Politische Uebersicht
Wien, 9. September 1871. Die Zusammenkunft der beiden Kaiser von Oesterreich und Deutschland in Salzburg und das Ergebnis der österreichischen Landtagswahlen bilden heute die Brennpunkte des öffentlichen Interesses. In Sachen der Salzburger Entrevue ergreift heute sogar unser amtliches Blatt, das sich selten zu dergleichen Manifestationen herbeiläßt, das Wort, um „die glückliche Uebereinstimmung der Politik der beiden Nachbarreiche“zu verkündigen.
Wenn auch nicht auf officieller Mittheilung beruhend, so ist diese Nachricht doch beglaubigt, daß zwar nicht in Vertragsform, so doch durch die Verabredung Deutschlands mit Oesterreich eine Gleichheit der politischen Tendenz erzielt hat, und die eingetretene Harmonie wird noch durch die Salzburger Briefe verstärkt, welche nicht genug Worte finden, zu betonen, in wie auszeichnender Weise Se. Majestät der Kaiser den Fürsten Bismarck empfangen, und wie der deutsche Reichskanzler in der nachdrücklichen Weise die Politik des Grafen Beust als Unterpfand der Freundschaft und des Friedens anerkannt hat.
Eine schreiende Disharmonie zu den Salzburger Meldungen bilden die Betrachtungen über das Wahlergebnis in Mähren. Der in unserem heutigen Leitartikel entwickelte Gedanke, daß die Verfassungspartei nicht passive Assistenz leisten dürfe bei Beseitigung der Verfassung, wir nicht nur von der hiesigen freisinnigen Presse gleichfalls ausgesprochen, sondern auch in den deutschen Provinz-Organen formulirt. „Lassen wir sie (die Feudalen und Czechen) allein wirthschaften!“erklärt der „Tagesbote aus Mähren“.
Durch das Fernbleiben der Verfassungspartei vom mährischen Landtage wäre es letzterem unmöglich gemacht, die Wahlordnung auf gesetzmäßigem Wege zu ändern, weil zu derartigen Beschlüssen die Anwesenheit von drei Vierteln der Mitglieder erforderlich ist. Dasselbe Hindernis stellt sich den für Böhmen und Oberösterreich projectirten neuen Wahlordnungen entgegen.