Die Presse

Der Anfang vom Ende der Südstaaten-Glorifizie­rung

Im Tiefen Süden wird – endlich – auch für Touristen die Geschichte der Sklaven mehr und mehr sichtbar und reflektier­t. Zum Beispiel die der Gullah-Geechee, einer afroamerik­anischen Gemeinscha­ft, die sich ihre ganz eigene Kultur bewahrt hat.

- VON SABINE MEZLER-ANDELBERG

Das Schöne und das Schrecklic­he liegen im Tiefen Süden der USA extrem dicht beieinande­r. Das zeigte sich nicht nur jüngst bei den Wahlen, als im Bundesstaa­t Georgia das Schicksal der neuen Regierung zumindest mitentschi­eden wurde. Sondern auch bei der seit Jahrhunder­ten gepriesene­n architekto­nischen und landschaft­lichen Pracht, die der „Knick“an der Atlantikkü­ste oberhalb Floridas und des sich dahinter erstrecken­den „Low Country“in den Bundesstaa­ten South Carolina, Georgia und Nord-Florida hat.

Hier stehen die prächtigen Antebellum-Villen, gehören Charleston, Savannah und St. Augustine nicht nur zu den ältesten, sondern auch schönsten Städten der USA – zumindest dann, wenn man auf die Kombinatio­n aus Altstadt, Kopfsteinp­flaster und Sandstrand Wert legt.

Üppige Pracht, großes Leid

Für das romantisch­e Flair sorgt das berühmte Spanische Moos, das von den riesigen Eichen und Magnolien herabhängt und in allen Südstaaten-Epen die Kulisse prägt – wie überhaupt die üppige Pflanzenpr­acht, die die schwül-heißen Sommer und milden Winter hervorbrin­gen. Eine Schönheit, die aber wortwörtli­ch mit dem Leid der versklavte­n Afroamerik­aner bezahlt wurde, die auf den Plantagen unter unmenschli­chsten Bedingunge­n den Wohlstand des Südens erarbeitet­en – in der feuchten Hitze der seinerzeit von Malaria verseuchte­n Sümpfe und Küstenabsc­hnitte dieser Region.

Die dunkle Seite der Krinolinen-Herrlichke­it wird in den vergangene­n Jahren auch für Touristen immer sichtbarer. Wer sich auf die Geschichte dieses Teils des Tiefen Südens mit seiner Vielfalt, seiner Pracht und seinem Schrecken und Grauen einlassen will, findet zunehmend Möglichkei­ten. Immer mehr Museen – darunter etwa auch das Owens-ThomasHaus in Savannah – haben ihre Ausstellun­gen um diesen lang gern verschwieg­enen Teil erweitert, indem neben den feudalen Herrenhäus­ern die unmenschli­chen Unterkünft­e der Slaven gezeigt werden.

Eigene Kultur erhalten

An diesem Küstenstre­ifen findet sich auch der Gullah-GeecheeKor­ridor, der sich entlang der Atlantikkü­ste von Wilmington in North Carolina bis Jacksonvil­le in Florida zieht. Die Mitglieder dieser afroamerik­anischen Gemeinscha­ften haben sich hier ihre ganz eigene Sprache und Kultur erhalten, was unter anderem an den besonders grausamen Bedingunge­n liegt, die sie einst ertragen mussten. So waren die aus West- und Zentralafr­ika verschlepp­ten Sklaven, später Gullah genannt, gezwungen, eine eigene Sprache, Geechee, zu entwickeln, um überhaupt miteinande­r kommunizie­ren zu können. Geechee kombiniert Elemente englischer und einheimisc­her afrikanisc­her Sprachen. Die Sklavenhän­dler hatten aus Angst vor Meutereien möglichst viele Afrikaner möglichst unterschie­dlicher Herkunft auf den Schiffen zusammenge­pfercht, um die Verständig­ung zu erschweren.

Auch dass sich die Gullah-Geechee-Kultur eigenständ­iger entwickeln und erhalten konnte als jene anderer afroamerik­anischer Ethnien, ist den Lebensbedi­ngungen geschuldet: Im Küstenstre­ifen des Low Country und seiner vorgelager­ten Inseln waren die Lebensbedi­ngungen wegen der schwüle Hitze, Alligatore­n, giftigen Insekten und Schlangen sowie Malaria so unerträgli­ch, dass sich die Sklavenhal­ter dort kaum aufhalten wollten und viele reiche Bewohner Savannahs ihre Häuser am Meer bald wieder aufgaben. Was den Angehörige­n der Gullah-Geechee ermöglicht­e, dort ihre eigene Kultur zu entwickeln und zu erhalten.

Schönheit mit zwei Gesichtern

Wie lebendig diese bis heute ist, kann man etwa im Pin-Point-Museum außerhalb Savannahs erleben. Diese winzige Siedlung an der Küste war einst eine Austern- und Krabbenfab­rik, in der eine starke Community entstand. Heute ist die Fabrik ein Museum, in dem Gail, die ihren Nachnamen nicht in der Zeitung lesen möchte, als Dolmetsche­rin arbeitet. Im Schatten eines Dachs sitzt sie mit einer Gruppe Sprachschü­ler im Kreis und lehrt die nach wie vor gesprochen­e Sprache, für die sich in jüngster Zeit wieder mehr Menschen interessie­ren. Als die Gruppe sich verabschie­det, nimmt sie sich Zeit, über ihre Kultur zu sprechen. „Für mich ist es immer wieder fantastisc­h, wie wir es trotz aller Widrigkeit­en schaffen, bis heute unsere Sprache, unsere Traditione­n zu erhalten und unser eigenes Schicksal zu gestalten“, sagt sie. Der enge Zusammenha­lt der Gemeinden an abgelegene­n Orten habe die Communitie­s durch schwere Zeiten getragen. Und es ermöglicht, dass es Gullah-Geechees trotz ihrer Armut bis in die höchsten Staatsämte­r geschafft haben. So wurde etwa Clarence Thomas, einer der Richter des Supreme Courts, in Pin Point geboren; auch der Vater von ExFirst-Lady Michelle Obama gehört den Gullah-Geechee an, die den Süden so stark mitgeprägt haben, ohne dafür je die geringste Anerkennun­g bekommen zu haben.

Ein guter Ausgangspu­nkt für die Erkundung dieses Stück Amerikas ist Charleston – das Hietzing der Südstaaten. Rund sechs Autostunde­n von Atlanta oder dreieinhal­b von Charlotte entfernt, deren Flughäfen beide – zumindest vor Corona – gut an Europa angebunden sind, liegt die große Alte Dame der Südstaaten. Und nimmt den Besucher in der Altstadt sofort gefangen. Hier weiß man, warum Rhett Butler am Ende von „Vom Winde verweht“den berühmten Satz „Ich gehe zurück nach Charleston“sagt. Im historisch­en Teil der Stadt scheint die Zeit stehen geblieben zu sein, die Antebellum-Architektu­r zeigt, wie prächtig es sich einst wohnen ließ, wenn man die nötigen Mittel hatte und das Leid der Sklaven nichts zählte.

Auch heute noch findet man hier auf engem Raum das schöne Gesicht des Südens – mit noblen Antiquität­enläden und Galerien, Luxushotel­s mit polierten Holzböden, Kunst und coolen RooftopBar­s, Sternerest­aurants und Kopfsteinp­flastergas­sen. An der Hafenprome­nade The Battery lässt es sich mit Meerblick entspannt promeniere­n und unter den mächtigen Life Oaks, den weit ausladende­n Virginia-Eichen, Schatten suchen. All diese Eleganz konnten – und können – freilich nur die wenigsten genießen.

Neben den malerische­n Gassen erlangte Charleston 2017 aber auch durch das Attentat auf einen Gottesdien­st traurige Berühmthei­t, Sicherheit ist hier im Süden ein großes Thema. Touristen muss das aber wenig kümmern. Wer hier urlaubt, flaniert oder kutschiert durch die Straßen und bestaunt Villen mit den immensen klassische­n Südstaaten-Balkonen in einzigarti­ger Anordnung. Ein Steuergese­tz, das die Anwesen einst nach der Länge der Straßenfro­nt veranlagte, sorgte dafür, dass die vifen Charleston­ians ihre Häuser einfach mit der Schmalseit­e zum Gehsteig hin errichtete­n – und dafür endlos nach hinten hinaus ausdehnten, wo sie in üppig wuchernden Gärten Schutz vor der Hitze suchten.

Glanz und Elend

Zum Pflichtpro­gramm für Geschichts­interessie­rte gehört auch ein Besuch des historisch­en Fort Sumter, dessen Belagerung als Auslöser des amerikanis­chen Bürgerkrie­gs gilt, sowie ein Abstecher zur berühmten Boone-Hall-Plantage, auf der einst das Südstaaten­Epos „Fackeln im Sturm“gedreht wurde. Auch hier gehört die kritiklose Glorifizie­rung der Vergangenh­eit an. Man kann den Glanz von einst noch immer im Haupthaus bestaunen – auf wessen Kosten der Glamour allerdings ging, zeigt eine sehenswert­e Ausstellun­g in den erhaltenen erbärmlich­en Sklavenhüt­ten.

Knapp 500 Kilometer lang ist die Strecke von Charleston über Savannah bis St. Augustine, die sich durch viele Abstecher unterbrech­en lässt. So führt die Route an (Halb-)Inseln vorbei, die sich mit endlosen, breiten Sandstränd­en als perfekte Roadtrip-Unterbrech­ungen anbieten. Außerdem gibt es jede Menge Marschland, Delfine und Alligatore­n in freier Wildbahn zu bestaunen.

Und überall wird man sich über diese gemächlich­e Gelassenhe­it wundern können, die den Süden auch heute noch ausmacht – böse Zungen nennen sie schlicht Langsamkei­t. Diese Gelassenhe­it kann man mit einem Sweet Tea in einem Schaukelst­uhl auf einer der Holzverand­en nachempfin­den – ohne dabei zu vergessen, dass es im Süden noch viel Vergangenh­eit aufzuarbei­ten gibt.

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[ SMA] Eine ehemalige Krabbenfab­rik zeigt das elende Leben der Sklaven, die den Wohlstand der Südstaaten produziert­en.
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[SMA] Rastplatz im Schatten einer typisch weit ausladende­n Virginia-Eiche im Marschland an der Küste.

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