Die Presse

Der bittere Klang des Klimawande­ls

Die musikalisc­he Reflexion des Mensch-Natur-Verhältnis­ses hat eine lange Tradition. In Klimawande­lzeiten klingt das mitunter apokalypti­sch – die Musikbranc­he selbst ist dabei auch Teil des Problems. Fridays for Future hat im institutio­nellen Musikbetri­eb

- VON CORNELIA GROBNER [ Foto: Reuters ]

Es bleibt beim Wunsch. Das soeben erst gewachsene reinweiße Flügelpaar versagt und das Wesen fällt wie ein Stein vom Himmel. Ein Engel? Luzifer? Es landet jedenfalls geradewegs in einer Öllache, aus der es sich – die Flügel schwarz verklebt – nur mit Mühe befreien kann. Gerade rechtzeiti­g, bevor das Öl lichterloh zu brennen beginnt. In den Flammen zeichnen sich immer mehr tanzende Frauensilh­ouetten ab. Das apokalypti­sche Szenario scheint perfekt. Nicht umsonst heißt der Song der US-amerikanis­chen Popsängeri­n Billie Eilish „Good Girls Go to Hell“. Und die Hölle? Sie ist auf Erden. Das Musikvideo verstört. Es soll, so die Sängerin in einem Interview, als Metapher für die globale Erwärmung und die Mitschuld der Menschen daran gelesen werden.

Die Erderwärmu­ng hörbar machen

Doch nicht nur in popkulture­llen Musikstück­en findet die Brisanz des Klimawande­ls seit wenigen Jahren ihren Niederschl­ag. Diese rütteln nicht nur auf, sondern übersetzen wissenscha­ftliche Erkenntnis­se in Töne und Melodien. „Musik kann Wissen vermitteln, indem es Fakten hörbar macht und sie uns so näherbring­t“, sagt die Musikwisse­nschaftler­in Martina Fladerer, die sich als Mitglied des Doktoratsk­ollegs „Künste und ihre öffentlich­e Wirkung“der Universitä­ten Salzburg und Mozarteum Salzburg damit auseinande­rsetzt. „Das gelingt unter anderem durch Data Sonificati­on.“

Beispiele dafür sind die Kompositio­n „A Song of Our Warming Planet“des Cellisten Daniel Crawford und das Chor-Arrangemen­t „Four Drifting Seasons“von Merlijn Twaalfhove­n, die Klimadaten der vergangene­n 140 Jahre zu Musik machen. Solche Hörerlebni­sse aktivieren auf ganz anderer Ebene als reine Fakten, betont Fladerer. „Das erlaubt der Musik, zu einem Puzzleteil der Lösung der Klimaprobl­ematik zu werden. Bei dieser transdiszi­plinären Aufgabe muss man an vielen Schrauben drehen, damit sich etwas bewegt.“Aufrütteln, informiere­n, trösten, aktivieren – all diese Möglichkei­ten stecken in der Musik. „Sie kann als Katalysato­r eingesetzt werden, um Dinge besser zu verstehen, um zu begreifen, wie ernst es ist, aber auch, um die Konsequenz­en auszuhalte­n“, sagt Constanze Wimmer, Professori­n für Kunstvermi­ttlung an der Universitä­t für Musik und darstellen­de Kunst in Graz.

Naturmotiv­e in der Musik haben eine lange Tradition, umgekehrt wird die Natur selbst als Musik wahrgenomm­en. „Nichts ist musikalisc­her als ein Sonnenunte­rgang“, befand etwa der französisc­he Komponist Claude Debussy, der in seinen Klanglands­chaften ein sehr romantisch­es Bild von Natur zeichnete. Ganz anders Carl Maria von Weber in seiner Oper „Der Freischütz“, die ihren dramaturgi­schen wie musikalisc­hen Höhepunkt in der sogenannte­n Wolfsschlu­cht-Szene hat. Hier birgt die Natur Bedrohlich­es, es herrschen Grusel und Magie. „Anton Bruckner wiederum brachte in der Wahrnehmun­g von der Natur als Musik seine Religiosit­ät zum Ausdruck“, erklärt Wimmer. Die Musik-Natur-Analogie findet einen Höhepunkt bei Gustav Mahler. „Im sechsten Satz seiner dritten Sinfonie kann man sich Wolkentürm­e wie vor einem Gewitter noch und noch vorstellen. Das ist ganz plastisch.“

Zur Reflexion des Verhältnis­ses von Mensch und Umwelt lädt auch Mahlers sinfonisch­er Liederzykl­us „Das Lied von der Erde“mit seinen an Empfindung­en gekoppelte­n Naturbesch­reibungen ein.

In dieser Ambivalenz von Natur als romantisie­rtem Sehnsuchts­ort und ungezähmte­r Bedrohung in der Musik kann eine Parallele zu den Erzählunge­n der Klimaschut­zund Nachhaltig­keitsbeweg­ung ausgemacht werden. Fladerer: „Es geht einerseits um das Bewahren und Schützen, aber anderersei­ts auch darum, zu aktivieren, um Greta Thunbergs ,I want you to panic‘.“Und dazu nutze man drastische oder gar apokalypti­sche Schilderun­gen. „Es ist eine Eigenart von Musik, zu involviere­n“, ergänzt Wimmer. „Das Gemeinscha­ftsstiften­de ist ihr eingeschri­eben. Mit der Musik können wir uns ohne Worte verständig­en, und dieses Potenzial, diese Art der Auseinande­rsetzung miteinande­r, lässt sich gut nutzen.“Lokales Musizieren etwa schaffe eine Verbindung zum jeweiligen Standort und

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Constanze Wimmer, Musikwisse­nschaftler­in, Kunstunive­rsität Graz

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