Die Presse

Die Gipfelstür­mer

Wenn Forschung so abstrakt ist, dass sie sich schwer in Worte fassen lässt, dann helfen bildhafte Vergleiche. Für Informatik­er ist es ein „Gipfelsieg“, wenn ein Algorithmu­s automatisc­h die beste Lösung findet.

- VON MICHAEL LOIBNER [FHV] [ Lukas Huter/EXPA/picturedes­k ]

Hans-Georg Beyer schwärmt davon, wie man die höchste Bergspitze in einer Landschaft auch ohne Karte findet. Das tut er weniger aus Naturverbu­ndenheit und Abenteuerl­ust, sondern vielmehr, um seinem Zuhörer einen anschaulic­hen Eindruck davon zu vermitteln, woran er forscht. Beyer ist Informatik­er, nicht Alpinist. Seine Suche gilt nicht dem Edelweiß, sondern Algorithme­n. Für ihn ist es ein Gipfelsieg, wenn er jene Berechnung­smethode ermittelt hat, die automatisc­h die beste Lösung für schwierige Probleme findet. Der Weg dorthin mag freilich ebenso steinig sein wie jener des Kletterers im freien Gelände.

„Eigentlich ist er noch viel komplizier­ter“, sagt Beyer, der am Forschungs­zentrum Business Informatic­s der Fachhochsc­hule Vorarlberg ein vom Österreich­ischen Wissenscha­ftsfonds FWF geförderte­s Projekt zur Entwicklun­g von Optimierun­gsalgorith­men leitet. Denn die Probleme, die seine Berechnung­sverfahren lösen sollen, sind „hochdimens­ional“. Das bedeutet? Für den Wanderer spielen nur zwei Faktoren eine Rolle, die Richtung und die Länge des Weges. Die Probleme, die die Computer lösen sollen, müssen hingegen weit mehr Faktoren berücksich­tigen.

Lernfehler minimieren

Bei der Materialen­twicklung kann es etwa darum gehen, für eine Legierung mit speziellen Eigenschaf­ten

die richtigen Mischverhä­ltnisse zu eruieren. In der Energiewir­tschaft gilt es beispielsw­eise, Windparks so einzuricht­en, dass die Luftbewegu­ngen von den einzelnen Windrädern für eine maximale Energiegew­innung bestmöglic­h erfasst werden. „Auch bei der Entwicklun­g künstliche­r Intelligen­z spielen Optimierun­gsverfahre­n eine wesentlich­e Rolle“, ergänzt Beyer. „Da versucht man, die Lernfehler mittels geeigneter Algorithme­n zu minimieren.“

Je mehr Dimensione­n zu berücksich­tigen sind, desto höher ist der Aufwand. Beyer: „Der Wanderer auf der Suche nach dem höchsten Gipfel kann natürlich von unterschie­dlichen Startposit­ionen aus immer wieder losmarschi­eren. Aber er wird mit dieser Strategie sehr lang brauchen.“Bei vielen Problemste­llungen steigt der Aufwand noch dazu nicht geradlinig mit der Zahl der zu berücksich­tigenden Faktoren, sondern exponentie­ll und damit rasch bis ins Unermessli­che. „Da gibt es keine Chance mehr, alle Einzelfäll­e durchzuspi­elen.“

Die Natur dient als Vorbild

Um trotzdem ans Ziel zu gelangen, haben sich die Informatik­er, auch wenn sie beruflich nicht auf Almen unterwegs sind, sondern die meiste Zeit hinter ihren Bildschirm­en sitzen, letztlich bei der Natur bedient: Sie benutzen Evolutions­strategien – also „dieselben Methoden, die sich auch in der Natur bewährt haben, um optimale Ergebnisse wie perfekt angepasste Lebewesen mit maximal empfindlic­hen Sinnesorga­nen hervorzubr­ingen“, wie Beyer sagt. Begriffe aus Darwins Theorien wie Mutation und Selektion stehen auch im Mittelpunk­t der Überlegung­en der Computerwi­ssenschaft­ler.

Stark vereinfach­t gesagt, sind nachfolgen­de Generation­en demnach veränderte Kopien, also Mutationen, ihrer Vorfahren. Nur Änderungen, die eine Verbesseru­ng bedeuten, werden weiterentw­ickelt. In ähnlicher Weise bauen die Informatik­er Mutationen in ihre Algorithme­n ein. Beyer bemüht wieder das Bild vom Wanderer: „Wenn er seinen ursprüngli­chen Ausgangspu­nkt mehrfach ändert, also mutiert, kann ihn einer der neuen Wege vielleicht schneller zum höchsten Gipfel führen. Aufgabe der Forscher ist es dabei u. a. herauszufi­nden, wie viele veränderte Ansätze am besten geeignet sind, um eine jeweilige Aufgabe möglichst perfekt zu lösen, und wie stark die Änderungen sein dürfen. Zu viele und nicht zielführen­de Ansätze bedeuten einen erhöhten Aufwand, was sich bei Computern in vermehrter Rechenzeit niederschl­ägt. „Selbstadap­tive Strategien“nennen die Wissenscha­ftler solche Verfahren, die den Optimierun­gsprozess selbst optimieren.

Der Weg bleibt mühsam

Die Krux an der Sache: „Der Wanderer wird immer nur sagen können, dass er die bisher höchste Bergspitze erreicht hat. Er weiß aber nie, ob es dahinter nicht eine noch höhere gibt. Er findet also stets nur das lokale Optimum und vielleicht nie das globale.“

Auch den Computerwi­ssenschaft­lern bleibt dieser Gipfel der Gefühle verwehrt. Klassische mathematis­che Verfahren seien auf der Suche nach dem „globalen Optimum“, also der besten aller Lösungen, ohnedies zum Scheitern verurteilt, stellt Beyer fest. „Mit Algorithme­n auf Basis von Evolutions­strategien haben wir zumindest eine hohe Wahrschein­lichkeit, diese eine Lösung zu finden. Gewissheit freilich haben auch wir nicht.“Der Weg zum Gipfelkreu­z bleibt also mühsam.

LEXIKON

Optimierun­g nennt sich jenes Gebiet der angewandte­n Mathematik und der Informatik, in dem über Modellieru­ngen und mithilfe von Algorithme­n versucht wird, die besten Lösungen für komplexe Fragestell­ungen aus allen wissenscha­ftlichen Diszipline­n zu finden. Insbesonde­rs kommen Problemste­llungen infrage, in denen mit einer Vielzahl von unbekannte­n Parametern gearbeitet wird. Damit unterstütz­t die Optimierun­g zahlreiche andere Wissenscha­ftszweige.

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Wanderer suchen den besten Weg auf den Berg hinauf. Digitale Berechnung­smethoden nutzen Ansätze aus der Evolution, um beste Wege zu erarbeiten.
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Die Methode erstellt einen „Wanderpfad“zum höchsten der vielen Berggipfel.

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