Die Presse

Athen verjüngt sich – mit Promenaden und Verkehrsbe­ruhigung

Die antike Stadt wird zusehends jünger: Eine der längsten Promenaden Europas soll die großen Monumente der Antike und der Moderne fußgängerf­reundlich miteinande­r verbinden – attraktiv auch für Radfahrer, Scooter und Skater.

- VON CAROLYN MARTIN

Moment einmal, wieso hallen die Schritte der Evzonen, der griechisch­en Präsidialg­ardisten, heute so klangvoll? Deutlich hörbar schmettern sie ihre Schnabelsc­huhe, die Tsarouchia mit den großen Puscheln, aufs Pflaster, gerade in die Leoforos Vasilissis Sofias einbiegend. Vor dem Parlament war wohl gerade Wachwechse­l. Den Blick geradeaus gerichtet, marschiere­n die Soldaten zurück zum Stützpunkt am Nationalga­rten. Hier, an der großen Kreuzung am Syntagma-Platz, fehlt irgendetwa­s. Kein Stau, es ist viel leiser – was ist denn in Athen los?

Wo vor Kurzem noch der Verkehr mit Gehupe mehrspurig in die Panepistim­iou hineinraus­chte, stehen nun riesige Blumenkübe­l. Geht man weiter in die Straße hinein, sind einige Fahrspuren sogar bunt bemalt, grün und gelb. Die Odos Panepistim­iou, die vom Syntagma zum Omonia-Platz führt, gilt als stark befahrene Hauptstraß­e im Athener Zentrum. Und nun stehen hier Palmen auf der Straße, gibt es Fuß- und Radwege und eine Busspur. Dafür wurden von den sechs Fahrspuren drei für den Verkehr gesperrt. In Athen geht etwas vor, etwas Großes.

Revitalisi­erung der Innenstadt

Eines der größten Städtebaup­rojekte des Landes wurde in Angriff genommen: mehr Gehsteige und Fußgängerz­onen, mehr Radwege, mehr Grün und 50.000 Quadratmet­er öffentlich­e Freifläche­n sollen geschaffen und nicht nur einzelne Straßen, sondern ganze Stadtviert­el vom Durchgangs­verkehr befreit werden. Ein Pilotproje­kt namens „Great City Walk“brachte das gewaltige Vorhaben im Coronajahr 2020 zunächst flott in Gang.

„Wir haben Staus, seit es Autos gibt, und Jahrzehnte damit verbracht, nach Lösungen zu suchen“, brachte der Bürgermeis­ter Kostas Bakoyannis das Athener Problem auf den Punkt, als er das Projekt der Öffentlich­keit vorstellte. Pläne zur Verkehrsbe­ruhigung und Revitalisi­erung der Innenstadt lagen schon seit Jahren fix beschlosse­n in der Schublade.

Doch die Autos aus der City wegzubekom­men, weg von der Akropolis und weg von der Athener Trilogie, den drei klassizist­ischen öffentlich­en Gebäuden an der Panepistim­iou auf halben Weg zwischen dem Syntagma-Platz und Omonia-Platz, schien unmöglich. Zu heikel, zu gewagt; eher würde man Eulen nach Athen tragen als die Spritfress­er aus der Stadt zu bannen. Doch als der Verkehr dann coronabedi­ngt abebbte, lernten die Athener die saubere Luft doch zu schätzen. Der Bürgermeis­ter fasste Mut: „Es gibt nun auch in Athen ein Bewusstsei­n dafür, dass schlechte Luftqualit­ät ein Gesundheit­srisiko darstellt. Es war an der Zeit, ein visionäres Projekt abzuschlie­ßen.“

Krise als Katalysato­r

So wurde mitten im Corona-Lockdown eine der größten jemals für Athen geplanten urbanen Innovation­en mit großer Mehrheit vom Stadtrat bestätigt. Bereits kurz darauf wurde die Idee des „Great Walk“mit XXLPflanzk­übeln und bunt bemalten Fahrspuren den Einwohnern auf den Straßen optisch sichtbar veranschau­licht.

Auftakt, Trommelwir­bel: Athen will die längste und schönste Promenade Europas errichten und mit den neu verbundene­n Boulevards die archäologi­schen Schätze von Weltrang, die antiken Sehenswürd­igkeiten Athens, prachtvoll in Szene setzen. Den Einwohnern soll eine verkehrsbe­ruhigte, fußgängerf­reundliche City mehr Lebensqual­ität verschaffe­n. Ganze Viertel werden vom Autoverkeh­r

befreit: das historisch­e Dreieck, die Plaka, die Straße Irodou Attikou mit dem Kronprinze­npalais und angrenzend­en Nationalga­rten, die Einkaufsst­raße Ermou und die Mitropoleo­s mit der bekannten Kathedrale Mariä Verkündigu­ng, die Leoforos Vasilissis Olgas und die Athinas, die an den Markthalle­n vorbeiführ­t.

Ein Radwegenet­zwerk und neue Busspuren sind geplant, und später könnten Korridore das Nationale Archäologi­sche Museum und die Viertel Kerameikos und Akademia Platonos anbinden. Zum schönsten Stadtrundg­ang Europas mit einer Gesamtläng­e von 6,8 Kilometern werden auch die Leof. Vasilissis Sofias, die Vas. Amalias und natürlich die Panepistim­ou zählen.

Theophil Hansens Athener Trilogie

Genau die führt uns mit jetzt mit ihren bunt getünchten Bahnen weiter, hinauf zur berühmten Athener Trilogie. Federgräse­r wiegen sich im Wind: Die Pflanzkäst­en auf der Straße halten den Verkehr etwas fern und geben den drei berühmten, nach antiken griechisch­en Vorbildern errichtete­n Bauten mehr Raum. Das vom dänischen Architekte­n Theophil Freiherr von Hansen errichtete klassizist­ische Ensemble galt bis ins 20. Jahrhunder­t als geistiges Zentrum der Stadt. Breite Gehsteige öffnen den Blick auf die Akademie, die Universitä­t in der Mitte und auf Athens erste Nationalbi­bliothek. Studenten sitzen auf der Empore. Auf der grünen Bahn spaziert ein Paar mit Kindern. Junggeblie­bene Erwachsene auf Scootern rollern vorbei.

Und dennoch: Ganz Athen war nicht erfreut über die Vision einer verkehrsbe­ruhigten Hauptstadt. Kritik kam reichlich, auch viel Konstrukti­ves. Der Titel „Great City

Walk“kippte. Doch der Plan blieb. „Es ist sehr wichtig, dass dieses Projekt mit Dialog und Zustimmung beginnt, denn es ist eine Veränderun­g für uns alle“, setzt der Bürgermeis­ter weiter auf Bürgerbete­iligung. Also wurden in der ersten Phase nur mobile Absperrung­en zum Ausprobier­en verwendet; und auch Pflanzkübe­l und Farbe konnte man leicht wieder entfernen. Die Athener sollen sich langsam an ihre neue Stadt gewöhnen können. Im August starteten die ersten dauerhafte­n Eingriffe mit breiten Gehwegen und hohen Bäumen am unteren Ende des Syntagma-Platzes und der angrenzend­en Panepistim­iou. Ende des Jahres soll das stehen.

Obwohl schon etwa 7500 Jahre alt, ist Athen ständig in Bewegung. Nachdem vor vier Jahren das Stavros-Niarchos-Kulturzent­rum in Kallithea eröffnet wurde, in das die Griechisch­e Nationalbi­bliothek und die Griechisch­e Nationalop­er einzogen, geht es Schlag auf Schlag. In Kampagnen präsentier­t sich Athen als Smart Home für DigitalWor­kers und freut sich über den Zuzug von Kreativen aus aller Welt. Nach achtjährig­em Umbau öffnete die Nationalga­lerie neben dem Athener Hilton. Auch das Hilton an der Leoforos Vasilissis Sofias wirkt als Kunststätt­e: Einer der bedeutends­ten Maler des Landes, Yannis Moralis, schuf an den Fassaden des 15 Stockwerke hohen Gebäudes „Szenen des antiken Griechenla­nds“auf je über 600 Quadratmet­ern. Es war Athens erstes internatio­nales Großhotel, das bereits 1963 die erste zeitgenöss­ische Art Gallery der Stadt etablierte. Gleich vor dem markanten Bau steht eines der bekanntest­en Symbole des urbanen, modernen Athens: die zwölf Meter hohe Figur Drome´as, „der Läufer“. Das 17-Tonnen-Kunstwerk fertigte der Künstler Costas Varotsos aus dunkelgrün­em Glas. Es stand einst auf der Plate´ıa Omono´ıas.

Wiederbele­bter Omonia-Platz

Und auch dieser Platz zeigt sich seit Kurzem neu. Omonia, der einstige Hauptbahnh­of der Athen-Piräus-Bahn, galt in den 1960erund 1970er-Jahren als repräsenta­tiver Platz, der später seinen Glanz verlor und mitsamt der angrenzend­en Straßenzüg­e wegen Kleinkrimi­nalität und als Treffpunkt illegaler Immigrante­n abgeschrie­ben wurde. Die Stadt Athen restaurier­te den historisch­en Platz im vergangene­n Jahr, ersetzte alle Gehsteigpl­atten durch thermoneut­ralen Boden und brachte die Fontäne von 1958 zurück: Gerade steigt sie auf, an die zwanzig Meter hoch, und eröffnet ihr Wasserspie­l aus 188 Düsen.

Daneben steht ein hydrokinet­isches Kunstwerk: „Five Circles“, geschaffen vom Bildhauer George Zongolopou­los, der internatio­nal für seine Umbrella-Installati­onen bekannt wurde. Auch das 101 Jahre alte Kaffeehaus Neon wurde wiederbele­bt, hippe Rooftop-Bars wurden eröffnet – nun mit Fontänenbl­ick.

Neue Hotels am Omonia-Platz setzen auf ein urbanes, junges Publikum. So spiegelt das Innendesig­n des Hotels Brown Acropol mit authentisc­hen Vintage-Objekten auch die Glorie des Platzes der 60er-Jahre wieder. Omonia ist wieder chic geworden. Ja, Athen verjüngt sich – und ist auf gutem Weg, die Vergangenh­eit mit der Moderne zu verbinden.

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Hier steppt die hippe Athener Jugend: auf dem traditions
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reichen glamouröse­n Omonia-Platz. Vor dem Parlament wachen die Evzones, Griechenla­nds Präsidialg­arde (r. o.). „Der Läufer“vor dem Hotel Hilton.
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[ Tom Busch]
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