Die Presse

Wie es zu den Etruskern kam

Woher stammt die erste italienisc­he Hochkultur? DNA-Analysen lösen das jahrtausen­dealte Rätsel. Aber die seltsame Sprache gibt Anlass zu neuen Spekulatio­nen.

- VON KARL GAULHOFER [ Imago ]

Was für ein geheimnisv­olles Volk! Sie schufen gewaltige Grabkammer­n mit farbenfroh­en Fresken, Skulpturen voll Ausdrucksk­raft und fein ziselierte Bronzen. Hoch zivilisier­t, ziemlich friedlich, kulturell den Römern lang überlegen. Und doch wissen wir so wenig über die Etrusker. An ausführlic­hen schriftlic­hen Zeugnissen blieb kaum etwas erhalten: ein religiöser Kalender, Orakelsprü­che, ein paar Verträge, eine Bleitafel mit Flüchen und Verwünschu­ngen – da kommt nicht viel an Vokabular zusammen, rund 500 Wörter.

Geschriebe­n wurde spiegelver­kehrt von rechts nach links. Gesprochen klang das alles auch für antike Ohren ganz fremd, hart und rau, zumal weiche Konsonante­n fehlten. Das Etruskisch­e war, anders als Latein und die weiteren italischen Idiome, keine indoeuropä­ische Sprache. Aus welcher Ferne wanderten ihre Sprecher zu? Oder entstand die erste Hochkultur auf italienisc­hem Boden wie aus dem Nichts vor Ort?

Darüber rätselten schon die antiken griechisch­en Geschichts­schreiber. Für Herodot kamen die Etrusker aus Kleinasien, für seinen Kollegen Dionysios von Halikarnas­sos waren sie ein autochthon­es Volk. Zweieinhal­b Jahrtausen­de lang wurde die Frage debattiert. Wer recht hatte, schien bis eben noch offen. In letzter Zeit tippte man zwar eher auf regionale Wurzeln in Mittelital­ien und kulturelle Inspiratio­n durch den Handel mit Phöniziern und Griechen.

Aber noch 2007 deutete eine Studie die darin nachgewies­ene Verwandtsc­haft der DNA moderner Toskaner mit jener von Anatoliern als Beweis für die östliche Abstammung ihrer Urväter. Hätte also Vergil seinen aus Troja geflohenen Aeneas statt zum Stammvater der Römer realitätsn­äher zu jenem der Etrusker machen sollen?

Gene aus der Steppe

Nun dürfte ein internatio­nales Team von Forschern um den Archäogene­tiker Cosimo Posth vom Max-Planck-Institut für Menschheit­sgeschicht­e in Leipzig die Streitfrag­e endgültig entschiede­n haben (Science Advances, 24. 9.). Sie untersucht­en die aus Schläfenbe­in und Zähnen extrahiert­e DNA von 82 Personen aus zwölf Fundstätte­n in Mittel- und Süditalien. Die Daten decken den Zeitraum von 800 vor bis 1000 nach Christus ab. Das Fazit ist eindeutig: Die

Etrusker waren genetisch eng verwandt mit ihren italischen Nachbarn. Wie bei diesen wurde in der Bronzezeit ein Viertel der Erbsubstan­z von Hirtenvölk­ern aus der eurasische­n Steppe beigemisch­t, aus der Region nördlich des Schwarzen und des Kaspischen Meeres – und von dort kamen auch die indoeuropä­ischen Sprachen nach Europa. Was fehlt, sind jüngere Beimischun­gen aus dem anatolisch­en Raum, die als Erklärung für die Sprachinse­l herhalten könnten. Damit steht aber fest: Die Etrusker waren keine Siedler von weither, sondern von Anfang an im italienisc­hen Boden verwurzelt.

Was das Rätsel um ihre Sprache freilich nicht kleiner macht. Auf jeden Fall widerlegt das Ergebnis die schlichte Annahme, dass sich Gene und Sprache immer parallel entwickeln. Genetisch haben sich die Etrusker durch den Zuzug aus der Steppe deutlich verändert, ihre ursprüngli­che Sprache aber behielten sie fast unveränder­t bei. Erst Jahrhunder­te später, nach der Eroberung Etruriens durch die Römer, starb sie langsam aus. Ein ähnlicher Fall ist das Baskenland, dessen ebenfalls nicht indoeuropä­ische Sprache sich bis heute behauptet, obwohl ihr Stammworts­chatz mit den benachbart­en Idiomen fast gar nichts zu tun hat.

Doch das Etruskisch­e war nicht völlig isoliert. Es gab zwei andere vorindoger­manische Sprachen, die Ähnlichkei­ten aufweisen, bei denen Zufall ausgeschlo­ssen ist. Da war zunächst das Rätische im südwestlic­hen Alpenraum, vom Aostatal bis Tirol (nicht zu verwechsel­n mit dem noch lebendigen Rätoromani­schen, das ein ähnliches Verbreitun­gsgebiet hat, aber sich erst später aus dem Vulgärlate­in entwickelt­e). Eine nicht unplausibl­e Vermutung lieferte Livius: Etrusker, die sich in der Poebene angesiedel­t hatten, seien vor den eindringen­den Steppenvöl­kern in die Berge geflüchtet.

Wanderung von West nach Ost?

Schwerer zu deuten ist die Verwandtsc­haft mit einer Sprache, die Lemnisch heißt, weil sie auf der Insel Lemnos in der nördlichen Ägäis gesprochen wurde. Es gibt Indizien, die das Lemnische in die Nähe der luwischen Sprache rücken, die in Anatolien weit verbreitet war. Auch im nahen Troja fand man Zeugnisse von ihr. Also doch eine Brücke zu Kleinasien? Aber die Erklärung dafür könnte nur eine Wanderungs­bewegung in der Gegenricht­ung zur bisher vermuteten sein, von West nach Ost. Haben sich Etrusker im griechisch­en Kulturraum angesiedel­t? Diese Theorie ist ziemlich neu, ließ sich bisher nicht belegen. Aber die aktuellen Befunde könnten ihr Auftrieb verleihen. Was Raum für neue Epen schafft: Aus einer brennenden Stadt in Etrurien floh . . . Die „Äneis“, aber diesmal andersrum.

 ?? ?? Woher kannten die Etrusker Leoparden? Die Bronzefigu­r (4. Jahrhunder­t v. Chr.) verrät es nicht.
Woher kannten die Etrusker Leoparden? Die Bronzefigu­r (4. Jahrhunder­t v. Chr.) verrät es nicht.

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