Kunst, die kämpfen kann
Die neue Station der Verbund-Sammlung im Lentos zeigt eine erneute Verbreiterung des bereits etablierten Begriffs.
Man kommt schon durch die Welt, folgt man dieser bisher so hinreißend fokussierten Kunstsammlung des Energiekonzerns „Verbund“– Rom, Karlsruhe, London, Brüssel, Hamburg, Barcelona. Seit 2010 machte die „Feministische Avantgarde“bereits in 15 Städten Europas Karriere, und zwar derart, dass dieser Begriff für die feministische Kunst der 70er-Jahre mittlerweile eingeführter Topos ist.
Und jetzt Linz. Was fieser klingt, als es gemeint ist, nämlich gar nicht. Ist Linz doch die Stadt, in der Valie Export geboren ist, in der heute ihr Vorlass im eigenen Zentrum bearbeitet wird. Die Figur, die sie geworden ist, markiert künstlerisch die Stunde null der zweiten feministischen Bewegung – in Österreich, in Europa. Nicht zufällig war es u. a. der Katalog der von Export 1975 in der Galerie St. Stephan organisierten Gruppenschau „Magna. Feminismus: Kunst und Kreativität“, den Verbund-Sammlungs-Gründerin Gabriele Schor nach Namen durchstöberte. Namen der kämpferischen Künstlerinnen, die es doch gegeben haben muss.
Hat es auch. Es hat lange Zeit nur wenige interessiert. Ihre oft fotografischen Arbeiten waren in Schachteln, auf Dachböden gelagert, auf unzählige solcher abenteuerlicher Werkgeschichten stößt man hier. Schor kaufte ein wie im Schlaraffenland. Die späten Wiederentdeckungen von Renate Bertlmann (Biennale-Venedig-Vertreterin 2019), Margot Pilz (gerade erschien ihre Biografie, gleich eröffnet ihre Personale in Krems) oder Karin Mack (vertreten in der Schiele-Ausstellung der Albertina Modern) schrieb Schor mit der Verbund-Sammlung wesentlich mit. Was mit der nicht abreißenden internationalen Ausstellungstournee zusammenhängt. Und mit der weitsichtigen Entscheidung, die „Feministische Avantgarde“eben nicht als ein lokales Phänomen, sondern mit viel Geld an der Hand als internationales zu sammeln: Von 82 vertretenen Künstlerinnen, darunter Stars wie Cindy Sherman und Ana Mendieta, sind immerhin 17 aus Österreich.
Neu sind US-afrikanische Künstlerinnen
Die jüngsten Stationen, vor allem aber diese hier im Lentos, zeigen nach der Schärfung und Etablierung des Begriffs, eine wesentliche, am Ende vielleicht nicht unproblematische formale Verbreiterung: Bisher meinte „Feministische Avantgarde“auch dezidiert eine mediale Avantgarde ihrer Zeit, also Performance, Fotografie, Video, Installation, jetzt werden auch traditionelle Formen wie Grafik, Malerei, Skulptur eingeschlossen – Hauptsache der Inhalt ist feministisch deutbar. Zum bisherigen Kanon kamen in Linz etwa die gedrungenen, völlig entidealisierten Frauenkörper von Bildhauerin Gerda Fassel, die Grafiken der afroamerikanischen Künstlerinnen Emma Amos und Elizabeth Catlett, Holzschnitte von Auguste Kronheim, Zeichnungen von Florentina Pakosta, Ingeborg G. Pluhar, Lotte Profohs und Anita Münz.
Thematisch zumindest fügen sie sich alle nahtlos ein in die Kapitel, die (nicht nur damals) auf der Agenda der Frauen ganz oben standen: Ehe und Familie als Falle und Käfig, Schönheit als Zwang, Ironie als Galgenhumor oder das Rollenspiel als Sichtbarmachung von Klischees. Es ist immer wieder erstaunlich, zu welch ähnlichen Lösungen Künstlerinnen nahezu gleichzeitig und nahezu weltweit kamen, von Neuseeland über die USA über Europa, ob im Kapitalismus oder Kommunismus – fast synchron zogen sie sich aus, schnürten sie sich ein, pressten sie sich gegen Glasscheiben, schminkten, verkleideten, inszenierten sich.
Die offene Ausstellungsarchitektur in der großen Lentos-Halle macht diese Gleichzeitigkeiten und Parallelitäten deutlicher als bisher. In dieser Zuspitzung auf einige wenige Inhalte und Formen bekommt diese Avantgarde eine fast im ursprünglich militärischen Sinn dieses Begriffs bedrohliche Qualität. Und enorme Stärke.
„Female Sensibility. Feministische Avantgarde aus der Sammlung Verbund“, bis 9. 1. 2022.