Die Presse

Wenn Gedenkmuse­en die Geschichte neu schreiben (müssen)

Die Wiener Politologi­n Ljiljana Radoni´c nahm nationale Museen von Estland bis Kroatien unter die Lupe. Sie interessie­rte sich dafür, wie dort nach dem Fall der kommunisti­schen Regime von Zweitem Weltkrieg und Holocaust sowie von der Sowjetzeit erzählt wi

- VON CORNELIA GROBNER [ Foto: IKT/Stefan Csa´ky ]

„Gute Gedenkmuse­en legen ihren Finger dorthin, wo es schmerzt“, sagt die Politikwis­senschaftl­erin Ljiljana Radonic´. „Sie erzählen auch die ambivalent­e, die uneindeuti­ge Geschichte.“Für ihre Habilitati­on hat sie untersucht, wie in Gedenkmuse­en von EU-Mitgliedsl­ändern der post-sozialisti­schen Sphäre an den Zweiten Weltkrieg erinnert wird. Die Ergebnisse sind nun in Buchform erschienen („Der Zweite Weltkrieg in postsozial­istischen Gedenkmuse­en“; De Gruyter; 327 Seiten; 89,95 Euro).

Den Opfern ein Gesicht geben

„Im Zuge der EU-Beitrittsb­emühungen gab es ganz unterschie­dliche Arten, wie Museen stellvertr­etend für ihr Land versucht haben, mit Europa und der EU zu kommunizie­ren“, so Radonic´, die am Institut für Kulturwiss­enschaften und Theaterges­chichte der Österreich­ischen Akademie der Wissenscha­ften derzeit zu globalisie­rtem, musealem Erinnern arbeitet. Eine

Strategie, die zum Beispiel das Holocaust-Gedenkzent­rum in Budapest oder die Gedenkstät­te für die Opfer des Konzentrat­ionslagers Jasenovac in Kroatien verfolgten, bezeichnet sie als „Anrufung Europas“. „Hier wurde das Europäisch-Sein auch durch neue Dauerausst­ellungen zum Zweiten Weltkrieg unter Beweis gestellt, die sich stark an westlichen Vorbildern wie dem US-Holocaust Memorial Museum in Washington, D.C., orientiert­en.“

Typische Kennzeiche­n dieser Vermittlun­gspraxis sind dunkle Räume und ein Fokus auf einzelne Objekte der Opfer und individuel­le Biografien. „Mit der neuen Dauerausst­ellung im Jasenovac-Gedenkmuse­um wollte man so zeigen, dass man die Phase des Geschichts­revisionis­mus der 1990er-Jahre überwunden hatte und man bereit für den EU-Beitritt sei“, erklärt Radonic´.

Eine ganz andere Strategie fand die Forscherin in den Museen der baltischen Staaten und im Haus des Terrors in Budapest: „Dieser Museumstyp­us bemühte sich darum, Europa zu demonstrie­ren, wie stark das jeweilige Land unter dem Sozialismu­s und den sowjetisch­en Verbrechen gelitten hatte.“In den Ausstellun­gen spiegelte sich das durch eine symbolisch­e Gleichsetz­ung von Hakenkreuz und Roten Stern, also von Nationalso­zialismus und Stalinismu­s, wider. „Als das größere Übel wird jedoch das sowjetisch­e präsentier­t“, so Radonic´. „Das geht leider mit einer Opferkonku­rrenz einher.“Die individuel­le Darstellun­g voller Empathie sei durchgehen­d der Mehrheitsb­evölkerung vorbehalte­n. „Die Erinnerung der Jüdinnen und Juden wird im Gegenzug als bedrohlich erlebt, ihre Opfer als Leichenber­ge, als anonyme Masse visualisie­rt. Sie bekommen keine Namen. Von ihnen gibt es keine berührende­n Geschichte­n oder persönlich­en Objekte.“

Sowjets als größeres Übel

In den baltischen Ländern beschäftig­e sich noch am meisten das Lettische Okkupation­smuseum in Riga mit der Zeit des Nationalso­zialismus. Auch die eigene Kollaborat­ion mit den Nazis und das berüchtigt­e Ara¯js-Kommando werden erwähnt. „Aber wenn man die Textebene verlässt, sieht man den Unterschie­d“, so Radonic´. „Es gibt über 300 Objekte von Opfern der sowjetisch­en Verfolgung, die sehr wirkmächti­g eingesetzt werden. Das weckt unglaublic­h viel Empathie wie die Geschichte des Häftlings, der ein Klavier nachgebaut hat.“Beim Holocaust-Abschnitt begnügt sich das Museum mit zum Teil erniedrige­nden Fotos, die Täter

aufgenomme­n haben, etwa von Frauen in Unterwäsch­e, Sekunden vor ihrer Erschießun­g, und anonymen Davidstern­en. „Namentlich und mit Foto werden nur die sogenannte­n Judenrette­r gezeigt.“

Neben den beiden strategisc­hen Haupttypen machte Radonic´ auch Ausreißer wie das ästhetisch hell gestaltete Memorial Terez´ın in Tschechien und Mischforme­n aus. Das Museum der Zeitgeschi­chte Sloweniens bereitet mit sich teilweise widersprec­henden Geschichte­n wiederum ein möglicherw­eise irritieren­des Besuchserl­ebnis. Eine Sonderroll­e nehmen Bulgarien und Rumänien ein: „Die dortigen in einer sozialisti­schen Tradition stehenden Museen wurden nach 1990 geschlosse­n, um überarbeit­et zu werden – allerdings wurden sie nie wieder aufgemacht.“Radonic´s Suche nach anderen Orten, an denen die politische Geschichte der zwei Länder erzählt wird, blieb erfolglos: „Man drückt sich davor oder begnügt sich mit einzelnen Vitrinen.“

Geschichte­n von Opfern sind ein mächtiges Instrument.

Ljiljana Radonic´, Politikwis­senschaftl­erin

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