„Auf einmal redet jeder über Seoul“
Im Oktober eröffnet der Galerist Thaddaeus Ropac eine Galerie in Südkorea. Über seine Wahl, nach Seoul zu expandieren, den Aufstieg von Paris als Kunstmarktplatz und das Hype-Thema NFT spricht er mit der „Presse“.
Die Presse:
Herr Ropac, am 7. Oktober eröffnen Sie Ihre neue Niederlassung in Seoul. Sie haben immer gesagt, Sie sehen sich als völlig überzeugter Europäer und seien gegen die Idee der weltweiten Vertretung von Künstlern. Man sei in einem Markt sehr stark und könne dort seine Expertise ausspielen, auf den anderen Märkten sei man eben schwächer. Jetzt haben Sie sich für Seoul entschieden. Wie passt das in das Konzept?
Thaddaeus Ropac: Ich erinnere mich natürlich, dass ich das öfter gesagt habe, weil wir wirklich glauben, dass wir für unsere Künstler in Europa das Beste machen können. Asien jedoch bietet unglaubliche Möglichkeiten, weil der Ort, was den Markt und die Optionen betrifft, noch nicht ausdefiniert ist. Wobei China der größte Markt ist, und langfristig werden wir alle irgendwo auch in China präsent sein. Im Moment werden die großen europäischen und amerikanischen Künstler in Asien von europäischen und amerikanischen Galerien vorgestellt. Die asiatischen Galerien sind am Wachsen, die werden sicher große Player werden. Aber derzeit ist das noch so, dass eine ausgewählte Gruppe von Europäern und Amerikanern nach Asien geht und ihre Künstler dort einführt und den Markt erobern will. Und ich finde, das sind wir unseren Künstlern schuldig, weil wir glauben, dass wir das gut machen können. Dieser Markt wird jetzt bestimmt.
Warum gerade Seoul und nicht beispielsweise Hongkong?
Das haben wir uns lang überlegt. Wir haben schon seit Jahren ein Büro in Hongkong. Das wäre natürlich das Einfachste gewesen. Aber ich habe nicht den richtigen Ort gefunden. Meine Galerien sind sehr von den Orten getragen, die müssen etwas Besonderes sein. Und in Hongkong habe ich nichts gefunden, zumindest nicht in der Ecke, wo ich sein wollte. Aber abgesehen davon war Seoul immer ein Ort, der inspiriert hat, mit großen Künstlern und Museen, der aber bisher nicht so beachtet worden ist, wie er es in der Zukunft sein wird.
Die Messeveranstalter der Frieze haben ja fast zeitgleich mit Ihnen angekündigt, ab 2022 eine Messe in Seoul zu machen.
Es sind gewisse Zufälle, die hier zusammenkommen und zeigen, dass die Stimmung gerade richtig ist. Und man muss schon sagen, dass Hongkong jetzt auch etwas anders gesehen wird als noch vor einem Jahr. Es war mir wichtig, in Asien, zumindest als erstes Standbein, an einen Ort zu gehen, an dem ich kein Problem mit der Zensur habe. Das hat man im Moment zwar noch nicht in Hongkong, aber das wird einem nicht mehr so leicht garantiert. Südkorea ist unangetastet. Und hier sind seit mehreren Generationen interessante Künstler vorhanden, das ist ganz wichtig. Es gibt Museen mit einer hervorragenden wissenschaftlichen Abteilung, Sammler, die in zweiter und dritter Generation sammeln. Es gibt Sammlungen, deren Werke in den 1980erJahren erworben wurden. Das ist in China nicht denkbar. Ich möchte jetzt auf keinen Fall gegen Hongkong sprechen, aber Hongkong ist ein Handelsplatz, wo wenig Kunst produziert wird. Hongkong ist nicht bekannt für seine Akademien und Künstler. Die leben in Shanghai und Peking. Seoul ist anders, da brodelt es auch in der Szene. Und es gibt nicht nur Seoul allein, wir sprechen über Busan, über Gwangju, und es gibt Gunsan als bedeutenden Ort von Aktivitäten im Kunstbereich. Das hat in den vergangenen Jahren für sich gewirkt, sich gegenseitig bestärkt, und jetzt hat diese Entwicklung international Beachtung gefunden. Auf einmal redet jeder über Seoul. Und ich freue mich natürlich, dass wir da zum richtigen Moment schon mit einem fertigen Projekt dort sind.
Was wird Ihre Eröffnungsausstellung sein?
Wir zeigen „Georg Baselitz: Hotel garni“. Es sind neue Werke von Baselitz. Die Ausstellung wird bis 27. November laufen. Die erste große Baselitz-Ausstellung in Asien war in Seoul, und die durften wir damals vermitteln und wesentlich mitproduzieren. Das war 2007 im National Museum of Modern and Contemporary Art Korea. Wir arbeiten auch eng mit Lee Bul zusammen, die eine der wichtigsten Künstlerinnen der Region ist. Dadurch ist mir Seoul auch als Ort von vielen Besuchen vertraut. Wir arbeiten seit vielen Jahren mit den Museen eng zusammen. Wir durften einige wichtige Werke dorthin vermitteln und kennen auch einige der großen Sammler gut.
Kommen wir von Asien zurück nach Europa. Da gibt es ebenfalls eine Stadt, die anscheinend gerade im Aufschwung ist, Paris. Man hört immer wieder: Paris ist das neue London. Sehen Sie das auch so, und liegt der Grund nur im Brexit?
Ja, Paris hat eine Renaissance, das ist eindeutig. Paris vor fünf oder zehn Jahren und heute, das ist unvergleichlich. Ich finde es aber unfair, wenn man sagt, Paris profitiere nur vom Brexit. Die Stadt hat einfach jahrelang in eine Struktur investiert, die unvergleichlich ist in Europa. Die zwei bedeutendsten privaten Museen zeitgenössischer Kunst sind in Paris in den vergangenen fünf Jahren eröffnet worden. Das ist Bernard Arnault mit der Fondation Louis Vuitton und Franc¸ois Pinault mit der Pinault Collection in der Bourse de Commerce. Und das ist unvergleichlich. Das gibt es in London nicht. Das hat aber überhaupt nichts mit dem Brexit zu tun, sondern ist unabhängig davon in Paris gewachsen. Das sind einfach Sammler, die in Europa enorm groß, enorm wichtig geworden sind und die entschieden haben, ihre Museen in Paris zu eröffnen und ihre Sammlungen zu zeigen und mit der Öffentlichkeit zu teilen. Als die Louis Vuitton Foundation eröffnete, waren sofort im ersten Jahr eine Million Besucher dort, und das, ohne den anderen Museen Besucher wegzunehmen. Das heißt also, Paris ist grundsätzlich gewachsen. Natürlich wurde das jetzt durch Covid kurzfristig unterbrochen.
Sie sind schon sehr lang in Paris, aber zuletzt haben andere internationale Galerien auch neue Niederlassungen eröffnet.
Die Stadt hat eine Aufwertung bekommen, das sieht man auch daran, welche Galerien nach Paris gekommen sind. Aber das ist das Resultat einer langfristigen Entwicklung. Man hat gemerkt, Paris nimmt es mit der zeitgenössischen Kunst enorm ernst. Und es gibt keine Institution, kein Museum, wo das nicht wirklich ein ganz wichtiger Teil der DNA ist. Sogar die neue Direktorin des Louvre, Laurence des Cars, hat in ihrer Antrittspressekonferenz zeitgenössische Kunst, den Dialog zwischen alter Kunst und heutiger Welt, angekündigt. Ich meine, der Louvre ist wirklich kein zeitgenössisches Museum. Davon profitiert Paris, von dieser Qualität, von dieser Critical Mass, die da entstanden ist. Und das ist nicht nur eine Brexit-Reaktion. Wobei der Brexit, zumindest was den Handel betrifft, noch extra etwas dazu beigetragen hat. Die Auktionshäuser und Galerien sagen, wir brauchen einen Ort, wo wir frei handeln können. London macht uns das schwierig, da müssen wir uns in Europa umsehen, wo der attraktivste Ort ist.
Das Stichwort Corona ist schon gefallen. Es hat den Kunstmarkt ziemlich auf den Kopf gestellt und die Digitalisierung beschleunigt. Plötzlich haben alle virtuelle Ausstellungen, Messen und digitale Verkaufsplattformen gemacht. Wird das den Markt nachhaltig verändern?
Ich glaube grundsätzlich, dass Covid langfristig keine so große Auswirkung haben wird. Das war eine Extremsituation, die einen riesigen Schock ausgelöst hat. In den ersten Monaten wusste man nicht, welche Konsequenzen das haben wird. Aber es hat sich sehr schnell beruhigt. Was die virtuellen Ausstellungen betrifft, waren wir selbst überrascht, dass das funktioniert. Wir haben aber auch das Glück gehabt, dass wir schon vorher ein eigenes Digital-Team aufgestellt haben. So konnten wir rasch reagieren. Wir haben gemerkt, dass wir digital Menschen weltweit erreichen. Allein unsere 230.000 Follower auf Instagram zeigen, wie aktiv diese Parallelwelt geworden ist, wie viel Information da getragen wird und wie sehr da ein Bezug zu einem Publikum entstanden ist, das wir nicht kennen. Denn den Großteil dieser Menschen, die uns auf den sozialen Medien folgen, kennen wir nicht, weil dieser in Südamerika oder in Asien lebt. Wobei, mit Asien ist das nicht ganz so einfach. Wir mussten in den verschiedenen Teilen Asiens unsere eigene Struktur schaffen. Denn Instagram gibt es in China nicht, sondern nur WeChat. Wir haben also eine Mitarbeiterin in Peking, die arbeitet für unsere Galerie, übersetzt den Content ins Mandarin und lädt ihn auf WeChat hoch. Seit fünf Jahren haben wir unseren eigenen WeChat-Account, der inzwischen stark gewachsen und ein ganz wichtiges Instrument dort geworden ist. Jetzt brauchen wir aber natürlich auch einen eigenen Kanal in Koreanisch. Das ist mit einem großen Aufwand verbunden. Es reicht nicht, wenn man die Inhalte einfach übersetzt und hochlädt. Die Menschen erwarten einen aktiven Austausch, einen Dialog. Tatsächlich verkaufen wir nur an einen Bruchteil dieser Menschen. Dennoch bin ich davon überzeugt, dass es wichtig ist für die Galerie und unsere Künstler.
Seoul war immer ein Ort, der inspiriert hat, mit großen Künstlern und Museen, der aber bisher nicht so beachtet wurde.
Diesen Aufwand kann sich nur eine große Galerie wie Ihre leisten. Wird langfristig kleineren Galerien, die sich das nicht leisten können, ein Nachteil daraus erwachsen?
Paris hat eine Renaissance. Die Stadt hat jahrelang in eine Struktur investiert, die unvergleichlich ist in Europa.
Das glaube ich nicht. Ich sage immer: Wachstum ist eine Frage der Möglichkeiten, und nicht der Notwendigkeiten. Es gibt wirklich großartige Galerien, die einen Standort haben, von dort aus ihre Künstler betreuen und das einfach hervorragend machen. Der Großteil des Galeriensystems ist an einem Standort. Und das ist dort, wo auch die neuen Künstler entdeckt werden. Da komme ich zurück auf das, was wir zu Beginn besprochen haben: Ich bin nicht jemand, der an eine globale Vertretung von Künstlern glaubt. Der Künstler profitiert davon, wenn es eine Galerie in Amerika gibt und eine andere in Europa, die ihn vertritt.
Kommen wir noch zum diesjährigen Hype Nummer eins: NFT. Ist das nachhaltig, und interessiert Sie NFT für Ihre Galerie?
NFT sind einer neuen Generation von kreativen Menschen und Sammlern zuzuordnen, von deren Seite es auch viel Kapital gibt, das eingesetzt werden kann und will. Daher glaube ich, dass NFT bleiben werden. Für mich ist es derzeit noch nicht attraktiv, weil wir hier nicht über die kreative Gestaltung sprechen, sondern über eine Echtheitsbestätigung. Wenn wir beginnen, über das, was diese Künstler – oder die Kreativen würde ich sie lieber nennen – machen, dann bin ich sofort dabei. Solang das aber nur auf dieser Schiene dieser verschlüsselten Krypto-Bestätigung läuft, bleiben wir vorerst in der Beobachterrolle.