Die Taliban, die Schulmädchen und das Opium
In ihrer Hochburg Kandahar müssen die Islamisten nicht lang Überzeugungsarbeit leisten, um etwa strikte Geschlechtertrennung durchzusetzen. Auf dem Opiummarkt geht das Geschäft indes trotz neuer Verbote munter weiter.
Kandahar war schon immer unsere Basis“, sagt TalibanKommandeur Faizani Malawee. „Die Stadt ist das Zentrum unserer Bewegung, die uns nie im Stich gelassen hat.“
Er trägt Taliban-Style: schwarzen Turban und langen, dichten Bart bis auf die Brust. Links und rechts von ihm stehen Leibwächter mit amerikanischen Gewehren, Reservemagazinen und Funkgeräten. Am 12. August konnten die Taliban die für sie so symbolträchtige Handelsmetropole im Südwesten Afghanistans zurückerobern. Dort wurden die Taliban 1994 gegründet. Der legendäre einäugige Mullah Omar präsentierte sich 1996 in der Stadt mit dem Umhang des Propheten, um seinen Führungsanspruch über alle Gläubigen zu untermauern. Osama bin Laden trainierte auf der Tarnak-Farm alQaida-Kämpfer und plante die Anschläge vom 11. September 2001. „Der Gouverneur hat uns Kandahar kampflos übergeben“, sagt der Kommandeur mit demütiger Miene eines Islamisten, aber nicht ohne erkennbaren Stolz.
Töchter ab zwölf nicht in Schule
Nach 20 Jahren ist Kandahar erneut die wahre Hauptstadt der Taliban. Dort entscheiden sie über die Zukunft Afghanistans. Ob Mullah Baradar, der das Doha-Abkommen mit den USA aushandelte, oder andere namhafte Führungsmitglieder – sie alle pendeln zwischen Kabul und Kandahar. Afghanistans zweitgrößte Stadt mit 700.000 Einwohnern ist bekannt für ihren Konservatismus. „Die Bevölkerung sind Paschtunen und den Stammestraditionen verpflichtet“, erklärt Abdul Hadi Samoon, Direktor der Privatschule Etimad. „Paschtunische Eltern lassen ihre Töchter selten an der Universität studieren und nehmen ihre Töchter oft schon im Alter von zwölf Jahren von der Schule.“
In der vergangenen Woche trat eine diesbezügliche Regelung der neuen Taliban-Regierung auch formell in Kraft. Der zufolge dürfen Mädchen ab der siebten Klasse nicht mehr die Schule besuchen. „Viele Mädchen haben bitter geweint“, erzählt Samoon unter den Bäumen der idyllisch in einem Hinterhof gelegenen Schule im Zentrum Kandahars. Ein Bursch in Schuluniform unterbricht das Fußballspiel im Pausenhof. Er möchte unbedingt etwas sagen: „Ich mag die Taliban nicht, weil sie meine Schwester nicht mehr zur Schule gehen lassen, obwohl sie so klug ist.“Dann läuft er in seine Klasse.
Der Direktor der Privatschule erwartet noch mehr Änderungen. „Der Lehrplan wird islamisch ausgerichtet, die normale Schule wird mit einer Koranschule gemischt.“Dabei ist der Unterricht in Madrassas in Kandahar längst Bestandteil außerschulischer Aktivitäten. Kinder gehen jeden Tag nachmittags in die Koranschule. Auf dem Boden sitzend, mit dem Oberkörper wippend, rezitieren sie laut aus dem
Koran. Islamische Studien gibt es für alle Altersstufen. „Der Koran ist für Kinder sehr wichtig, denn der Islam ist unsere Kultur“, sagt ein Vater, der seinen Sohn am Spätnachmittag von der Madrassa der Hazrat-Muhamad-Mustafa-GrandMoschee abholt.
„Richtigen Islam umsetzen“
„Wir wollen den richtigen Islam in Afghanistan umsetzen“, sagt Mullah Noor Ahmad Sayed, der Taliban-Sprecher in Kandahar. Hier mag das einfach sein. Aber in anderen Städten wie Kabul gibt es Widerstand – gerade von Frauen. „Sie repräsentieren nicht die Mehrheit“, behauptet Mullah Sayed lächelnd. „Die meisten afghanischen Frauen stehen auf unserer Seite.“
Ob am Arbeitsplatz, in der Schule oder der Universität – Geschlechtertrennung müsse man gemäß islamischen Prinzipien durchführen, meint der Mullah, der schon seit 1994 bei den Taliban ist. „Warum will uns der Westen seine Werte aufdrücken?“, fragt er. Die Geschlechtertrennung werde den Frauen wahre Freiheit und Schutz vor sexuellen Belästigungen bringen. „Glauben Sie mir, es wird Tag für Tag besser in Afghanistan.“
Moral wird bei den Taliban großgeschrieben. Das Böse muss bekämpft werden; dazu gehören neuerdings auch Drogen. Mit Gewehrkolben und Schlägen geht man gegen Tausende Süchtige vor, sperrt sie massenweise ein. Die Taliban haben angekündigt, den Opiumanbau zu verbieten. „Aber bevor wir das tun können, brauchen wir alternative Pflanzen für die Bauern“, sagt Mullah Sayed. „Ohne internationale Hilfe können wir das nicht umsetzen.“
Vorerst bleibt also alles beim Alten, und damit fahren die Taliban nicht schlecht. Denn sie schneiden gehörig mit. Schätzungen reichen von 40 bis 400 Millionen Dollar, die die Islamisten jedes Jahr am illegalen Handel mit Opium, dem Rohstoff für Heroin, verdienen.
Eines der Hauptanbaugebiete in Afghanistan ist die Provinz Kandahar, in der die Taliban den größten Rückhalt genießen. Es dauert etwa zwei Fahrstunden von Kandahar aus, bis man an riesigen Marihuanafeldern vorbei einen der lokalen Opiummärkte in Sangawat erreicht. Die Dorfbewohner sind wenig erfreut über Journalistenbesuch. Die silberfarbenen Metallrollläden auf dem Markt fallen krachend zu. Ein Händler nach dem anderen schließt panisch seinen Laden. Dutzende Kilogramm Opium liegen auf blankem Betonboden – wie dunkelbraune Fußbälle in durchsichtigen Plastikfolien zusammengeschnürt.
Im Nu ist die Straße voll aufgebrachter Menschen. „Verschwindet, und ja keine Fotos“, brüllt Dorfvorsteher Janan. „Weg hier!“Erst nach mehreren Gläsern Grüntee beruhigt sich die Lage. „Wir wollen keine Aufmerksamkeit“, erklärt Janan, der über seinem weißen langen Hemd eine schwarze Weste trägt. „Sie verstehen das doch“, fügt er zwinkernd hinzu.
Taliban schneiden mit
Seit Jahrzehnten leben die Dorfbewohner nahezu ungehindert vom Marihuana-Anbau und vor allem vom Opium. Und nun haben ausgerechnet die Taliban, mit denen man immer gute Geschäfte gemacht hat, Verbote ausgesprochen. An wen er sein Opium in all den Jahren verkauft hat, will der Dorfvorsteher nicht preisgeben. „Es kommen Einkäufer. Und die nehmen das Opium dann mit“, sagt er, zwinkert wieder und grinst.
Der 45-Jährige befindet sich indes in einem Dilemma. „Wir verdienen mit Opium mehr als das Zehnfache im Vergleich zu Getreide und Baumwolle“, sagt er. „Wenn wir Alternativen hätten, könnten wir das Opium lassen.“Dann entschuldigt er sich für die rüde Begrüßung und lässt seine silbrigen Rollläden wieder hochschieben.