Thomas Mann, entseelt
In „Der Zauberer“macht Colm To´ib´ın aus einem Dichterleben einen seichten Trivialroman.
Es ist nicht die Gabe der Erfindung – die der Beseelung ist es, welche den Dichter macht“, erklärte Thomas Mann 1906 im Essay „Bilse und ich“. Und wirklich, kaum ein anderer Schriftsteller hat so wenig erfunden und so viel Gefundenes neu beseelt: von den Geschichten Jakobs bis zur Faustsage. Und natürlich Geschichten aus dem eigenen Leben und dem seiner Familie. Klaus Harpprecht schildert in seiner Biografie, mit welch „beharrlichem Fleiß“er für die „Buddenbrooks“Anekdoten, Aperc¸us, Kochrezepte sammelte. Und wie er das Gesammelte verarbeitete, in große Literatur verwandelte, verdichtete.
Wie viel gab er von sich selbst preis? Was tarnte er? Und wie viel verschwieg er? Die Tagebücher aus der Zeit vor 1934 verbrannte er, nachdem er sie vor dem Zugriff der Nazis gerettet hatte. Sie enthielten wohl Zeugnisse seiner frühen Homoerotik. Die späte ist in den ab 1975 veröffentlichten Tagebüchern dokumentiert. Ob diese „kompromittant“seien, fragte seine Tochter Erika in einem Vorwort. Und antwortete cool: „Kein Lebensbau ohne ,Blaubartzimmer‘.“
In seinem Roman gaukelt Colm To´ib´ın uns vor, dass er alle Türen dieses Lebensbaus öffne. In Wahrheit entdichtet er das Verdichtete – und macht aus der scheinbaren Realität hinter der großen Literatur kleine Literatur. Wenn er Thomas Manns Empfindungen vor der Leiche seines Vaters oder beim Klavierspiel seiner Mutter beschreibt, klingen Passagen aus den „Buddenbrooks“an, doch seinem Stil fehlen beide Qualitäten, die untrennbar Manns Stil ausmachen: Ironie und Tiefe.
Plumpe Konjunktiv–Konstruktion
Er ersetzt sie durch das, was bei Thomas Mann selbst in den innigsten Momenten fehlt: Kitsch. Die Sexszene mit dem Mitschüler Willri ist nicht nur kitschig, sie vermittelt – obwohl sie gar nicht so explizit ist – das unangenehme Gefühl, dass man da vor ein Schlüsselloch geführt wird, durch das man gar nicht blicken will.
Man will aber auch keine holprigen Sätze lesen wie den, mit dem To´ ib´ın die Entstehung des „Tod in Venedig“schildert: „Wie die Tage vergingen“, heißt es da, „würde die Emotion, die seine Figur beim Anblick solch vollkommener Schönheit erfasste, zu einer immer größeren Belastung werden.“Mit solchen Konjunktiv-Konstruktionen (die auf Englisch vielleicht etwas weniger plump klingen) quält To´ ib´ın uns seitenweise.
Musterbeispiele für Trivialisierung sind auch die Passagen, in denen er die Davos-Erlebnisse, die als Vorlage für den „Zauberberg“dienten, quasi rekonstruiert. Wenn Thomas Mann etwa sein eigenes Herz im Röntgenapparat sieht, schreibt To´ib´ın: „Sowie es daranging, sein eigenes Bild zu sehen, hatte Thomas Mann das Gefühl, in das Allerheiligste einer Weihestätte getreten zu sein.“Man vergleiche das mit der entsprechenden „Zauberberg“-Stelle und versteht wieder einmal, was gute Literatur ausmacht.
To´ib´ın jedenfalls interessieren Skandälchen der Mann-Familie viel mehr als das Werk. Die Tetralogie „Joseph und seine Brüder“kommt nicht einmal vor! Das ist eine grobe Missachtung dessen, was Thomas Mann wichtig war, und worin er „die persönliche Spur eines bewusst, und das heißt: gewissenhaft geführten Lebenskampfes“sah. Davon will dieser seichte Roman nichts wissen.
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