Schneller als der Schwall?
Hinter einem Kraftwerk bleibt kein Stein auf dem anderen: Die Fische und Insektenlarven werden wie in einem Hochwasser fortgespült und stranden dann beim schnellen Absinken des Wasserspiegels.
Äsche, Forelle, Nase, Barbe und andere Fische in unseren Flüssen haben ein Problem: Sie sind nicht nur durch steigende Wassertemperaturen und Starkregen-Ereignisse vom Klimawandel betroffen, sondern auch von den Folgen der Energiewende. Denn weil verstärkt auf erneuerbaren Strom aus Wasserkraft gesetzt wird, bleibt in ihrem Lebensraum wörtlich fast kein Stein auf dem anderen: Wenn ein Speicherkraftwerk die Turbinen anfährt, um Strom zu generieren, läuft am unteren Ende ein Schwall heraus, der das Gewässer durchwirbelt. „Dreht man Speicherkraftwerke auf, wie sie in der Alpenregion üblich sind – das in Kaprun ist wohl eines der berühmtesten –, kommt es dahinter zu einem künstlichen Hochwasser“, erklärt Franz Greimel vom Institut für Hydrobiologie und Gewässermanagement der Boku Wien. „Dreht man die Stromgewinnung wieder ab, sinkt der Wasserspiegel sehr schnell: Dieser Sunk kann schwere Folgen für die Fischlarven und Jungfische haben.“Das betrifft nicht nur den Bereich direkt hinter der Kraftwerksmauer. Die Wasserspiegelschwankungen sind bis zu 50 Kilometer weit im Gewässer messbar. „In Österreich sind mehr als 800 Kilometer Gewässer betroffen“, sagt Greimel (siehe Karte).
Der Institutsleiter Stefan Schmutz beschreibt den Konflikt zwischen Energiewirtschaft und Naturschutz: „Für die Energiewende ist Wasserkraft wichtig, aber man muss differenzieren, welche Art von Kraftwerk dafür geeignet ist. Nur weil Wasserkraft CO2-frei Strom liefert, heißt das nicht, dass es insgesamt nur positiv für die Umwelt ist.“Das Thema würde in der Öffentlichkeit oft zu vereinfacht dargestellt. Wenn es heißt, wir brauchten 27 Terawattstunden (Twh) mehr, um die Energiemenge zu stemmen, fragt Schmutz: „Welche Art von Strom ist gemeint? Die neue Strategie der Bundesregierung will fünf Twh mehr aus der Wasserkraft. Aber das ist unrealistisch, das geben unsere Gewässer nicht her, außer auf Kosten der Gewässerökologie. Und ein weiterer Verlust der Biodiversität ist weder von der Bevölkerung noch von der Politik gewollt.“
Die Kraftwerke halten das Netz stabil
Greimel erklärt, warum die Belastung für die Fauna immer größer wird: „Früher gab es einen Peak im Stromverbrauch in der Früh, wenn alle aufstehen. Zu Mittag und abends stieg der Stromverbrauch an – und vor allem zu diesen Zeiten wurden die Speicherkraftwerke angeschaltet.“Heutzutage wird aber ein immer größerer Teil der Energie von „volatilen“Quellen, also aus Wind- und Solarkraft, gewonnen. „Die Sonne scheint nicht immer, der Wind weht nicht immer: Die klassischen Spitzen, die in erster Linie verbrauchergetrieben waren, gibt es so nicht mehr. Speicherkraftwerke sind auch dazu da, das Netz stabil zu halten.“Wo ein Speicherkraftwerk nicht reicht, werden auch Pump-Speicherkraftwerke genutzt, die wie ein Akku funktionieren: Wenn viel Strom da ist, verwendet man einen Teil, um Wasser in hoch gelegene Speicher zu pumpen. In Phasen mit wenig Strom lässt man das gespeicherte Wasser hinunter in die Turbinen laufen. Je stärker der Fluss dahinter künstlich reguliert ist, umso weniger Chance auf Überleben haben die Tiere darin.
„Es braucht Speicher- und Pumpspeicherkraftwerke, um die Energiewende zu schaffen, aber wir dürfen die andere Seite nicht vergessen, die vor allem mittelgroße Flüsse betrifft, wie Mur, Salzach, Drau, Inn, Bregenzer Ache und den Ill“, so Greimel. Diese Flüsse liegen in der „Äschen-Region“, wo Äschen als Leitart des Ökosystems gelten. Die Forschungen von Boku und Partnern haben gezeigt, dass diese Larven besonders im Frühling, wenn sie frisch geschlüpft aus den Verstecken kommen, von dem künstlichen Hochwasser der Speicherkraftwerke betroffen sind. „Die Larven sind so klein wie ein Fingernagel, sie können noch nicht gut und weit schwimmen“, sagt er. Das Team hat erkannt, dass die Äschenlarven vor allem in der Nacht leiden: Die jungen Fische fürchten sich nachts vor Raubfischen und anderen Jägern und halten sich am Flussrand auf. „Nach dem Schwall stranden die Larven am Ufer, wenn die Intensität des Sunks zu stark ist“, sagt Greimel. Dasselbe bestätigte das Team für Forellenlarven, die sogar noch sensibler auf Sunk-Erscheinungen reagieren. „Nur die