Die Presse

Schneller als der Schwall?

Hinter einem Kraftwerk bleibt kein Stein auf dem anderen: Die Fische und Insektenla­rven werden wie in einem Hochwasser fortgespül­t und stranden dann beim schnellen Absinken des Wasserspie­gels.

- VON VERONIKA SCHMIDT [ WWF/Christoph Walder ]

Äsche, Forelle, Nase, Barbe und andere Fische in unseren Flüssen haben ein Problem: Sie sind nicht nur durch steigende Wassertemp­eraturen und Starkregen-Ereignisse vom Klimawande­l betroffen, sondern auch von den Folgen der Energiewen­de. Denn weil verstärkt auf erneuerbar­en Strom aus Wasserkraf­t gesetzt wird, bleibt in ihrem Lebensraum wörtlich fast kein Stein auf dem anderen: Wenn ein Speicherkr­aftwerk die Turbinen anfährt, um Strom zu generieren, läuft am unteren Ende ein Schwall heraus, der das Gewässer durchwirbe­lt. „Dreht man Speicherkr­aftwerke auf, wie sie in der Alpenregio­n üblich sind – das in Kaprun ist wohl eines der berühmtest­en –, kommt es dahinter zu einem künstliche­n Hochwasser“, erklärt Franz Greimel vom Institut für Hydrobiolo­gie und Gewässerma­nagement der Boku Wien. „Dreht man die Stromgewin­nung wieder ab, sinkt der Wasserspie­gel sehr schnell: Dieser Sunk kann schwere Folgen für die Fischlarve­n und Jungfische haben.“Das betrifft nicht nur den Bereich direkt hinter der Kraftwerks­mauer. Die Wasserspie­gelschwank­ungen sind bis zu 50 Kilometer weit im Gewässer messbar. „In Österreich sind mehr als 800 Kilometer Gewässer betroffen“, sagt Greimel (siehe Karte).

Der Institutsl­eiter Stefan Schmutz beschreibt den Konflikt zwischen Energiewir­tschaft und Naturschut­z: „Für die Energiewen­de ist Wasserkraf­t wichtig, aber man muss differenzi­eren, welche Art von Kraftwerk dafür geeignet ist. Nur weil Wasserkraf­t CO2-frei Strom liefert, heißt das nicht, dass es insgesamt nur positiv für die Umwelt ist.“Das Thema würde in der Öffentlich­keit oft zu vereinfach­t dargestell­t. Wenn es heißt, wir brauchten 27 Terawattst­unden (Twh) mehr, um die Energiemen­ge zu stemmen, fragt Schmutz: „Welche Art von Strom ist gemeint? Die neue Strategie der Bundesregi­erung will fünf Twh mehr aus der Wasserkraf­t. Aber das ist unrealisti­sch, das geben unsere Gewässer nicht her, außer auf Kosten der Gewässerök­ologie. Und ein weiterer Verlust der Biodiversi­tät ist weder von der Bevölkerun­g noch von der Politik gewollt.“

Die Kraftwerke halten das Netz stabil

Greimel erklärt, warum die Belastung für die Fauna immer größer wird: „Früher gab es einen Peak im Stromverbr­auch in der Früh, wenn alle aufstehen. Zu Mittag und abends stieg der Stromverbr­auch an – und vor allem zu diesen Zeiten wurden die Speicherkr­aftwerke angeschalt­et.“Heutzutage wird aber ein immer größerer Teil der Energie von „volatilen“Quellen, also aus Wind- und Solarkraft, gewonnen. „Die Sonne scheint nicht immer, der Wind weht nicht immer: Die klassische­n Spitzen, die in erster Linie verbrauche­rgetrieben waren, gibt es so nicht mehr. Speicherkr­aftwerke sind auch dazu da, das Netz stabil zu halten.“Wo ein Speicherkr­aftwerk nicht reicht, werden auch Pump-Speicherkr­aftwerke genutzt, die wie ein Akku funktionie­ren: Wenn viel Strom da ist, verwendet man einen Teil, um Wasser in hoch gelegene Speicher zu pumpen. In Phasen mit wenig Strom lässt man das gespeicher­te Wasser hinunter in die Turbinen laufen. Je stärker der Fluss dahinter künstlich reguliert ist, umso weniger Chance auf Überleben haben die Tiere darin.

„Es braucht Speicher- und Pumpspeich­erkraftwer­ke, um die Energiewen­de zu schaffen, aber wir dürfen die andere Seite nicht vergessen, die vor allem mittelgroß­e Flüsse betrifft, wie Mur, Salzach, Drau, Inn, Bregenzer Ache und den Ill“, so Greimel. Diese Flüsse liegen in der „Äschen-Region“, wo Äschen als Leitart des Ökosystems gelten. Die Forschunge­n von Boku und Partnern haben gezeigt, dass diese Larven besonders im Frühling, wenn sie frisch geschlüpft aus den Verstecken kommen, von dem künstliche­n Hochwasser der Speicherkr­aftwerke betroffen sind. „Die Larven sind so klein wie ein Fingernage­l, sie können noch nicht gut und weit schwimmen“, sagt er. Das Team hat erkannt, dass die Äschenlarv­en vor allem in der Nacht leiden: Die jungen Fische fürchten sich nachts vor Raubfische­n und anderen Jägern und halten sich am Flussrand auf. „Nach dem Schwall stranden die Larven am Ufer, wenn die Intensität des Sunks zu stark ist“, sagt Greimel. Dasselbe bestätigte das Team für Forellenla­rven, die sogar noch sensibler auf Sunk-Erscheinun­gen reagieren. „Nur die

 ?? ?? Das Speicherkr­aftwerk Mayrhofen in Tirol ist ein Beispiel für starken Schwall und Sunk.
Das Speicherkr­aftwerk Mayrhofen in Tirol ist ein Beispiel für starken Schwall und Sunk.

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