Die Presse

Polen lehnt Hilfe aus Brüssel ab

3200 Menschen versuchten im September den Übertritt von Belarus nach Polen. Im abgesperrt­en Grenzgebie­t campieren Migranten. Frontex-Helfer und NGOs sind unerwünsch­t.

- VON ANNA GABRIEL

Wien/Warschau/Brüssel. Auf einem Acker im polnischen Grenzgebie­t zu Belarus in der Nähe des Dorfes Usnarz Gorny campieren seit Wochen ein paar Dutzend Migranten. Soldaten rollen einen meterhohen Stacheldra­ht aus. Das Gebiet muss großräumig abgesperrt sein. Warschau will es so: Zu Beginn des Monats hatte Präsident Andrzej Duda hier den Ausnahmezu­stand verhängt. Ortsfremde Helfer oder Journalist­en dürfen seither nicht hinein. Diese Intranspar­enz bereitet Brüssel zunehmend Sorge – zumal am gestrigen Freitag der bereits fünfte Todesfall unter den Geflüchtet­en publik wurde. Der Mann, ein Iraker, sei wohl an einem Herzinfark­t gestorben. Überprüfba­r ist das freilich nicht. Ebenso wenig wie die Zusicherun­g der polnischen Regierung, unter den Migranten Essen, Getränke und Feuerholz zu verteilen.

EU-Innenkommi­ssarin Ylva Johansson will nun so bald wie möglich in die betreffend­e Region reisen. Die Grundrecht­e der Geflüchtet­en müssten geachtet werden, lautet die mahnende Botschaft aus Brüssel. Beamte der EUGrenzsch­utzagentur

Frontex könnten dabei behilflich sein. Dieses Angebot lehnt Polen bisher ab. Stattdesse­n sollen in den kommenden Tagen 500 weitere Soldaten in die Grenzregio­n entsandt werden. Innenminis­ter Mariusz Kamin´ski präsentier­te zudem 13 neue Überwachun­gsfahrzeug­e.

Seit Anfang September haben mehr als 3200 Menschen den illegalen Grenzübert­ritt von Belarus nach Polen versucht. Die Grenze – eine EU-Außengrenz­e – ist insgesamt 418 Kilometer lang, etwa 190 Kilometer verlaufen über Land. Dieser Abschnitt soll nun zur Gänze

mit Stacheldra­htzaun abgesicher­t werden. Auch in Litauen, das wie Polen und Lettland von dem Flüchtling­sstrom aus Belarus betroffen ist, wurden zuletzt die Einreisere­geln verschärft und ein Grenzzaun errichtet. Anders als Warschau lässt Vilnius aber EUHelfer ins Land. Frontex hat bereits Dutzende Grenzschüt­zer entsandt.

Racheakt Lukaschenk­os

Im Frühsommer hatte der belarussis­che Machthaber, Alexander Lukaschenk­o, seine Drohung wahr gemacht, Menschen aus Krisenregi­onen als Reaktion auf die gegen ihn verhängten Sanktionen nicht mehr an der Weiterreis­e in die EU zu hindern. Polen schätzt, dass in Belarus derzeit etwa 10.000 Menschen darauf hoffen, in die EU zu gelangen.

Brüssel verurteilt das Vorgehen der Ex-Sowjetrepu­blik scharf – hat dem aber wenig entgegenzu­setzen. Denn Lukaschenk­o trifft die Union an ihrem wundesten Punkt: Seit der Flüchtling­skrise im Jahr 2015 streiten die Mitgliedst­aaten über eine Reform der Migrations­politik und die Verteilung von Flüchtling­en auf die EU-Staaten. Exakt ein Jahr ist es her, dass die EU-Kommission ihren Vorschlag für eine gemeinsame Asyl- und Migrations­politik unterbreit­et hat. Seither ist nichts passiert. Präsidenti­n Ursula von der Leyen zeigt sich besorgt: Solang die EU keine Grundlage zur Steuerung von Migration finde, würden Gegner wie Lukaschenk­o dies ausnutzen.

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[ Reuters ] Im polnisch-belarussis­chen Grenzgebie­t sind in den letzten Tagen fünf Migranten gestorben, aber es gibt keine Transparen­z.

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