Athen verjüngt sich – mit Promenaden und Verkehrsberuhigung
Die antike Stadt wird zusehends jünger: Eine der längsten Promenaden Europas soll die großen Monumente der Antike und der Moderne fußgängerfreundlich miteinander verbinden – attraktiv auch für Radfahrer, Scooter und Skater.
Moment einmal, wieso hallen die Schritte der Evzonen, der griechischen Präsidialgardisten, heute so klangvoll? Deutlich hörbar schmettern sie ihre Schnabelschuhe, die Tsarouchia mit den großen Puscheln, aufs Pflaster, gerade in die Leoforos Vasilissis Sofias einbiegend. Vor dem Parlament war wohl gerade Wachwechsel. Den Blick geradeaus gerichtet, marschieren die Soldaten zurück zum Stützpunkt am Nationalgarten. Hier, an der großen Kreuzung am Syntagma-Platz, fehlt irgendetwas. Kein Stau, es ist viel leiser – was ist denn in Athen los?
Wo vor Kurzem noch der Verkehr mit Gehupe mehrspurig in die Panepistimiou hineinrauschte, stehen nun riesige Blumenkübel. Geht man weiter in die Straße hinein, sind einige Fahrspuren sogar bunt bemalt, grün und gelb. Die Odos Panepistimiou, die vom Syntagma zum Omonia-Platz führt, gilt als stark befahrene Hauptstraße im Athener Zentrum. Und nun stehen hier Palmen auf der Straße, gibt es Fuß- und Radwege und eine Busspur. Dafür wurden von den sechs Fahrspuren drei für den Verkehr gesperrt. In Athen geht etwas vor, etwas Großes.
Revitalisierung der Innenstadt
Eines der größten Städtebauprojekte des Landes wurde in Angriff genommen: mehr Gehsteige und Fußgängerzonen, mehr Radwege, mehr Grün und 50.000 Quadratmeter öffentliche Freiflächen sollen geschaffen und nicht nur einzelne Straßen, sondern ganze Stadtviertel vom Durchgangsverkehr befreit werden. Ein Pilotprojekt namens „Great City Walk“brachte das gewaltige Vorhaben im Coronajahr 2020 zunächst flott in Gang.
„Wir haben Staus, seit es Autos gibt, und Jahrzehnte damit verbracht, nach Lösungen zu suchen“, brachte der Bürgermeister Kostas Bakoyannis das Athener Problem auf den Punkt, als er das Projekt der Öffentlichkeit vorstellte. Pläne zur Verkehrsberuhigung und Revitalisierung der Innenstadt lagen schon seit Jahren fix beschlossen in der Schublade.
Doch die Autos aus der City wegzubekommen, weg von der Akropolis und weg von der Athener Trilogie, den drei klassizistischen öffentlichen Gebäuden an der Panepistimiou auf halben Weg zwischen dem Syntagma-Platz und Omonia-Platz, schien unmöglich. Zu heikel, zu gewagt; eher würde man Eulen nach Athen tragen als die Spritfresser aus der Stadt zu bannen. Doch als der Verkehr dann coronabedingt abebbte, lernten die Athener die saubere Luft doch zu schätzen. Der Bürgermeister fasste Mut: „Es gibt nun auch in Athen ein Bewusstsein dafür, dass schlechte Luftqualität ein Gesundheitsrisiko darstellt. Es war an der Zeit, ein visionäres Projekt abzuschließen.“
Krise als Katalysator
So wurde mitten im Corona-Lockdown eine der größten jemals für Athen geplanten urbanen Innovationen mit großer Mehrheit vom Stadtrat bestätigt. Bereits kurz darauf wurde die Idee des „Great Walk“mit XXLPflanzkübeln und bunt bemalten Fahrspuren den Einwohnern auf den Straßen optisch sichtbar veranschaulicht.
Auftakt, Trommelwirbel: Athen will die längste und schönste Promenade Europas errichten und mit den neu verbundenen Boulevards die archäologischen Schätze von Weltrang, die antiken Sehenswürdigkeiten Athens, prachtvoll in Szene setzen. Den Einwohnern soll eine verkehrsberuhigte, fußgängerfreundliche City mehr Lebensqualität verschaffen. Ganze Viertel werden vom Autoverkehr
befreit: das historische Dreieck, die Plaka, die Straße Irodou Attikou mit dem Kronprinzenpalais und angrenzenden Nationalgarten, die Einkaufsstraße Ermou und die Mitropoleos mit der bekannten Kathedrale Mariä Verkündigung, die Leoforos Vasilissis Olgas und die Athinas, die an den Markthallen vorbeiführt.
Ein Radwegenetzwerk und neue Busspuren sind geplant, und später könnten Korridore das Nationale Archäologische Museum und die Viertel Kerameikos und Akademia Platonos anbinden. Zum schönsten Stadtrundgang Europas mit einer Gesamtlänge von 6,8 Kilometern werden auch die Leof. Vasilissis Sofias, die Vas. Amalias und natürlich die Panepistimou zählen.
Theophil Hansens Athener Trilogie
Genau die führt uns mit jetzt mit ihren bunt getünchten Bahnen weiter, hinauf zur berühmten Athener Trilogie. Federgräser wiegen sich im Wind: Die Pflanzkästen auf der Straße halten den Verkehr etwas fern und geben den drei berühmten, nach antiken griechischen Vorbildern errichteten Bauten mehr Raum. Das vom dänischen Architekten Theophil Freiherr von Hansen errichtete klassizistische Ensemble galt bis ins 20. Jahrhundert als geistiges Zentrum der Stadt. Breite Gehsteige öffnen den Blick auf die Akademie, die Universität in der Mitte und auf Athens erste Nationalbibliothek. Studenten sitzen auf der Empore. Auf der grünen Bahn spaziert ein Paar mit Kindern. Junggebliebene Erwachsene auf Scootern rollern vorbei.
Und dennoch: Ganz Athen war nicht erfreut über die Vision einer verkehrsberuhigten Hauptstadt. Kritik kam reichlich, auch viel Konstruktives. Der Titel „Great City
Walk“kippte. Doch der Plan blieb. „Es ist sehr wichtig, dass dieses Projekt mit Dialog und Zustimmung beginnt, denn es ist eine Veränderung für uns alle“, setzt der Bürgermeister weiter auf Bürgerbeteiligung. Also wurden in der ersten Phase nur mobile Absperrungen zum Ausprobieren verwendet; und auch Pflanzkübel und Farbe konnte man leicht wieder entfernen. Die Athener sollen sich langsam an ihre neue Stadt gewöhnen können. Im August starteten die ersten dauerhaften Eingriffe mit breiten Gehwegen und hohen Bäumen am unteren Ende des Syntagma-Platzes und der angrenzenden Panepistimiou. Ende des Jahres soll das stehen.
Obwohl schon etwa 7500 Jahre alt, ist Athen ständig in Bewegung. Nachdem vor vier Jahren das Stavros-Niarchos-Kulturzentrum in Kallithea eröffnet wurde, in das die Griechische Nationalbibliothek und die Griechische Nationaloper einzogen, geht es Schlag auf Schlag. In Kampagnen präsentiert sich Athen als Smart Home für DigitalWorkers und freut sich über den Zuzug von Kreativen aus aller Welt. Nach achtjährigem Umbau öffnete die Nationalgalerie neben dem Athener Hilton. Auch das Hilton an der Leoforos Vasilissis Sofias wirkt als Kunststätte: Einer der bedeutendsten Maler des Landes, Yannis Moralis, schuf an den Fassaden des 15 Stockwerke hohen Gebäudes „Szenen des antiken Griechenlands“auf je über 600 Quadratmetern. Es war Athens erstes internationales Großhotel, das bereits 1963 die erste zeitgenössische Art Gallery der Stadt etablierte. Gleich vor dem markanten Bau steht eines der bekanntesten Symbole des urbanen, modernen Athens: die zwölf Meter hohe Figur Drome´as, „der Läufer“. Das 17-Tonnen-Kunstwerk fertigte der Künstler Costas Varotsos aus dunkelgrünem Glas. Es stand einst auf der Plate´ıa Omono´ıas.
Wiederbelebter Omonia-Platz
Und auch dieser Platz zeigt sich seit Kurzem neu. Omonia, der einstige Hauptbahnhof der Athen-Piräus-Bahn, galt in den 1960erund 1970er-Jahren als repräsentativer Platz, der später seinen Glanz verlor und mitsamt der angrenzenden Straßenzüge wegen Kleinkriminalität und als Treffpunkt illegaler Immigranten abgeschrieben wurde. Die Stadt Athen restaurierte den historischen Platz im vergangenen Jahr, ersetzte alle Gehsteigplatten durch thermoneutralen Boden und brachte die Fontäne von 1958 zurück: Gerade steigt sie auf, an die zwanzig Meter hoch, und eröffnet ihr Wasserspiel aus 188 Düsen.
Daneben steht ein hydrokinetisches Kunstwerk: „Five Circles“, geschaffen vom Bildhauer George Zongolopoulos, der international für seine Umbrella-Installationen bekannt wurde. Auch das 101 Jahre alte Kaffeehaus Neon wurde wiederbelebt, hippe Rooftop-Bars wurden eröffnet – nun mit Fontänenblick.
Neue Hotels am Omonia-Platz setzen auf ein urbanes, junges Publikum. So spiegelt das Innendesign des Hotels Brown Acropol mit authentischen Vintage-Objekten auch die Glorie des Platzes der 60er-Jahre wieder. Omonia ist wieder chic geworden. Ja, Athen verjüngt sich – und ist auf gutem Weg, die Vergangenheit mit der Moderne zu verbinden.