Gerade Pilger haben gutes Essen verdient
Wo weltberühmte Menschen unterwegs sind, dort gibt es gewöhnlich exklusive Einrichtungen von höchster Komfortgüte. Die gut 90 Quadratkilometer große Lagune von Grado ist der lebende Gegenbeweis. Die weite und fast eintönige Wasserfläche mit den vielen winzigen Inseln und dichten Schilfgürteln hat kaum touristische Einrichtungen. Und wer sich dort für mehr als ein paar Stunden aufhält, wird viel Ruhe und wenig Abwechslung haben. Dennoch hat hier Pier Paolo Pasolini mit Maria Callas gedreht, waren Bo Derek, Richard Gere, Roman Polanski und Toni Sailer schon zugange.
Für die Menschen in Grado hatte die Lagune immer schon eine besondere Bedeutung, war Teil des Meeres und Fanggebiet für die Fischer, aber auch Rückzugsareal. Die Casoni, die schilfgedeckten Holzhäuser auf den teils winzigen Inseln, hatten früher eine ähnliche Funktion wie Berghütten in den Alpen. Die Einheimischen brachten sich bei Unwettern dort in Sicherheit. Eine Insel in der Lagune ist ein Privileg. Wer heute eine der alten Fischerhütten hat, nutzt sie als Freizeitwohnsitz und gibt sie nur in Notfällen her. Die Preise für eine Insel inklusive Hütte sind entsprechend hoch, auch wenn das Leben dort eher karg ist. Für Urlaubsgäste sind die Casoni nicht so leicht zu erreichen. Aber dafür gibt es Barbana.
Perdo`n: Prozession mit Booten
Barbana liegt im Osten der Lagune und ist eine der größeren Inseln und dank ihrer Wallfahrtskirche Santuario di Barbana eine Berühmtheit. Begonnen hat das mit einer für Grado charakteristischen Legende. Im Jahr 582 soll sich eine starke Sturmflut ankündigt haben, danach soll eine Marienstatue angespült worden sein, was als wertvolles Symbol gedeutet wurde. Eine Kirche zu Ehren der heiligen Maria wurde gebaut, die sich als Ziel von Pilgerreisen etablierte.
Dazu kam ein Kloster der Benediktiner, das im elften Jahrhundert entstand. Weil die Menschen davon ausgingen, dass es die heilige Maria war, die sie vor dem Ausbruch der Pest im Mittelalter verschonte, etablierte man noch eine Prozession von Grado aus mit Booten, die 1237 Premiere hatte. Das Perdo`n am ersten Julisonntag zählt heute zu den ganz großen Veranstaltungen, darf man aber nicht als rein touristisches Spektakel missverstehen. Dazu ist es den Gradesern zu wichtig.
Als Sehenswürdigkeit spielte Barbana immer eine Nebenrolle. Das war auch so, während sich mit dem aufkommenden Tourismus zur Jahrhundertwende die bessere
Gesellschaft aus Wien drüben in Grado am Strand sonnte und in feinen Jugendstilvillen logierte. Barbana war davon kaum betroffen. Auch heute besuchen nur Pilger die Insel oder Ausflügler, die die Besichtigung der opulent ausgestatteten Kirche mit einer Einkehr im Fischrestaurant verbinden. Das Lokal ist Teil des Kirchenkomplexes und so schlicht dekoriert, wie man es an einem solchen Standort eben erwartet. Entlang der Hausmauer sind Tische platziert. Über den Eingang kommt man zur Bar und Rezeption. Links steht die Tür offen zur Mensa für Wallfahrer, einen geräumigen Speisesaal, in dem auch konventionelle Reisende Platz nehmen können und der etwas sehr Puristisches an sich hat. Das Lokal ist üblicherweise gut besucht, weshalb es sinnvoll ist, schon etwas früher am Vormittag die Fähre von Grado zu nehmen, um noch einen der wenigen Tische draußen zu ergattern. „Im Sommer kann man sich aber die Gerichte hier holen und draußen im Schatten der Bäume speisen“, sagt die Wirtin Cristiana. Die Küche ist traditioneller Gradeser Art mit dem Nationalgericht Boreto Misto im Mittelpunkt, einem einstigen Restlessen mit verschiedenen Fischarten und Polenta.
Pilgerweg Cammino Celeste
Saisonbeginn ist für Cristiana und ihre Mitarbeiter April, Ende Oktober wird das Lokal geschlossen. Für die neun Benediktinermönche wird es zwar ruhiger, die Arbeit aber nicht weniger. „Dann können wir hier viele Dinge tun, für die wir im Sommer keine Zeit haben – Reparaturen oder Arbeiten in den Gebäuden, im Garten und im neu angelegten Kräutergarten“, verrät Bruder Stefano. Zusammen mit acht Kollegen bewirtschaftet er das Kloster seit gut zwei Jahren, als sie es von den Franziskanern übernommen hatten. Der gut sortierte Souvenirladen neben dem Ristorante mag jedenfalls ein Indiz dafür sein, dass die Benediktiner den weltlichen Aktivitäten doch eher aufgeschlossen sind.
Aber Barbana ist ja auch ein Wallfahrtsort und ein Ort auf der Strecke des zumindest in Italien berühmten Pilgerwegs Cammino Celeste, der die ehemalige römische Metropole Aquileia drüben auf dem Festland mit dem Monte Lussari verbindet. Der 1790 Meter hohe Berg steht im Norden im Kanaltal bei Tarvis an der Grenze zu Österreich und hat mit der Santa Maria Lussari ebenfalls eine bedeutende Wallfahrtskirche. Einen guten Ruf hat der Berg auch bei Genussmenschen auf der kärntnerischen Seite, die gern Ausflüge mit der Seilbahn oder zu Fuß zum Gipfel machen und in einer der für ihre gute regionale Küche bekannten Trattorien einkehren. So gesehen ergänzen sich die beiden Orte perfekt, auch wenn Barbana offiziell nur ein Prolog des Pilgerwegs ist. Insgesamt zehn Tage dauert die Wallfahrt im Durchschnitt, führt quer durch Friaul, weshalb man die Route als Rückgrat der Region bezeichnet. Die Covid-Restriktionen haben den Besuch auf Barbana deutlich eingeschränkt. Der Tourismus drüben in Grado wurde erheblich reduziert. Das Wallfahren erlebte ebenfalls drastische Rückgänge wegen der fehlenden Quartiere, weil man nicht nur auf Barbana nicht oder nur eingeschränkt vermieten durfte. Dabei verspüren die Menschen in Krisenzeiten eher eine Nähe zu Unternehmungen mit spiritueller Qualität, versuchen einen neuen Lebenssinn zu finden oder zu alten Qualitäten zurückzufinden. Barbana hat mit seiner speziellen Insellage inmitten einer archaischen Landschaft umgeben von zahllosen kleinen Inseln mit historischen Fischerhütten, begleitet von den Aktivitäten der Möwen, Reiher, Kraniche und Kormorane, eine ungewöhnlich intensive Ausstrahlung. Dass es wieder aufwärts geht, registriert auch Bruder Stefano: „Es kommen wieder mehr Pilger aus ganz Europa und Leute mit spirituellen Motiven.“Vielleicht beschert ja ein Tagesausflug mit Pasta mit Gamberoni oder Miesmuscheln auf Pilgerart den Auftakt zu einem neuen Lebensgefühl. www.grado.it