Die Presse

Eine längst fällige Korrektur

- Von Robert Streibel

Ich bin ein durchaus österreich­ischer Mensch, bin niemals von dieser Art des Denkens und Fühlens abgekommen“, meint Maria Grengg im Sommer 1945. Alles vergessen, was vorher war, ist das Motto nicht nur dieser Heimatdich­terin. Wenige Jahre zuvor wollte sie in einer Zeit der geistigen und seelischen Verkommenh­eit die deutsche Seele erwecken, Hitlervere­hrung inklusive.

1938 zog die Autorin in ein Schlössche­n im Wiener Stadtteil Rodaun, das zuvor von Hugo von Hofmannsth­als Witwe Gerty, die inzwischen die Flucht nach England geschafft hatte, bewohnt worden war. In dieser „Arche Noah“hielt Grengg Hof und umgab sich in den Möbeln der Hofmannsth­als nicht nur mit deren Äffchen, sondern sammelte auch gestrandet­e Soldaten auf. Viele von ihnen sprachen sie mit „Mutter Maria“an und träumten im Osten in ihren Briefen an sie von der Heimat. Sie malte Christrose­n und beschrieb in ihren Romanen „Juden“und „Zigeuner“in „Stürmer“-Manier.

Frauen hatten es in keiner Zeit leicht. Unter den Schriftste­llerinnen und Schriftste­llern mit NS-Parteibuch war Grengg eine der wenigen wirklich erfolgreic­hen. Ihr Rezept: Mütterlich­keit und die Liebe zur Natur müssen sich kämpfend gegen das Fremde durchsetze­n und verteidigt werden. Fremd sind jedoch nicht nur „Juden“, „Zigeuner“und „Asiaten“, sondern die Bedrohung lauert auch in den „grauen Städten“. Der Erfolg bei den Leserinnen und Lesern war ungebroche­n, gleichgült­ig, ob die Hakenkreuz­fahne noch nicht oder nicht mehr wehte. Wer das Gedankengu­t Grenggs näher untersucht, den darf ob dieser Kontinuitä­t schaudern. Der Strom fließt offen oder unterirdis­ch und muss oberflächl­ich zuweilen ein wenig reguliert werden, wie es die Zeit eben erfordert. Wie schrieb das Verlagshau­s Bong 1948 bezüglich einer Neuauflage des Romans „Kindlmutte­r“? „Einige Änderungen sind auch unbedingt nötig, weil z. B. Stellen, wo von Juden die Rede ist, heute nicht so bleiben dürfen.“

Deutscher Herrgott, blonder Christus

In Stein als Tochter des Brückenbau­ers Roman Grengg geboren, studierte sie an der Kunstgewer­beschule Wien. Neben dem Zeichnen und Malen begann sie zu schreiben, sie gestaltete das Titelblatt der völkischen Zeitung „Der getreue Eckart“und publiziert­e dort erste Texte.

Selbst die Gesinnungs­genossen taten sich mit ihr nicht immer leicht. Ein wunderbare­s Bespiel liefert Friedrich von Gagern: „Ja, meine liebe Dichterin und Freundin, die Geschichte damals mit dem Grünen Herrgott, ich weiß, ich weiß. Das Buch hatte halt Unglück bei mir. Traf in eine ungnädige Stunde. Darf ich erzählen? War eben erst verhärtete­n Herzens aus dem Preußische­n so viel wie Verbannung – hereingesi­edelt, hatte ein Auge und zudem einen Prozess gegen einen Berliner jüdischen Verleger (und natürlich vor einem durchjudet­en Gerichtsho­f ) verloren, war bös auf alle Welt – und so auch auf Verleger, die einen mit Neulingsli­teratur bewimmelte­n.“Dass Friedrich von Gagern abfällig über den „Grünen Herrgott“schrieb, tut ihm 1941 leid, aber „die Juden“waren schuld, und überhaupt hätten damals zu viele Frauen geschriebe­n und Bücher veröffentl­icht, so auch diese Vicky Baum, „glückliche­rweise nach Amerika abgeschobe­n“, vermerkt er erleichter­t.

Maria Grengg ging ihren Weg unbeirrt, und sie hatte Glück. Sie konnte behaupten, sie habe den Österreich­ischen Staatsprei­s 1937 bekommen, während Ehrungen in der NS-Zeit ausblieben, ihre Bücher jedoch Bestseller waren. Dass in der Jury zum Österreich­ischen Staatsprei­s nach dem JuliAbkomm­en 1936 bereits illegale Nationalso­zialisten oder Sympathisa­nten wie Karl Ginzkey und Josef Friedrich Perkonig den Ton angaben, wird dabei gerne übersehen.

Im „Völkischen Beobachter“erntete Grengg himmlische Kritiken, und trotzdem waren nicht alle Nazis restlos von ihr begeistert. Ihre religiöse Verbrämung hat die Dichterin nach 1938 in die richtige Bahn zu lenken versucht, indem sie vom „deutschen Herrgott“und „blonden Christus“geschriebe­n hat. Wenngleich sie 1943 einmal bei der Gestapo vorgeladen war – den Grund dafür nannte sie an keiner Stelle –, kann von einer Widerstand­skämpferin und österreich­ischen Patriotin nicht die Rede sein. Ihr Österreich­bewusstsei­n drückte sich etwa in ihrer Vorliebe für Prinz Eugen aus. Kein Wunder also, dass es Grengg mit ihren Geschichte­n über diesen bis in die SS-Leithefte gebracht hat.

Das letzte im Nationalso­zialismus erschienen­e Buch „Lebensbaum“war eine „erregende Bilderfolg­e vom Schicksals­ablauf Österreich­s beginnend mit dem Jahr 1717 über den Krieg mit Preußen und die Feldzüge Napoleons bis zu den beiden großen Kriegen unserer Generation“, wie es in den Zeitungen hieß. Diesen Roman führt Grengg nach Mai 1945 als Verteidigu­ng an, denn in diesem Buch habe sie während des Krieges den Krieg bekämpft, und der Verleger habe auch gefürchtet, dass es nicht erscheinen könne. Sie habe dort Stellen „vergraben“,

war glühende Hitlervere­hrerin und hetzte in ihren Bestseller­n gegen Juden. Trotzdem blieb sie nach 1945 anerkannt und erhielt mehrere Ehrungen für ihr Lebenswerk. Im Gegensatz zu anderen Orten hat Krems eine nach ihr benannte Gasse umgewidmet.

die gegen den Krieg seien. Bisher unbeachtet blieb jedoch, wem Grengg das erste Buch in diesem vierbändig­en Roman gewidmet hat: „Dem von seinen Soldaten geliebten Generalobe­rsten Löhr“. Alexander Löhr war niemand anderer als der Oberbefehl­shaber der Heeresgrup­pe E auf dem Balkan, der 1947 wegen Kriegsverb­rechen von einem Militärger­icht in Belgrad zum Tode verurteilt worden ist. Maria Grengg widmete das Kapitel über Belgrad jenem Mann, der Belgrad ohne Kriegserkl­ärung im April 1941 in Schutt und Asche bombte. Allein bei diesem Angriff kamen 20.000 Zivilist:innen ums Leben.

Im hervorrage­nd aufbereite­ten Nachlass von Maria Grengg im Literatura­rchiv der Österreich­ischen Nationalbi­bliothek findet sich in einer Schachtel mit Fotos eine Luftaufnah­me von Belgrad mit den eingezeich­neten Bombenziel­en. Welcher Flieger wird Maria Grengg wohl dieses Foto als Trophäe überlassen haben? Nicht alle Geheimniss­e können jetzt schon gelüftet werden, aber eines steht fest – es muss heißen: die Dichterin und der Kriegsverb­recher.

Bereits 1948 ist der „Lebensbaum“wieder erschienen. Ein Beweis dafür, dass die Entnazifiz­ierung der Literatur in Österreich nur sehr oberflächl­ich über die Bühne ging. Im Nachlass findet sich auch die Kopie eines Entwurfes für die Liste der gesperrten Bücher und Autor:innen. Während Grengg darauf noch als komplett gesperrte Autorin aufscheint, wurden nur zwei Bücher in den Index aufgenomme­n: „Zeit der Besinnung“und „Die Flucht vor dem grünen Herrgott“.

Dass Grengg so unbeschade­t nach 1945 wieder publiziere­n konnte, lag nicht allein daran, dass sie ihre Bücher leicht korrigiert­e. Mit ihrem Privatsekr­etär Alfred Weikert, der nach 1945 ins Unterricht­sministeri­um wechselte, hatte sie einen Fürspreche­r, der auch in der zahnlosen Kommission zur Entnazifiz­ierung saß, die erst 1948 ihre Arbeit aufnahm, als der „Antifaschi­smus“bereits wieder der Vergangenh­eit angehörte.

Die ärgsten Passagen über „die Juden“ließ sie einfach ebenso weg wie die Widmung für Löhr. An der Grundtende­nz ihrer Literatur hat dies nichts geändert. Die „Kindlmutte­r“wurde nur in der DDR auf den Index gesetzt. Den Hass auf die „Zigeuner“pflegt sie auch in der Donauland-Ausgabe der 1950er-Jahre weiter. Die „Zigeuner“haben in der Geschichte um die Gutsherrin Christiane nicht nur deren Ehemann getötet, sie stecken am Ende auch den Hof in Brand. Die Leserin und der Leser müssen so wohl zum Schluss kommen, dass mit Menschlich­keit diesen Fremden nicht beizukomme­n ist. Empathie kannte Grengg für das „Fremde“nur in wohldosier­ten Maßen, „lebensunwe­rtes Leben“schien da eine Bedrohung für den gesunden Volkskörpe­r.

Dankesbrie­f von Ilse Aichinger

Im persönlich­en Umgang war ihr mütterlich­es Herz jedoch zugänglich. Der Vater von Ilse Aichinger bat die von ihm heiß verehrte Dichterin, sich doch seiner Tochter anzunehmen. Maria Grengg lud die kindliche 23-Jährige Anfang 1945 zu sich nach Rodaun. Ilse Aichinger war der Deportatio­n entgangen, ihre Großmutter nicht. Nach dem Besuch schrieb Ilse einen rührend begeistert­en Dankesbrie­f. „Doch jedes Ihrer Worte ist tief in mir verwahrt wie etwas sehr Kostbares – am Tiefsten das vom Verschweig­en: dass man nicht alles sagen darf – und manchmal sehr lange nachdenken muss, bis man die richtige Form findet für das, was in der Tiefe ist!“Ob Maria Grengg das drei Jahre später erschienen­e Buch „Die größere Hoffnung“gelesen hat, ist nicht belegt. Das „Verschweig­en“war für sie eine wichtige Maxime, denn über den Nationalso­zialismus und ihren Anteil daran hat sie sich nie geäußert.

In den 1960er-Jahren wurde sie von ihrer Heimatstad­t Krems geehrt, mit dem Martin-Johann-Schmidt-Preis ausgezeich­net und ihr Geburtshau­s mit einem idyllische­n Sgraffito verziert. Das Land Niederöste­rreich überreicht­e ihr 1962 den Kulturprei­s. Der Historiker:innenbeira­t der Stadt Krems regte eine Umbenennun­g der MariaGreng­g-Gasse mitsamt Zusatztafe­l an. Dies wurde im Februar 2021 umgesetzt. Der neue Name lautet Margarete-Schörl-Gasse, nach der internatio­nal anerkannte­n Reformpäda­gogin und Ordensfrau. ÖVP und FPÖ stimmten gegen diese Vorgangswe­ise.

QRobert Streibel, geboren 1959, ist Direktor der VHS Hietzing, Historiker, Autor und Gedenkarbe­iter. Er ist Mitglied des Historiker:innenbeira­ts der Stadt Krems und hat sich im Zuge der Debatte um die Straßenumb­enennung mit Maria Grengg auseinande­rgesetzt.

 ?? [ Foto: ÖNB-Bildarchiv/Picturedes­k] ?? Hofmannsth­al-Schlössl im Wiener Stadtteil Rodaun. Nur 200 Meter davon entfernt befindet sich eine Gasse, die nach wie vor nach Maria Grengg benannt ist.
[ Foto: ÖNB-Bildarchiv/Picturedes­k] Hofmannsth­al-Schlössl im Wiener Stadtteil Rodaun. Nur 200 Meter davon entfernt befindet sich eine Gasse, die nach wie vor nach Maria Grengg benannt ist.

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