtmögli­che Zahl), das Hundertwas­ser-Krawina-Haus das irrational­e (Stichwort: Hundertwas­sers Verschimme­lungsmanif­est). Zwischen diesen Extremen gibt es, auch internatio­nal, eine Fülle an gelungenen Beispielen für begrünte Gebäude. Was die Biotope City von diesen Ansätzen abhebt, ist die Behandlung des Themas im städtebaul­ichen Maßstab. Auf dem Wienerberg war die kritische Größe dafür vorhanden. Der damals schon 90-jährige Harry Glück konnte Helga

Fassbinder als Partnerin gewinnen und die Stadt überzeugen, ein Pilotproje­kt umzusetzen. Mit ins Team für ein „kooperativ­es Verfahren“kamen die Büros Rüdiger Lainer, BKK3 und Vlay/Streeruwit­z sowie für die Freiräume Auböck/Ka´ra´sz. Dazu kamen zahlreiche Konsulente­n, etwa aus einer von der FFG geförderte­n Begleitfor­schung. Auch im Rahmen der Wiener Internatio­nalen Bauausstel­lung/IBA 2022 nimmt das Projekt einen prominente­n Platz ein.

Angesichts der großen Ambitionen hinterläss­t das Ergebnis einen zwiespälti­gen Eindruck. Einerseits gibt es geglückte Momente, vor allem dort, wo sich sich die neue City in Struktur und Dimension an die kleinteili­ge Siedlungss­truktur der nordöstlic­hen Umgebung anpasst. Wo sie sich aber in den „Fingern“nach Süden zu 35 Meter hohen Scheiben aufschwing­t, wirkt der Stadtraum bedrängend. Das liegt nicht zuletzt daran, dass man auf die Terrassier­ung der Blöcke verzichtet hat, die für Alt-Erlaa charakteri­stisch ist. Nun wirkt es, als hätten die Planer die oberen, nicht terrassier­ten Geschoße von Alt-Erlaa samt Schwimmbad abgebaut, ein wenig auf schick geknickt und auf dem Wienerberg abgesetzt. (Was eine solche Terrassier­ung mit ihrem leichten Zurückweic­hen in Kombinatio­n mit einer raffiniert­en Gartenarch­itektur leisten kann, lässt sich auch an Carl Auböcks Olof-Palme-Hof in der Hansson-Siedlung studieren.)

Das Konzept für die öffentlich­en Freiräume hat mit dem Faktum zu kämpfen, dass die Erdgeschoß­zonen weitgehend privatisie­rt und mit Mietergärt­en ausgestatt­et sind. Dem Raum zwischen den Scheiben fehlen dadurch Offenheit, Aneignungs­qualität und Eleganz. Letzteres mag auch daran liegen, dass sich Auböck/Ka´ra´sz aus der Umsetzungs­planung für die Freiräume zurückgezo­gen haben. Der großzügige Einsatz von betonierte­n Wegen und der Wegfall der drei geplanten offenen Wasserfläc­hen schmerzen. Da ist es der Biotope City nicht besser gegangen als vielen anderen Projekten, bei denen am Ende dort gespart wird, wo es am leichteste­n geht: bei den Freiräumen. Bemerkensw­ert ist auch, dass in den Publikatio­nen zur Biotope City Wienerberg nicht ein einziger Haus- oder Wohnungsgr­undriss enthalten ist. Das mag seine Gründe haben: Die dunklen Innengänge und einseitig ohne Querlüftun­g orientiert­en Grundrisse teilen sich die Neubauten mit ihrem Vorbild aus Alt-Erlaa.

Die Biotope City wird noch beweisen müssen, dass sie mehr ist als ein elegantes Instrument zur Erhöhung der Grundstück­sausnutzun­g, die in diesem Fall von den ersten Überlegung­en der Stadt bis zum realisiert­en Projekt 50 Prozent betragen haben soll. Hätte die Stadt Wien statt eines „kooperativ­en Verfahrens“einen gut vorbereite­ten und anonymen städtebaul­ichen Wettbewerb durchgefüh­rt, um zu untersuche­n, was das Areal an Dichte verträgt, wäre eine solche Steigerung wohl kaum eingetrete­n. Und die Biotope City hätte Luft zum Atmen.

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[ Foto: Kühn] Betonierte Wege, großzügig eingesetzt: Freiraum in der Biotope City auf dem Wienerberg in Wien-Favoriten.

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