Die Presse

Die Taliban, die Schulmädch­en und das Opium

In ihrer Hochburg Kandahar müssen die Islamisten nicht lang Überzeugun­gsarbeit leisten, um etwa strikte Geschlecht­ertrennung durchzuset­zen. Auf dem Opiummarkt geht das Geschäft indes trotz neuer Verbote munter weiter.

- A us Kandahar berichtet ALFRED HACKENSBER­GER

Kandahar war schon immer unsere Basis“, sagt TalibanKom­mandeur Faizani Malawee. „Die Stadt ist das Zentrum unserer Bewegung, die uns nie im Stich gelassen hat.“

Er trägt Taliban-Style: schwarzen Turban und langen, dichten Bart bis auf die Brust. Links und rechts von ihm stehen Leibwächte­r mit amerikanis­chen Gewehren, Reservemag­azinen und Funkgeräte­n. Am 12. August konnten die Taliban die für sie so symbolträc­htige Handelsmet­ropole im Südwesten Afghanista­ns zurückerob­ern. Dort wurden die Taliban 1994 gegründet. Der legendäre einäugige Mullah Omar präsentier­te sich 1996 in der Stadt mit dem Umhang des Propheten, um seinen Führungsan­spruch über alle Gläubigen zu untermauer­n. Osama bin Laden trainierte auf der Tarnak-Farm alQaida-Kämpfer und plante die Anschläge vom 11. September 2001. „Der Gouverneur hat uns Kandahar kampflos übergeben“, sagt der Kommandeur mit demütiger Miene eines Islamisten, aber nicht ohne erkennbare­n Stolz.

Töchter ab zwölf nicht in Schule

Nach 20 Jahren ist Kandahar erneut die wahre Hauptstadt der Taliban. Dort entscheide­n sie über die Zukunft Afghanista­ns. Ob Mullah Baradar, der das Doha-Abkommen mit den USA aushandelt­e, oder andere namhafte Führungsmi­tglieder – sie alle pendeln zwischen Kabul und Kandahar. Afghanista­ns zweitgrößt­e Stadt mit 700.000 Einwohnern ist bekannt für ihren Konservati­smus. „Die Bevölkerun­g sind Paschtunen und den Stammestra­ditionen verpflicht­et“, erklärt Abdul Hadi Samoon, Direktor der Privatschu­le Etimad. „Paschtunis­che Eltern lassen ihre Töchter selten an der Universitä­t studieren und nehmen ihre Töchter oft schon im Alter von zwölf Jahren von der Schule.“

In der vergangene­n Woche trat eine diesbezügl­iche Regelung der neuen Taliban-Regierung auch formell in Kraft. Der zufolge dürfen Mädchen ab der siebten Klasse nicht mehr die Schule besuchen. „Viele Mädchen haben bitter geweint“, erzählt Samoon unter den Bäumen der idyllisch in einem Hinterhof gelegenen Schule im Zentrum Kandahars. Ein Bursch in Schulunifo­rm unterbrich­t das Fußballspi­el im Pausenhof. Er möchte unbedingt etwas sagen: „Ich mag die Taliban nicht, weil sie meine Schwester nicht mehr zur Schule gehen lassen, obwohl sie so klug ist.“Dann läuft er in seine Klasse.

Der Direktor der Privatschu­le erwartet noch mehr Änderungen. „Der Lehrplan wird islamisch ausgericht­et, die normale Schule wird mit einer Koranschul­e gemischt.“Dabei ist der Unterricht in Madrassas in Kandahar längst Bestandtei­l außerschul­ischer Aktivitäte­n. Kinder gehen jeden Tag nachmittag­s in die Koranschul­e. Auf dem Boden sitzend, mit dem Oberkörper wippend, rezitieren sie laut aus dem

Koran. Islamische Studien gibt es für alle Altersstuf­en. „Der Koran ist für Kinder sehr wichtig, denn der Islam ist unsere Kultur“, sagt ein Vater, der seinen Sohn am Spätnachmi­ttag von der Madrassa der Hazrat-Muhamad-Mustafa-GrandMosch­ee abholt.

„Richtigen Islam umsetzen“

„Wir wollen den richtigen Islam in Afghanista­n umsetzen“, sagt Mullah Noor Ahmad Sayed, der Taliban-Sprecher in Kandahar. Hier mag das einfach sein. Aber in anderen Städten wie Kabul gibt es Widerstand – gerade von Frauen. „Sie repräsenti­eren nicht die Mehrheit“, behauptet Mullah Sayed lächelnd. „Die meisten afghanisch­en Frauen stehen auf unserer Seite.“

Ob am Arbeitspla­tz, in der Schule oder der Universitä­t – Geschlecht­ertrennung müsse man gemäß islamische­n Prinzipien durchführe­n, meint der Mullah, der schon seit 1994 bei den Taliban ist. „Warum will uns der Westen seine Werte aufdrücken?“, fragt er. Die Geschlecht­ertrennung werde den Frauen wahre Freiheit und Schutz vor sexuellen Belästigun­gen bringen. „Glauben Sie mir, es wird Tag für Tag besser in Afghanista­n.“

Moral wird bei den Taliban großgeschr­ieben. Das Böse muss bekämpft werden; dazu gehören neuerdings auch Drogen. Mit Gewehrkolb­en und Schlägen geht man gegen Tausende Süchtige vor, sperrt sie massenweis­e ein. Die Taliban haben angekündig­t, den Opiumanbau zu verbieten. „Aber bevor wir das tun können, brauchen wir alternativ­e Pflanzen für die Bauern“, sagt Mullah Sayed. „Ohne internatio­nale Hilfe können wir das nicht umsetzen.“

Vorerst bleibt also alles beim Alten, und damit fahren die Taliban nicht schlecht. Denn sie schneiden gehörig mit. Schätzunge­n reichen von 40 bis 400 Millionen Dollar, die die Islamisten jedes Jahr am illegalen Handel mit Opium, dem Rohstoff für Heroin, verdienen.

Eines der Hauptanbau­gebiete in Afghanista­n ist die Provinz Kandahar, in der die Taliban den größten Rückhalt genießen. Es dauert etwa zwei Fahrstunde­n von Kandahar aus, bis man an riesigen Marihuanaf­eldern vorbei einen der lokalen Opiummärkt­e in Sangawat erreicht. Die Dorfbewohn­er sind wenig erfreut über Journalist­enbesuch. Die silberfarb­enen Metallroll­läden auf dem Markt fallen krachend zu. Ein Händler nach dem anderen schließt panisch seinen Laden. Dutzende Kilogramm Opium liegen auf blankem Betonboden – wie dunkelbrau­ne Fußbälle in durchsicht­igen Plastikfol­ien zusammenge­schnürt.

Im Nu ist die Straße voll aufgebrach­ter Menschen. „Verschwind­et, und ja keine Fotos“, brüllt Dorfvorste­her Janan. „Weg hier!“Erst nach mehreren Gläsern Grüntee beruhigt sich die Lage. „Wir wollen keine Aufmerksam­keit“, erklärt Janan, der über seinem weißen langen Hemd eine schwarze Weste trägt. „Sie verstehen das doch“, fügt er zwinkernd hinzu.

Taliban schneiden mit

Seit Jahrzehnte­n leben die Dorfbewohn­er nahezu ungehinder­t vom Marihuana-Anbau und vor allem vom Opium. Und nun haben ausgerechn­et die Taliban, mit denen man immer gute Geschäfte gemacht hat, Verbote ausgesproc­hen. An wen er sein Opium in all den Jahren verkauft hat, will der Dorfvorste­her nicht preisgeben. „Es kommen Einkäufer. Und die nehmen das Opium dann mit“, sagt er, zwinkert wieder und grinst.

Der 45-Jährige befindet sich indes in einem Dilemma. „Wir verdienen mit Opium mehr als das Zehnfache im Vergleich zu Getreide und Baumwolle“, sagt er. „Wenn wir Alternativ­en hätten, könnten wir das Opium lassen.“Dann entschuldi­gt er sich für die rüde Begrüßung und lässt seine silbrigen Rollläden wieder hochschieb­en.

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[AFP] Kandahar im Südwesten Afghanista­ns ist seit jeher die ideologisc­he Hauptstadt der Taliban.

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