„Nur im Staub erhalten sich die Spuren“
Edmund de Waal, dessen „Hase mit den Bernsteinaugen“heuer gratis in Wien verteilt wird, hat ein neues Buch geschrieben. Der „Presse“erzählt er von den Zweifeln an seiner Identität und von der Angst, dass alles sich zerstreut.
Die Presse:
England war sehr lang im Lockdown. Ist Ihr neues Buch, das kommende Woche in deutscher Übersetzung erscheint, in dieser Zeit entstanden?
Edmund de Waal: Es passierte, weil ich dieses Jahr der Stille hatte. Sonst wäre ich wie üblich von einer Ausstellung zur nächsten gereist. Corona war ein schmerzhaftes Chaos, wir werden erst in den nächsten zwei Jahren erfahren, wie schmerzhaft. Aber eben auch, was alles möglich wurde.
„Camondo“ist die zärtliche Hebung einer jüdischen Familiengeschichte, die sich nur langsam aus Briefen schält, die Sie an einen Verstorbenen adressieren. Es ist der Bankier und Sammler Mo¨ıse de Camondo, der sein Pariser Palais 1935 dem Staat als Museum vererbt hat. Wie kamen Sie darauf?
Camondo wohnte in der Rue de Monceau nur zehn Häuser weiter von dort, wo mein Urgroßonkel Charles Ephrussi lebte (Anm.: der die Netsuke-Sammlung, darunter den Hasen mit Bernsteinaugen, erwarb). Über die Jahre bin ich immer wieder diese Straße entlanggegangen. Vor fünf Jahren fragte mich dann der Direktor des Muse´e Nissim de Comondo, ob ich eine Ausstellung machen möchte. Ich begann nachzudenken. Und als ich während Corona komplett allein im Atelier war, fing ich plötzlich an, laut mit diesem Mo¨ıse Camondo zu sprechen. Daraus wurde eher unabsichtlich dieses Buch.
Ich hoffe, er hat nicht geantwortet.
Nein, diese Stille, in die ich hineingeschrieben habe, spürt man, denke ich. Briefe sind ein sehr interessantes Format, man kann darin ganz man selbst sein, kurz, lang, frech, ärgerlich, interrogativ. dieser Monumente, sie existieren nicht nur im Moment. Dasselbe gilt für die derzeitige Diskussion um das Stürzen von Denkmälern mit kolonialem Hintergrund in England.
Was wäre Ihre Lösung?
Es gibt keine einfache, keine Norm. Aber vielleicht sollte man etwas an ihnen zu verändern suchen, das ihnen neue Kraft gibt. des Orts unglaublich, er wirkt, als wäre er seit damals nicht berührt worden, als hätte die Familie ihn gerade verlassen.
Es gibt – zumindest auf den ersten Blick – auch komische Stellen in dem Buch. Etwa Camondos Staubphobie. 1924 schon ließ er ein automatisches Saugsystem einbauen. ersten Interview.
Mein Leben scheint sich anscheinend in leeren Gebäuden, in Archiven abzuspielen – und damit, mit Toten zu sprechen.