Schlafende Sensoren spielen Schutzengel für Bergdörfer
Innsbrucker Forscher tüfteln an intelligenten Sensoren, die nur im Ernstfall Daten schicken, um Menschen in Siedlungsgebieten vor Felsstürzen zu warnen. Das Team um Informatiker Jan Beutel entwickelt diese aufbauend auf ein am Matterhorn erprobtes Sensorn
Am Anfang stand die gar nicht so einfache Suche nach konkreten Anwendungen für seine Forschung zu Sensornetzwerken. Die Suche führte ihn in die Berge. „Wir hatten Prototypen, Methoden und Algorithmen zur Vernetzung und wollten durch den Technologietransfer auf reale Anwendungen auch ein tieferes Verständnis der Materie erhalten“, erinnert sich Jan Beutel an seine Zeit an der ETH Zürich und mit dem Nationalen Forschungsschwerpunkt „Mics“zurück. Er ist vor knapp einem Jahr an die Universität Innsbruck gewechselt, um in seiner Heimat, ausgehend von seinen in den Walliser Alpen gewonnenen Erkenntnissen, die nächste Generation intelligenter Sensoren zu entwickeln. Diese sollen vor den durch den Klimawandel vermehrt zu erwartenden Felsstürzen warnen.
Sein Aha-Erlebnis hatte er vor mehr als zwanzig Jahren als Informatik-Doktorand bei der Präsentation eines Geografen zum Thema Permafrost und Klimawandel in den Berner Alpen: „Ich stand damals am Ende meiner Bergführerausbildung, und mir war sofort klar: Mit diesen Leuten musst du reden.“Die ungewöhnliche Kooperation trug Früchte, auch wenn es erst ein paar interdisziplinäre Hürden zu meistern gab. „Die Geografen der Uni Zürich wollten unsere Sensoren kaufen und von uns die Daten übermittelt bekommen und fertig. Aber wir haben schnell gemerkt, dass sowohl die Sensoren als auch die Art, wie wir sie betreiben, direkten Einfluss auf die Möglichkeit, daraus Wissen zu erschließen, haben. An dieser Schraube wollten wir drehen.“Gesagt, getan. Heute ist Beutel auch selbst auf dem Gebiet der Geowissenschaften versiert – ohne diese Expertise seien derartige Projekte nicht möglich. „Es ist sehr wichtig, dass man das Anwendungsgebiet von A bis Z kennt“, betont er.
„Die ganze Region ist unser Labor“
Sein Schweizer Team entwickelte ein komplexes Instrumentarium, das Daten nicht nur aus der Ferne mit Drohnen, Satelliten, Laser und Radar liefert, sondern eben auch mit direkt auf den zu untersuchenden oder zu beobachtenden Untergründen angebrachten Bodensensoren. 2008 installierten die Forscher schließlich 29 Sensoren in 3500 Metern Höhe am Matterhorn, um den Einfluss des Klimawandels auf die Stabilität steiler Felshänge zu messen. Sie dokumentieren akustische Signale, Spaltbewegungen und seismische Schwingungen. „Die ganze
Region ist zu unserem Labor geworden“, so Beutel. „Die Situation in den Tälern um das Matterhorn ist prekär, rutschende Hänge bedrohen Siedlungsgebiet.“Seither wurden unter anderem auf Basis der in dem Projekt erhobenen Daten einzelne Evakuierungen oder Sicherheitssprengungen durchgeführt. Die Technologie wird mittlerweile auch in Grönland und Frankreich genutzt.
In Innsbruck baut Beutel nun eine neue Forschungsgruppe auf. Die Berge sind von der Universität aus schnell erreichbar – perfekte Voraussetzung, um im Feld experimentell zu arbeiten. Ähnliche Hotspots wie in der Schweiz gibt es in den Tiroler Alpen nicht – dafür andere Herausforderungen. „Unser Instrumentarium lässt sich den verschiedenen Fragestellungen anpassen“, erklärt er. Während Prozessanalysen und Prognosen rund um Felsstürze komplexe Datensätze, deren Auswertung Wochen dauert, voraussetzen, sind für konkrete Warnungen nur kleine Datenmengen, die zuverlässig und zeitnah übertragen werden, gefragt: „Dafür brauchen wir intelligente Sensoren, die sich an die Situation anpassen. Unser Ziel sind Sensoren, die die meiste Zeit schlafen und erst dann zu messen anfangen, wenn es zu einer relevanten Veränderung kommt.“Einen Prototyp gibt es schon. Nun geht es an die Feinarbeit.