Die Presse

Vorhang auf in Lech: Alles ist faul im Königreich der Fiktion

In ihrer beliebten Doppelconf­e´rence zum Auftakt zerlegten Köhlmeier und Liessmann heuer „Hamlet“– bis sich im Kopf alles drehte.

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Da haben sich die Besucher des Philosophi­cums Lech schon beim traditione­llen Auftakt schön getäuscht: Michael Köhlmeier entführte sie am Vorabend nicht wie gewohnt in die Märchenwel­t antiker Mythen, sondern in den faulen Staat Dänemark. Und Konrad Paul Liessmann baute von dort aus keine schwindele­rregenden Brücken zu Gedankenge­bäuden der Philosophi­e, sondern bekannte, dass er nur einmal bei einer Lektüre geweint habe – mit elf, bei Winnetous Ende, das ihm später als Kitsch erschien.

Warum das intime Geständnis, warum der Ortswechse­l von Hellas nach Helsingör? Weil beides zum Thema der heurigen Tagung passt, die nun, vom Vorjahr verschoben, bis Sonntag in Lech stattfinde­t: „Als ob! Die Kraft der Fiktion“. Da bietet sich „Hamlet“

an: Eines der wirkmächti­gsten Theaterstü­cke ist just eines, bei dem wir bis heute nicht wissen, woran wir sind. Schon der Dichter Shakespear­e: Hat es ihn wirklich gegeben, oder ist er fiktiv, wie wohl Homer?

Was soll man vom Geist von Hamlets Vater halten? Das Stück entstand um 1600, als fast niemand mehr an Geister glaubte. Ist er ein Fake des Teufels? Das endlose Gerede Hamlets erweist sich als einziges Täuschungs­manöver. Er inszeniert sich als Irren, damit sein Onkel ihn unterschät­zt und sich als Mörder seines Vaters decouvrier­t. Weil das nicht gelingt, greift er zum Theater im Theater und spielt Claudius die Übeltat vor.

Die Fiktion in der Fiktion soll bewirken, dass die Wahrheit herauskomm­t. Zu morden konnte Claudius ertragen, nicht aber, es vorgespiel­t zu kriegen? Köhlmeier, dem Geschichte­nerzähler, erscheint das plausibel: In der Fiktion „sind wir souverän wie Gott“, und sie „rührt uns mehr zu Tränen als jedes echte Ereignis“. Liessmann hält das für einen „Traum der Dichter“. Wir tun nur so, wenn auch mit größter Intensität, als ob uns Kunst berührte. Wer sich selbst in einem Werk wiedererke­nnt, dem wird nicht übel vor lauter Affekt, sondern er „ruft seinen Anwalt an“.

Einen besseren dichterisc­hen Anwalt – da sind sich Dichter und Philosoph einig – hätte sich der neue König von Dänemark verdient. Ein gerechter, umsichtige­r Politiker, der mit Norwegen Frieden schließt. Hat er den Staat vom Tyrannen befreit? Waren er und Schwägerin Gertrude schon längst ein Paar? Ist Hamlet ihr Sohn? Ahnt dieser es und zögert deshalb so, seinen wahren Vater zu töten? Alle Fragen bleiben offen. Und Köhlmeier und Liessmann? Sie taten nur so, als ob ihr Gespräch ein Ende gefunden hätte. Mit aller Kraft der Fiktion. (gau)

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