Eine längst fällige Korrektur
Ich bin ein durchaus österreichischer Mensch, bin niemals von dieser Art des Denkens und Fühlens abgekommen“, meint Maria Grengg im Sommer 1945. Alles vergessen, was vorher war, ist das Motto nicht nur dieser Heimatdichterin. Wenige Jahre zuvor wollte sie in einer Zeit der geistigen und seelischen Verkommenheit die deutsche Seele erwecken, Hitlerverehrung inklusive.
1938 zog die Autorin in ein Schlösschen im Wiener Stadtteil Rodaun, das zuvor von Hugo von Hofmannsthals Witwe Gerty, die inzwischen die Flucht nach England geschafft hatte, bewohnt worden war. In dieser „Arche Noah“hielt Grengg Hof und umgab sich in den Möbeln der Hofmannsthals nicht nur mit deren Äffchen, sondern sammelte auch gestrandete Soldaten auf. Viele von ihnen sprachen sie mit „Mutter Maria“an und träumten im Osten in ihren Briefen an sie von der Heimat. Sie malte Christrosen und beschrieb in ihren Romanen „Juden“und „Zigeuner“in „Stürmer“-Manier.
Frauen hatten es in keiner Zeit leicht. Unter den Schriftstellerinnen und Schriftstellern mit NS-Parteibuch war Grengg eine der wenigen wirklich erfolgreichen. Ihr Rezept: Mütterlichkeit und die Liebe zur Natur müssen sich kämpfend gegen das Fremde durchsetzen und verteidigt werden. Fremd sind jedoch nicht nur „Juden“, „Zigeuner“und „Asiaten“, sondern die Bedrohung lauert auch in den „grauen Städten“. Der Erfolg bei den Leserinnen und Lesern war ungebrochen, gleichgültig, ob die Hakenkreuzfahne noch nicht oder nicht mehr wehte. Wer das Gedankengut Grenggs näher untersucht, den darf ob dieser Kontinuität schaudern. Der Strom fließt offen oder unterirdisch und muss oberflächlich zuweilen ein wenig reguliert werden, wie es die Zeit eben erfordert. Wie schrieb das Verlagshaus Bong 1948 bezüglich einer Neuauflage des Romans „Kindlmutter“? „Einige Änderungen sind auch unbedingt nötig, weil z. B. Stellen, wo von Juden die Rede ist, heute nicht so bleiben dürfen.“
Deutscher Herrgott, blonder Christus
In Stein als Tochter des Brückenbauers Roman Grengg geboren, studierte sie an der Kunstgewerbeschule Wien. Neben dem Zeichnen und Malen begann sie zu schreiben, sie gestaltete das Titelblatt der völkischen Zeitung „Der getreue Eckart“und publizierte dort erste Texte.
Selbst die Gesinnungsgenossen taten sich mit ihr nicht immer leicht. Ein wunderbares Bespiel liefert Friedrich von Gagern: „Ja, meine liebe Dichterin und Freundin, die Geschichte damals mit dem Grünen Herrgott, ich weiß, ich weiß. Das Buch hatte halt Unglück bei mir. Traf in eine ungnädige Stunde. Darf ich erzählen? War eben erst verhärteten Herzens aus dem Preußischen so viel wie Verbannung – hereingesiedelt, hatte ein Auge und zudem einen Prozess gegen einen Berliner jüdischen Verleger (und natürlich vor einem durchjudeten Gerichtshof ) verloren, war bös auf alle Welt – und so auch auf Verleger, die einen mit Neulingsliteratur bewimmelten.“Dass Friedrich von Gagern abfällig über den „Grünen Herrgott“schrieb, tut ihm 1941 leid, aber „die Juden“waren schuld, und überhaupt hätten damals zu viele Frauen geschrieben und Bücher veröffentlicht, so auch diese Vicky Baum, „glücklicherweise nach Amerika abgeschoben“, vermerkt er erleichtert.
Maria Grengg ging ihren Weg unbeirrt, und sie hatte Glück. Sie konnte behaupten, sie habe den Österreichischen Staatspreis 1937 bekommen, während Ehrungen in der NS-Zeit ausblieben, ihre Bücher jedoch Bestseller waren. Dass in der Jury zum Österreichischen Staatspreis nach dem JuliAbkommen 1936 bereits illegale Nationalsozialisten oder Sympathisanten wie Karl Ginzkey und Josef Friedrich Perkonig den Ton angaben, wird dabei gerne übersehen.
Im „Völkischen Beobachter“erntete Grengg himmlische Kritiken, und trotzdem waren nicht alle Nazis restlos von ihr begeistert. Ihre religiöse Verbrämung hat die Dichterin nach 1938 in die richtige Bahn zu lenken versucht, indem sie vom „deutschen Herrgott“und „blonden Christus“geschrieben hat. Wenngleich sie 1943 einmal bei der Gestapo vorgeladen war – den Grund dafür nannte sie an keiner Stelle –, kann von einer Widerstandskämpferin und österreichischen Patriotin nicht die Rede sein. Ihr Österreichbewusstsein drückte sich etwa in ihrer Vorliebe für Prinz Eugen aus. Kein Wunder also, dass es Grengg mit ihren Geschichten über diesen bis in die SS-Leithefte gebracht hat.
Das letzte im Nationalsozialismus erschienene Buch „Lebensbaum“war eine „erregende Bilderfolge vom Schicksalsablauf Österreichs beginnend mit dem Jahr 1717 über den Krieg mit Preußen und die Feldzüge Napoleons bis zu den beiden großen Kriegen unserer Generation“, wie es in den Zeitungen hieß. Diesen Roman führt Grengg nach Mai 1945 als Verteidigung an, denn in diesem Buch habe sie während des Krieges den Krieg bekämpft, und der Verleger habe auch gefürchtet, dass es nicht erscheinen könne. Sie habe dort Stellen „vergraben“,
war glühende Hitlerverehrerin und hetzte in ihren Bestsellern gegen Juden. Trotzdem blieb sie nach 1945 anerkannt und erhielt mehrere Ehrungen für ihr Lebenswerk. Im Gegensatz zu anderen Orten hat Krems eine nach ihr benannte Gasse umgewidmet.
die gegen den Krieg seien. Bisher unbeachtet blieb jedoch, wem Grengg das erste Buch in diesem vierbändigen Roman gewidmet hat: „Dem von seinen Soldaten geliebten Generalobersten Löhr“. Alexander Löhr war niemand anderer als der Oberbefehlshaber der Heeresgruppe E auf dem Balkan, der 1947 wegen Kriegsverbrechen von einem Militärgericht in Belgrad zum Tode verurteilt worden ist. Maria Grengg widmete das Kapitel über Belgrad jenem Mann, der Belgrad ohne Kriegserklärung im April 1941 in Schutt und Asche bombte. Allein bei diesem Angriff kamen 20.000 Zivilist:innen ums Leben.
Im hervorragend aufbereiteten Nachlass von Maria Grengg im Literaturarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek findet sich in einer Schachtel mit Fotos eine Luftaufnahme von Belgrad mit den eingezeichneten Bombenzielen. Welcher Flieger wird Maria Grengg wohl dieses Foto als Trophäe überlassen haben? Nicht alle Geheimnisse können jetzt schon gelüftet werden, aber eines steht fest – es muss heißen: die Dichterin und der Kriegsverbrecher.
Bereits 1948 ist der „Lebensbaum“wieder erschienen. Ein Beweis dafür, dass die Entnazifizierung der Literatur in Österreich nur sehr oberflächlich über die Bühne ging. Im Nachlass findet sich auch die Kopie eines Entwurfes für die Liste der gesperrten Bücher und Autor:innen. Während Grengg darauf noch als komplett gesperrte Autorin aufscheint, wurden nur zwei Bücher in den Index aufgenommen: „Zeit der Besinnung“und „Die Flucht vor dem grünen Herrgott“.
Dass Grengg so unbeschadet nach 1945 wieder publizieren konnte, lag nicht allein daran, dass sie ihre Bücher leicht korrigierte. Mit ihrem Privatsekretär Alfred Weikert, der nach 1945 ins Unterrichtsministerium wechselte, hatte sie einen Fürsprecher, der auch in der zahnlosen Kommission zur Entnazifizierung saß, die erst 1948 ihre Arbeit aufnahm, als der „Antifaschismus“bereits wieder der Vergangenheit angehörte.
Die ärgsten Passagen über „die Juden“ließ sie einfach ebenso weg wie die Widmung für Löhr. An der Grundtendenz ihrer Literatur hat dies nichts geändert. Die „Kindlmutter“wurde nur in der DDR auf den Index gesetzt. Den Hass auf die „Zigeuner“pflegt sie auch in der Donauland-Ausgabe der 1950er-Jahre weiter. Die „Zigeuner“haben in der Geschichte um die Gutsherrin Christiane nicht nur deren Ehemann getötet, sie stecken am Ende auch den Hof in Brand. Die Leserin und der Leser müssen so wohl zum Schluss kommen, dass mit Menschlichkeit diesen Fremden nicht beizukommen ist. Empathie kannte Grengg für das „Fremde“nur in wohldosierten Maßen, „lebensunwertes Leben“schien da eine Bedrohung für den gesunden Volkskörper.
Dankesbrief von Ilse Aichinger
Im persönlichen Umgang war ihr mütterliches Herz jedoch zugänglich. Der Vater von Ilse Aichinger bat die von ihm heiß verehrte Dichterin, sich doch seiner Tochter anzunehmen. Maria Grengg lud die kindliche 23-Jährige Anfang 1945 zu sich nach Rodaun. Ilse Aichinger war der Deportation entgangen, ihre Großmutter nicht. Nach dem Besuch schrieb Ilse einen rührend begeisterten Dankesbrief. „Doch jedes Ihrer Worte ist tief in mir verwahrt wie etwas sehr Kostbares – am Tiefsten das vom Verschweigen: dass man nicht alles sagen darf – und manchmal sehr lange nachdenken muss, bis man die richtige Form findet für das, was in der Tiefe ist!“Ob Maria Grengg das drei Jahre später erschienene Buch „Die größere Hoffnung“gelesen hat, ist nicht belegt. Das „Verschweigen“war für sie eine wichtige Maxime, denn über den Nationalsozialismus und ihren Anteil daran hat sie sich nie geäußert.
In den 1960er-Jahren wurde sie von ihrer Heimatstadt Krems geehrt, mit dem Martin-Johann-Schmidt-Preis ausgezeichnet und ihr Geburtshaus mit einem idyllischen Sgraffito verziert. Das Land Niederösterreich überreichte ihr 1962 den Kulturpreis. Der Historiker:innenbeirat der Stadt Krems regte eine Umbenennung der MariaGrengg-Gasse mitsamt Zusatztafel an. Dies wurde im Februar 2021 umgesetzt. Der neue Name lautet Margarete-Schörl-Gasse, nach der international anerkannten Reformpädagogin und Ordensfrau. ÖVP und FPÖ stimmten gegen diese Vorgangsweise.
QRobert Streibel, geboren 1959, ist Direktor der VHS Hietzing, Historiker, Autor und Gedenkarbeiter. Er ist Mitglied des Historiker:innenbeirats der Stadt Krems und hat sich im Zuge der Debatte um die Straßenumbenennung mit Maria Grengg auseinandergesetzt.