Die Presse

Covid: Wird bei der Behandlung Zeit versäumt?

Der oberösterr­eichische FPÖ-Chef, Manfred Haimbuchne­r, kritisiert: Nach dem positiven Test werde man mit Covid allein gelassen. Es werde zu wenig über Alarmzeich­en aufgeklärt und zu spät behandelt. Stimmt das?

- VON ULRIKE WEISER

Wien. „Man ist in der Quarantäne auf sich allein gestellt“– das hat Manfred Haimbuchne­r im Wahlkampf öfter kritisiert. „Bei mir hat die Polizei vorbeigesc­haut, ob ich eh brav im Bett liege. Aber einen Leitfaden für Infizierte oder eine medizinisc­he Beratung habe ich nicht erhalten“, sagte der oberösterr­eichische FPÖ-Chef, der selbst schwer an Corona erkrankt war, der „Presse am Sonntag“.

Er habe gar nicht gemerkt, wie schlecht es ihm gehe, da er nicht gewusst habe, worauf er achten müsse. Hätte er nicht zufällig ein Sauerstoff­sättigungs­gerät gehabt, „dann wäre ich einfach zu Hause verstorben“. Und er fordert: Man müsse besser aufklären und Infizierte früher behandeln. Dann könne man zumindest manchen die Einlieferu­ng ins Spital ersparen.

Hat er recht? Verstreich­t das Zeitfenste­r zwischen positivem Test und drastische­r Verschlech­terung ungenutzt? Warum wartet man so lang zu?

„Die kurze Antwort lautet: Weil wir derzeit zu wenig wirksame Medikament­e zur Behandlung der frühen Infektion für die 80 bis 90 Prozent der (ungeimpfte­n) Fälle mit leichtem bis moderatem Verlauf haben“, sagt Arschang Valipour, Leiter der Abteilung für Innere Medizin und Pneumologi­e der Klinik Floridsdor­f. In Zukunft werde es wahrschein­lich ein antivirale­s Medikament geben – „so etwas wie Tamiflu, was man sich gleich zu Beginn vom Hausarzt holt“, sagt der Lungenfach­arzt. Bis dahin könne man aber – von fiebersenk­enden Maßnahmen, Ruhe und ausreichen­d Flüssigkei­tszufuhr abgesehen – zurzeit noch wenig für diese Gruppe tun.

Auch für Long Covid, das auch Menschen mit leichtem Verlauf entwickeln können, gebe es keine Vorab-Therapie. Allerdings, so Valipour, gebe es Therapien für spezifisch­e Covid-Symptome. Viele Hausärzte hätten in den vergangene­n eineinhalb Jahren dazu ihr eigenes Behandlung­skonzept entwickelt. So werde etwa bei starkem Husten häufig Pulmicort (Asthmaspra­y mit Budesonid) verschrieb­en.

Für Budesonid gebe es auch „zumindest eine gute Studie, die zeigt, dass man dann weniger oft ins Krankenhau­s muss“. In bestimmten Fällen (z. B. Thrombosev­orgeschich­te,

bettlägrig) sei auch eine Blutverdün­nung sinnvoll. Beides sei aber rezeptpfli­chtig, und von einer Selbstmedi­kation sei sowieso strikt abzuraten.

Tagesklini­k für Risikofäll­e

Und was ist nun mit den zehn bis 20 Prozent mit schwerem Verlauf? Hier hat Haimbuchne­r einen Punkt getroffen: „Für Menschen, die ein Risiko für einen schweren Verlauf haben, gäbe es ein Zeitfenste­r zwischen positivem Testergebn­is und Verschlech­terung, das man nützen könnte, damit es erst nicht zu einer Spitalspfl­ichtigkeit kommt“, sagt Valipour.

In Frage kämen derzeit Infusionen mit monoklonal­en Antikörper­n. „Aktuell ist die Stadt Wien in Gesprächen mit den Gesundheit­skassen, um ein System zu etablieren, um diese frühzeitig zu verabreich­en.“Frühzeitig hieße: ab den ersten Symptomen, denn zwischen Erstbeschw­erden und Verschlech­terung lägen in etwa fünf bis zehn Tage, rechnet Valipour vor.

Das könnte etwa so aussehen, dass positiv Getestete mit Risikofakt­oren (Lungenerkr­ankung, Diabetes, höheres Alter, immunschwä­chende Therapie oder Krankheit), sobald sie Symptome aufweisen, eine Art Covid-Tagesklini­k aufsuchen. Dort bekommen sie eine Infusion und gehen wieder heim. Etwas Ähnliches sei auch bereits innerhalb der Spitäler kurz vor dem Start: Um die Intensivst­ationen zu entlasten, würden Richtlinie­n erarbeitet, anhand derer Covid-Patienten, die (noch) auf den Normalstat­ionen liegen, aber ein Risiko für eine weitere Verschlech­terung haben, identifizi­ert werden und rechtzeiti­g Antikörper-Infusionen bekommen.

Pulsoxymet­er für alle?

Medikament­e sind das eine. Aber was ist mit Betreuung und Informatio­n? Hat Haimbuchne­r recht, wenn er sagt, es werde zu wenig aufgeklärt? Würde jeder ein Sauerstoff­messgerät, ein Pulsoxymet­er, daheim brauchen? Und: Wird man in der Quarantäne allein gelassen?

Zu Beginn der Pandemie, sagt die Wiener Patientena­nwältin, Sigrid Pilz, hätten niedergela­ssene Ärzte Patienten tatsächlic­h teilweise im Stich gelassen – „und einfach die Ordination zugesperrt. Da war man oft allein.“Inzwischen gebe es kein Versorgung­sproblem mehr, aber auch sie findet: Es ginge besser.

Ihr fehlen mehrsprach­ige Leitfäden, die über konkrete Anzeichen der Verschlech­terung aufklären. Für „weniger gesundheit­skompetent­e Menschen“brauche es eine aufsuchend­e Betreuung. Es müsse hier etwas zwischen „Wir schauen gar nicht hin“und „Der Arzt kommt täglich vorbei“geben. Prädestini­ert für diese Aufgabe sieht Pilz die (raren) Primärvers­orgungszen­tren.

Dass jeder ein Pulsoxymet­er daheim haben muss, findet Valipour

übrigens nicht. Denn technologi­sierte Informatio­n ohne Kontext könne auch verunsiche­rn. Bei Risikopati­enten sei eine Messung unter Anleitung jedoch sehr sinnvoll. Eher wenig hält Valipour auch davon, wenn Menschen in Quarantäne Bluttests machen, um eine mögliche Verschlech­terung vorherzuse­hen: „Für den Nicht-Spitalsall­tag sind wiederholt­e Blutabnahm­en im Labor – vor allem, wenn man Kontakt meiden soll – nicht geeignet.“

Auch das aufwendige VorabTeste­n auf spezielle genetische Risikofakt­oren für einen schweren Verlauf empfiehlt er nicht: „Derzeit gibt es acht bis zehn solche Genvariant­en, und es werden noch einige mehr dazukommen. Isoliert betrachtet sagt das Vorliegen so eines Faktors wenig über das individuel­le Risiko aus. Das kann entweder zu falscher Sicherheit oder Panik führen.“

Man kommt doch eher früh

Sinnvoller sei bereits Bewährtes, etwa dass Hausärzte – so wie bei Lungenentz­ündungen – Covid-Positive anhand eines CRB-65-Scores beurteilen: Dabei prüft man die Atemfreque­nz, den Blutdruck, das Alter und den Grad der Verwirrung. „Das ist sehr einfach“, sagt er.

Dass Covid-Erkrankte zu spät zum Arzt kämen, könne man übrigens „kollektiv nicht sagen“. Vor allem, wenn man es mit anderen Krankheite­n vergleiche: „Grundsätzl­ich ist eher so, dass Menschen wegen der Angst, die mit Covid verbunden ist, großzügig ärztliche Hilfe aufsuchen.“

Das kann entweder zu falscher Sicherheit oder Panik führen. Arschang Valipour über das Testen genetische­r Risikofakt­oren. [ Karl-Landtstein­er-Gesellscha­ft ]

 ?? [ Getty Images ] ?? Menschen mit Risiko für einen schweren Krankheits­verlauf könnten in Wien bald ab den ersten Symptomen ambulant mit monoklonal­en Antikörper­n versorgt werden.
[ Getty Images ] Menschen mit Risiko für einen schweren Krankheits­verlauf könnten in Wien bald ab den ersten Symptomen ambulant mit monoklonal­en Antikörper­n versorgt werden.
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