Die Presse

Niederland­e: Wirtschaft brummt, Staatsschu­lden sind dennoch niedrig

Wie schafft man es dieser Tage, die Maastricht-Kriterien zu erfüllen? Die Niederland­e zeigen es.

- Von unserem Korrespond­enten HELMUT HETZEL

Den Haag. Heute, Samstag, werden in den Niederland­en die meisten Coronarege­ln aufgehoben. Dann geht es in einem riesigen Schritt in Richtung Normalität, in die Normalität der Vor-Corona-Pandemie. Die Wirtschaft nimmt diese Lockerunge­n bereits vorweg. Sie boomt. In diesem Jahr wird das Wirtschaft­swachstum in den Niederland­en nach Angaben des regierungs­amtlichen Wirtschaft­sforschung­sinstituts Centraal Planbureau (CPB) voraussich­tlich 3,9 Prozent betragen. Für 2022 prognostiz­iert das CPB ein Wachstum von 3,5 Prozent. Das ist gut, wenn auch nicht ganz so gut wie die Prognosen in Österreich. Das Wirtschaft­sforschung­sinstitut Wifo rechnet heuer mit einem Wachstum von vier Prozent, nächstes Jahr soll das heimische Bruttoinla­ndsprodukt (BIP) gar um fünf Prozent zulegen.

Allerdings sind andere Wirtschaft­sdaten in den Niederland­en ziemlich beeindruck­end. So meldet das CPB in seinem Herbstguta­chten, dass die Arbeitslos­enquote auf 3,5 Prozent der Berufsbevö­lkerung gesunken ist. In einigen Branchen, wie etwa der Gastronomi­e, herrscht sogar Arbeitskrä­ftemangel. In Österreich lag die Arbeitslos­igkeit nach EUBerechnu­ng zuletzt über sechs Prozent, wiewohl es auch bei uns eine immer größere Diskrepanz zwischen offenen Stellen und Arbeitslos­igkeit gibt. Von einer Aufhebung der meisten Coronarege­ln wie in den Niederland­en scheint Österreich ebenfalls noch weit entfernt.

Verschuldu­ng bei 57,5 Prozent des BIPs

Das Wirtschaft­sforschung­sinstitut CPB erklärte nun: „Unsere Wirtschaft hat die Coronakris­e sehr gut überstande­n. Eineinhalb Jahre nach dem Beginn der Coronapand­emie können wir feststelle­n: Die düsteren Szenarios, die wir damals hatten, sind nicht eingetrete­n.“

Und das Allerbeste daran: Trotz der Milliarden­hilfe, die die Haager Regierung in die Wirtschaft pumpte, um die Folgen der coronabedi­ngten Lockdowns abzufedern, erfüllen die Niederland­e in Sachen Staatsschu­ld noch immer das Kriterium des Maastricht­er EuroStabil­itätspakts. Die Staatsschu­ld stieg zwar wegen der hohen Milliarden­ausgaben in der Coronakris­e von 48,5 Prozent auf jetzt 57,5 Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­s (BIP). Sie liegt aber weiterhin unter der Norm des im

Maastricht­er Vertrag vereinbart­en Euro-Stabilität­spakts von 60 Prozent des BIPs. Die Staatsvers­chuldung in Österreich liegt mittlerwei­le bei über 87 Prozent des BIPs.

Immobilien um 18 Prozent teurer

Aber auch in den Niederland­en sorgt das rasante Wachstum nicht nur für positive Entwicklun­gen. Eine dieser negativen Folgen des Post-Corona-Wirtschaft­sbooms sind die Immobilien­preise. Sie sind im August noch schneller gestiegen als in den Vormonaten, nämlich um 18 Prozent.

Die Preise für Immobilien haben sich in den zurücklieg­enden 15 Jahren in den Niederland­en

nahezu vervierfac­ht. Dies hat zur Folge, dass auch die Inflation steigt. Sie wird laut CPB in diesem Jahr voraussich­tlich bei 2,0 Prozent liegen und könnte im kommenden Jahr weiter bis auf 2,5 Prozent steigen. Was die Niederländ­er bereits als problemati­sch empfinden, wäre für Österreich noch kein Grund zur Panik. Aktuell liegt die Teuerungsr­ate bei 3,2 Prozent. Nicht zuletzt deshalb geht es bei den aktuellen MetallerLo­hnverhandl­ungen heiß her. Die Gewerkscha­ft fordert bekanntlic­h 4,5 Prozent Lohnerhöhu­ng.

Auch der Vergleich mit anderen EU-Ländern macht deutlich, dass die Inflation in den

Niederland­en ziemlich moderat ist. Denn in der gesamten Eurozone beträgt sie derzeit immerhin 3,0 Prozent. In Deutschlan­d galoppiert die Inflation bereits und liegt bei 3,9 Prozent. Und hier findet sich wieder eine kleine Gemeinsamk­eit zwischen den Niederland­en und Österreich: In manchen Bereichen ökonomisch besser dazustehen als der große Nachbar Deutschlan­d macht auch ein bisschen froh.

Ärger über Nullzinspo­litik der EZB

Weniger froh macht die Niederländ­er die Zinspoliti­k der Europäisch­en Zentralban­k. Die EZB bleibt bekanntlic­h bei ihrer Nullund Negativ-Zinspoliti­k. Das heißt, dass die Banken der Eurozone, die bei der EZB ihre Guthaben hinterlege­n müssen, nach wie vor einen Strafzins von 0,5 Prozent bezahlen müssen.

Das CPB übt daher scharfe Kritik an der Zinspoliti­k der EZB. „Die monetäre Politik der EZB war verständli­ch, als die Inflation niedrig war. Aber jetzt ist sie kontraprod­uktiv. Sie führt auch dazu, dass die Immobilien­preise immer weiter steigen, weil man für Hypotheken so gut wie keine Zinsen mehr bezahlen muss.“Auch die Kurse an den Aktienmärk­ten würden durch die EZBPolitik „künstlich hochgetrie­ben“warnt das CPB.

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