Wie es zu den Etruskern kam
Woher stammt die erste italienische Hochkultur? DNA-Analysen lösen das jahrtausendealte Rätsel. Aber die seltsame Sprache gibt Anlass zu neuen Spekulationen.
Was für ein geheimnisvolles Volk! Sie schufen gewaltige Grabkammern mit farbenfrohen Fresken, Skulpturen voll Ausdruckskraft und fein ziselierte Bronzen. Hoch zivilisiert, ziemlich friedlich, kulturell den Römern lang überlegen. Und doch wissen wir so wenig über die Etrusker. An ausführlichen schriftlichen Zeugnissen blieb kaum etwas erhalten: ein religiöser Kalender, Orakelsprüche, ein paar Verträge, eine Bleitafel mit Flüchen und Verwünschungen – da kommt nicht viel an Vokabular zusammen, rund 500 Wörter.
Geschrieben wurde spiegelverkehrt von rechts nach links. Gesprochen klang das alles auch für antike Ohren ganz fremd, hart und rau, zumal weiche Konsonanten fehlten. Das Etruskische war, anders als Latein und die weiteren italischen Idiome, keine indoeuropäische Sprache. Aus welcher Ferne wanderten ihre Sprecher zu? Oder entstand die erste Hochkultur auf italienischem Boden wie aus dem Nichts vor Ort?
Darüber rätselten schon die antiken griechischen Geschichtsschreiber. Für Herodot kamen die Etrusker aus Kleinasien, für seinen Kollegen Dionysios von Halikarnassos waren sie ein autochthones Volk. Zweieinhalb Jahrtausende lang wurde die Frage debattiert. Wer recht hatte, schien bis eben noch offen. In letzter Zeit tippte man zwar eher auf regionale Wurzeln in Mittelitalien und kulturelle Inspiration durch den Handel mit Phöniziern und Griechen.
Aber noch 2007 deutete eine Studie die darin nachgewiesene Verwandtschaft der DNA moderner Toskaner mit jener von Anatoliern als Beweis für die östliche Abstammung ihrer Urväter. Hätte also Vergil seinen aus Troja geflohenen Aeneas statt zum Stammvater der Römer realitätsnäher zu jenem der Etrusker machen sollen?
Gene aus der Steppe
Nun dürfte ein internationales Team von Forschern um den Archäogenetiker Cosimo Posth vom Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte in Leipzig die Streitfrage endgültig entschieden haben (Science Advances, 24. 9.). Sie untersuchten die aus Schläfenbein und Zähnen extrahierte DNA von 82 Personen aus zwölf Fundstätten in Mittel- und Süditalien. Die Daten decken den Zeitraum von 800 vor bis 1000 nach Christus ab. Das Fazit ist eindeutig: Die
Etrusker waren genetisch eng verwandt mit ihren italischen Nachbarn. Wie bei diesen wurde in der Bronzezeit ein Viertel der Erbsubstanz von Hirtenvölkern aus der eurasischen Steppe beigemischt, aus der Region nördlich des Schwarzen und des Kaspischen Meeres – und von dort kamen auch die indoeuropäischen Sprachen nach Europa. Was fehlt, sind jüngere Beimischungen aus dem anatolischen Raum, die als Erklärung für die Sprachinsel herhalten könnten. Damit steht aber fest: Die Etrusker waren keine Siedler von weither, sondern von Anfang an im italienischen Boden verwurzelt.
Was das Rätsel um ihre Sprache freilich nicht kleiner macht. Auf jeden Fall widerlegt das Ergebnis die schlichte Annahme, dass sich Gene und Sprache immer parallel entwickeln. Genetisch haben sich die Etrusker durch den Zuzug aus der Steppe deutlich verändert, ihre ursprüngliche Sprache aber behielten sie fast unverändert bei. Erst Jahrhunderte später, nach der Eroberung Etruriens durch die Römer, starb sie langsam aus. Ein ähnlicher Fall ist das Baskenland, dessen ebenfalls nicht indoeuropäische Sprache sich bis heute behauptet, obwohl ihr Stammwortschatz mit den benachbarten Idiomen fast gar nichts zu tun hat.
Doch das Etruskische war nicht völlig isoliert. Es gab zwei andere vorindogermanische Sprachen, die Ähnlichkeiten aufweisen, bei denen Zufall ausgeschlossen ist. Da war zunächst das Rätische im südwestlichen Alpenraum, vom Aostatal bis Tirol (nicht zu verwechseln mit dem noch lebendigen Rätoromanischen, das ein ähnliches Verbreitungsgebiet hat, aber sich erst später aus dem Vulgärlatein entwickelte). Eine nicht unplausible Vermutung lieferte Livius: Etrusker, die sich in der Poebene angesiedelt hatten, seien vor den eindringenden Steppenvölkern in die Berge geflüchtet.
Wanderung von West nach Ost?
Schwerer zu deuten ist die Verwandtschaft mit einer Sprache, die Lemnisch heißt, weil sie auf der Insel Lemnos in der nördlichen Ägäis gesprochen wurde. Es gibt Indizien, die das Lemnische in die Nähe der luwischen Sprache rücken, die in Anatolien weit verbreitet war. Auch im nahen Troja fand man Zeugnisse von ihr. Also doch eine Brücke zu Kleinasien? Aber die Erklärung dafür könnte nur eine Wanderungsbewegung in der Gegenrichtung zur bisher vermuteten sein, von West nach Ost. Haben sich Etrusker im griechischen Kulturraum angesiedelt? Diese Theorie ist ziemlich neu, ließ sich bisher nicht belegen. Aber die aktuellen Befunde könnten ihr Auftrieb verleihen. Was Raum für neue Epen schafft: Aus einer brennenden Stadt in Etrurien floh . . . Die „Äneis“, aber diesmal andersrum.