Noch ein Stadion für Orb´an
Expedition Europa. Ungarischchinesische Beziehungen: Der für die chinesische Elite-Uni im Herzen Europas vorgesehene Bauplatz ist eine Brache.
Ungarn öffnet sich so vorbehaltlos wie kein anderer EU-Staat gegenüber China, nun soll auch noch die Shanghaier Elite-Universität Fudan eine vollwertige Niederlassung in Budapest bekommen. Der Kredit (1,5 Milliarden Euro) soll aus China kommen, die Baufirma (CSCEC) auch. Die ungarische Opposition, die sich zu einem einzigen Block aus Parteien von grünprogressiv bis postfaschistisch vereinigt hat, läuft dagegen Sturm. Unter anderem mit einer listigen medienwirksamen Aktion: Die in Budapest bereits regierende Opposition hat Straßen auf dem Baugelände umbenannt. Seither gibt es an der Donau eine „Dalai-Lama-Straße“, eine „Straße der uigurischen Märtyrer“und eine „Bischof-Xie-Shiguang-Straße“.
Ich habe einen Termin im Bezirksamt des IX. Bezirks, Ferencva´ros. Den Schachzug mit den Straßennamen hat sich Bezirksvorsteherin Krisztina Baranyi ausgedacht, gespielt wird aber eine größere Partie: Die Opposition wählt gerade in Vorwahlen Viktor Orba´ns Herausforderer für die Wahl 2022. Der neue Bürgermeister Gergely Kara´csony ist ein aussichtsreicher Kandidat. Wenn er Premierminister wird, hat Baranyi gute Chancen auf seine Nachfolge im Budapester Rathaus.
Ich komme vom Zentrum her, durch die jugendliche Lokalmeile Ra´day utca. Kara´csony-Plakate, Wahlstände. Die Baustelle vor dem Bezirksamt ist der Hauptposten des heurigen Bezirksbudgets, das Fudan-Projekt entspricht dem Gesamtbudget des Bezirks von 25 Jahren. Hier steht die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt gegen einen Pester Arbeiterbezirk, der aufgrund seiner Zentrumsnähe und seiner großen Unis gentrifiziert und teuer geworden ist.
Es empfängt mich ein Turnschuhträger in zerknautschtem Hemd, Ja´nos Somlai, Baranyis Kabinettschef, vorher ihr Wahlkampfleiter,
vorher Journalist bei index.hu. Die Opposition kämpft für das alte Projekt einer „Studentenstadt“mit 8000 günstigen Betten, „wir wollen damit die zu hohen Mieten brechen“, sagt Somlai. „Wir haben einen Deal gemacht. Eine von Orba´ns vielen Manien sind Stadien. Der Deal war, dass er ein weiteres Stadion kriegt, wir die Studentenstadt.“Aus Somlais Sicht hat Orba´n den Deal gebrochen, denn „sie haben die Studentenstadt auf ein Drittel des Geländes reduziert, Fudan kriegt zwei Drittel“. Die Opposition will ein Referendum über Fudan erwirken, auch wenn die erforderliche Wahlbeteiligung von 50 Prozent schwer zu erreichen ist. Der Kabinettschef behauptet: „Orba´ns Hauptmotivation ist Geld. Ministerialbeamte sagen mir, dass das Uni-Projekt um 40 Prozent überteuert ist. Das ist die übliche Marge, nur ist halt die Dimension eine ganz andere.“
Der zentrale Kritikpunkt: Mit der Privatuni Fudan „öffnet man Tausenden IT-Spezialisten und Wissenschaftern unkontrolliert die Tür – in der Hauptstadt eines NatoLandes. Wäre ich ein chinesischer Geheimdienstler, würde ich so eine Gelegenheit lieben.“Somlai schränkt sogleich ein: „Das kann ein Thema auf dem Tisch der Supermächte sein, Ferencva´ros ist aber kein Player in internationalen Beziehungen.“– „Nein? Deswegen bin ich aber hergekommen!“Er lacht. Ich frage ihn, wem die besonders listige Idee gekommen ist, einem 28 Jahre eingekerkerten Geistlichen der romtreuen chinesischen Untergrundkirche eine Straße zu geben. Orba´ns Regierung profiliert sich nämlich als Schutzmacht verfolgter Christen, arbeitet aber in China mit den Christenverfolgern zusammen. Die Provokation mit Xie Shiguang – eine Idee von Facebook-Kommentatoren – kratzt Orba´n kaum, glaubt Somlai, China aber vielleicht schon: „Chinesen mögen keine Skandale. Wenn wir China zum Rückzug provozieren könnten, dann wär das fein.“Angst, die europäisch-chinesischen Beziehungen zu verderben, hat er nicht.
Das Gelände an der Donau ist ohne Auto nicht zu erreichen, Somlai ruft mir einen Wagen des Bezirksamts. Der junge sportliche Fahrer hat auf der linken Hand die Stephanskrone tätowiert, auf der rechten Mamas Geburtstag und weiß von der ganzen Sache nichts. Über Ferencva´ros rümpft er die Nase, das noble hügelige Buda ist „viel besser“, auch der gleichfalls nicht im Bezirk wohnende Kabinettschef verachtet den Fußballklub Ferencva´ros, und vielleicht ist Ferencva´ros auch für die zugewanderte Bezirksvorsteherin bloß ein Sprungbrett. Der für die chinesische Elite-Uni im Herzen Europas vorgesehene Bauplatz ist eine Brache. Eine Durchzugsstraße für Schwerlaster, wucherndes Unkraut, eingezäunte Baucontainer für Orba´ns weit fortgeschrittenes Stadion. Die „BischofXie-Shiguang-Straße“ist eine Tafel im Nirgendwo, vor struppigem Gebüsch.
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