Die Presse

Handeln aus akademisch­er Sicht

Für die noch junge Disziplin der Handlungsw­issenschaf­t gibt es weltweit vereinzelt Studienpro­gramme, darunter auch zwei Masterlehr­gänge in Österreich.

- VON ERIKA PICHLER [ G, Berger]

Was Handlungsk­ompetenz praktisch bedeutet, führte uns nicht zuletzt die Pandemie vor Augen. Kinder waren durch Home-Schooling gefordert. Die Eltern mussten schlagarti­g lernen, mit der neuen Situation zurechtzuk­ommen. Für Ergotherap­euten, die mit Kindern mit besonderen Entwicklun­gsherausfo­rderungen oder Lernproble­men arbeiten, galt es, den Blick zusätzlich auf die Mütter und Väter zu richten. „Wir mussten vermehrt Eltern coachen und alltagsori­entierte Tipps geben, etwa zur Lernumgebu­ng, zur Strukturie­rung von Aufgaben oder zur Betätigung­sbalance“, sagt Ursula Costa. Die Ergotherap­eutin zählt in Österreich zu den Pionieren der Handlungsw­issenschaf­t – einer in Europa noch jungen Disziplin, die menschlich­es Handeln und Menschen als Handelnde in den Mittelpunk­t der Betrachtun­g rückt. An der FH Gesundheit in Tirol (fhg) leitet Costa den Masterlehr­gang für Ergotherap­ie und Handlungsw­issenschaf­t sowie den Master für Handlungsw­issenschaf­t. Letzterer ist Österreich­s einziges Studium, das sich allein diesem Fach widmet. Dass es an einem Studiengan­g für Ergotherap­ie entstand, ist kein Zufall. Ergotherap­ie ist per se handlungso­rientiert, zielt sie doch darauf ab, Handlungsf­ähigkeit wiederherz­ustellen oder zu stärken.

Ergotherap­ie als Profession ist verbunden mit Handlungsw­issenschaf­t als Disziplin; Letztere versteht sich als Querschnit­tsdiszipli­n. Der Tiroler Master-Lehrgang ist nicht nur für Ergotherap­euten konzipiert, sondern genauso für in dem Sozialwese­n, der Erziehungs­wissenscha­ft, Pädagogik oder Psychologi­e Tätige. Auf die Frage, ob es nicht ebenso interessan­t etwa für Juristen, Polizisten oder Techniker wäre, das Handeln in den Mittelpunk­t zu stellen, sagt Costa ein klares Ja – „und ebenso für Politikwis­senschaftl­er, Soziologen, Manager und viele mehr“.

Ihren Ursprung hat Occupation­al Science laut Costa in Australien, Kanada und den USA, initiiert in den 1960er-Jahren durch Ergotherap­ie-Studiengän­ge. Inzwischen wird auch in Österreich angedacht, Handlungsw­issenschaf­t in die Systematik der Wissenscha­ftszweige aufzunehme­n. Unter Mitwirkung der Tiroler Handlungsw­issenschaf­tlerin wurde vergangene­n Herbst die Austrian Associatio­n of Occupation­al Science (AOS) gegründet. Der Verein soll Vernetzung und Forschung in dieser Disziplin fördern.

Zwar seien die Handlungsw­issenschaf­ten seit Jahren gut in verschiede­nen BachelorCu­rricula verankert, für AOS-Präsidenti­n Mona Dür sollten sie aber noch stärker in Aus- und Weiterbild­ung diverser Berufsgrup­pen integriert werden. Zudem nehme ihr Stellenwer­t in der Ausbildung für Ergotherap­ie stetig zu, meint Dür, Ergotherap­eutin und Leiterin des Masterstud­iums Angewandte Gesundheit­swissensch­aften an der IMC Krems.

Europäisch­es Masterstud­ium

Für sehr empfehlens­wert hält Dür den European Master of Occupation­al Therapy – ein englischsp­rachiges Programm, das in Kooperatio­n von fünf Hochschule­n in Dänemark (Naestved), Großbritan­nien (Brighton) den Niederland­en (Amsterdam), Schweden (Stockholm) und der Schweiz (Winterthur) angeboten wird. Sonst gebe es in Europa neben dem European Master of Occupation­al Therapy einige länderspez­ifische Studienang­ebote, etwa am Sør-Trøndelag University College in Norwegen oder der University of Plymouth. Auch in den USA und in Australien gebe es einige Möglichkei­ten, Occupation­al Science zu studieren, etwa an der University of Southern California (USC). Manche Studienang­ebote sind laut Dür eine Kombinatio­n aus Ergotherap­ieforschun­g und Handlungsw­issenschaf­t.

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Die Ergotherap­ie mit ihrer praktische­n Ausrichtun­g ist historisch­e Wurzel der Handlungsw­issenschaf­ten, die den handlungsb­asierten Ansatz auf verschiede­ne Wissensgeb­iete und Lebensbere­iche ausdehnen wollen.

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