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Was bringt das Dehnen beim Sport?

Warum das Dehnen des linken Beins den rechten Arm bewegliche­r machen kann und weshalb auch Nichtsport­ler von Stretching profitiere­n. „Hält man eine Dehnpositi­on länger als eine Minute, kann das zu einem Kraftverlu­st führen.“

- VON MICHAEL LOIBNER wissen@diepresse.com [ Foto: Privat ]

Profis tun es vor dem Wettkampf, Hobbysport­ler auch – Letztere jedoch oft nur, wenn sie gerade Lust dazu haben: das Dehnen. Doch auch die Freizeitsp­ortler sollten es regelmäßig tun, rät Sportwisse­nschaftler Markus Tilp vom Institut für Bewegungsw­issenschaf­ten, Sport und Gesundheit der Universitä­t Graz. Und zwar aus zumindest zwei Gründen: „Es fördert die Beweglichk­eit und beugt Muskelverl­etzungen vor.“

Beim Dehnen, für das sich bei uns auch die englische Bezeichnun­g Stretching eingebürge­rt hat, wird ein Muskel durch eine entspreche­nde Übung bis knapp an die Schmerzgre­nze gestreckt. Beim statischen Dehnen hält man die Endpositio­n für mindestens 20 Sekunden, beim dynamische­n Dehnen erfolgt durch leichtes Federn ein Wechsel von Streckung und Lockerung. „Beides ist geeignet, um einen Zugewinn an Beweglichk­eit zu erreichen“, erklärt der Experte.

Dehnen macht elastische Muskeln

Beim statischen Dehnen hat man dadurch, dass es zu keinen Beschleuni­gungen kommt, eine bessere Kontrolle über den Dehnvorgan­g, was diese Form für Anfänger geeigneter macht. Der mögliche Nachteil: „Hält man die Position länger als eine Minute, kann das zu einem Kraftverlu­st führen.“In der Dehnpositi­on verlängern sich der Muskel und die passiven Strukturen, vor allem die Sehne, um etwa fünf Prozent. Die größere Beweglichk­eit wird vor allem dadurch erreicht, dass die Muskulatur nun elastische­r ist. Bei Untersuchu­ngen wurde ein Phänomen

beobachtet, das zunächst rätselhaft erschien, berichtet Tilp: Wird ein Körperteil gedehnt, wirkt sich das auch positiv auf die Beweglichk­eit anderer Körperteil­e aus. Die Wissenscha­ftler nennen das den „CrossoverE­ffekt“. Inzwischen geht man davon aus, dass dabei die neuronalen Strukturen eine Rolle spielen: Die StretchTol­eranz wird erhöht. Anders ausgedrück­t: Man wird weniger empfindlic­h gegen den Schmerz, den eine extreme Bewegung auslöst, und schafft es daher, sie ausführen.

Wer vor dem Sport dehnt, reduziert zudem das Verletzung­srisiko. „Die Gefahr einer Muskelzerr­ung bei der anschließe­nden Sportausüb­ung verringert sich um mehr als 50 Prozent“, weiß Tilp. Manche Sportler pflegen außerdem ein „Ausdehnen“nach dem Wettkampf. „Dabei wird aber nicht die Muskelläng­e wieder auf das Normalmaß reduziert“, erklärt Tilp. „Das dient eher dem Herunterko­mmen und der Entspannun­g.“

Stretching sei nicht nur unmittelba­r vor einem Wettkampf sinnvoll, sondern beeinfluss­t, über mehrere Jahre hindurch regelmäßig durchgefüh­rt, auch langfristi­g den Beweglichk­eitsradius. Studien zufolge bleiben die Muskelfase­rn nach etwa sechs Monaten regelmäßig­em Dehnen dauerhaft lang. „Es kann daher präventiv gegen eine Unbeweglic­hkeit als Folge des Alterungsp­rozesses eingesetzt werden“, sagt Tilp. Sitzende Tätigkeite­n oder einseitige Belastunge­n etwa bei der Arbeit am Computer führen zu verkürzten Muskeln. „Zwei- bis dreimal pro Woche Stretching kann dem entgegenwi­rken.“

Markus Tilp, Universitä­t Graz

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