ZU BUCH UND AUTOR
Sie üben durchaus auch Kritik an Ihrem fiktiven Gegenüber.
Ich respektiere ihn enorm in seiner Lust am Sammeln und seinem schmerzvollen Versuch nach Assimilation – so sehr, dass er sogar dieses unglaubliche Geschenk seines Hauses an die Republik gemacht hat. Es ist weniger Kritik daran als eine tiefe Konversation darüber, wie so ein Geschenk, so ein Denkmal sich über die Zeit verhält – in diesem Fall verliert es gegen die Zeit. Nur sieben Jahre danach werden seine Tochter und ihre Familie in Auschwitz ermordet. Hätte er sein Haus mit diesem Wissen immer noch derart gewidmet? Es gibt keine Antwort darauf, das ist nun einmal der komplizierte Charakter
Wie wird diese spätere Familiengeschichte im Muse´ e Camondo thematisiert?
Im Hof steht ein großes Memorial der Schenkung. Und eine kleine Erinnerungstafel für die Ermordeten. Wie das erzählt wird, ist sehr schwierig. Dennoch ist die Macht
„Camondo. Eine Familiengeschichte in Briefen“, erscheint am Montag im Zsolnay-Verlag (26 Euro).
Edmund de Waal, 1964 in Nottingham geboren, stammt der Familie Ephrussi ab, deren Geschichte er 2010 im „Hasen mit den Bernsteinaugen“schrieb. Im November werden 100.000 Exemplare davon als Gratisbuch der Stadt Wien verteilt.
Er war besessen von der Angst vor Staub. Erst wenn man auf den Dachboden geht, findet man Staub, findet man auch die Spuren, die nur in ihm sichtbar werden können. Es gibt dort noch einiges, was nicht aufgearbeitet ist. Ich liebe es etwa, die dort aufbewahrten Menüfolgen aller Diners zu studieren. Camondo war ein Oligarch – er hatte das tollste Auto, allen Luxus. Aber im selben Moment war er besessen davon, diese brillante Sammlung an Kunst und Möbeln in seinem Palais zusammenzuführen und zu erhalten. Ihn treibt diese Angst, dass Dinge auseinanderfallen, diese Angst vor der Diaspora. Diese Mischung aus Luxus, Melancholie und Schönheit ist faszinierend.
Sie beschäftigen sich mit derselben Erinnerungsarbeit wie vor elf Jahren bei unserem
Anscheinend kann – oder muss – gerade Ihre Generation das leisten.
Ja, es ist eine Art Verantwortung unserer Generation, dieses Wissen, diese Erinnerung einmal noch weiterzugeben. Keine Ahnung, wie die nächste darauf antworten wird. Welche Rolle meine dabei ist, ob ich das als Keramiker, Künstler oder Schriftsteller tue, verwirrt mich oft. Aber es ist absolut in Ordnung, verwirrt zu sein mit seiner Identität, das ist realer, menschlicher als alles andere.
Der „Hase mit den Bernsteinaugen“, 2010 zum Bestseller geworden, wird in Wien im November gratis verteilt. Es ist auch die Geschichte der Vertreibung Ihrer Familie aus dieser Stadt.
Ich bin völlig überwältigt, kann kaum ausdrücken, was mir das bedeutet! Es ist eine so wundervolle Initiative. Diese Geschichte dieser Stadt zurückzugeben fühlt sich wie eine Restitution in sich selbst an.