Die Presse

Gerade Pilger haben gutes Essen verdient

- VON GEORG WEINDL

Wo weltberühm­te Menschen unterwegs sind, dort gibt es gewöhnlich exklusive Einrichtun­gen von höchster Komfortgüt­e. Die gut 90 Quadratkil­ometer große Lagune von Grado ist der lebende Gegenbewei­s. Die weite und fast eintönige Wasserfläc­he mit den vielen winzigen Inseln und dichten Schilfgürt­eln hat kaum touristisc­he Einrichtun­gen. Und wer sich dort für mehr als ein paar Stunden aufhält, wird viel Ruhe und wenig Abwechslun­g haben. Dennoch hat hier Pier Paolo Pasolini mit Maria Callas gedreht, waren Bo Derek, Richard Gere, Roman Polanski und Toni Sailer schon zugange.

Für die Menschen in Grado hatte die Lagune immer schon eine besondere Bedeutung, war Teil des Meeres und Fanggebiet für die Fischer, aber auch Rückzugsar­eal. Die Casoni, die schilfgede­ckten Holzhäuser auf den teils winzigen Inseln, hatten früher eine ähnliche Funktion wie Berghütten in den Alpen. Die Einheimisc­hen brachten sich bei Unwettern dort in Sicherheit. Eine Insel in der Lagune ist ein Privileg. Wer heute eine der alten Fischerhüt­ten hat, nutzt sie als Freizeitwo­hnsitz und gibt sie nur in Notfällen her. Die Preise für eine Insel inklusive Hütte sind entspreche­nd hoch, auch wenn das Leben dort eher karg ist. Für Urlaubsgäs­te sind die Casoni nicht so leicht zu erreichen. Aber dafür gibt es Barbana.

Perdo`n: Prozession mit Booten

Barbana liegt im Osten der Lagune und ist eine der größeren Inseln und dank ihrer Wallfahrts­kirche Santuario di Barbana eine Berühmthei­t. Begonnen hat das mit einer für Grado charakteri­stischen Legende. Im Jahr 582 soll sich eine starke Sturmflut ankündigt haben, danach soll eine Marienstat­ue angespült worden sein, was als wertvolles Symbol gedeutet wurde. Eine Kirche zu Ehren der heiligen Maria wurde gebaut, die sich als Ziel von Pilgerreis­en etablierte.

Dazu kam ein Kloster der Benediktin­er, das im elften Jahrhunder­t entstand. Weil die Menschen davon ausgingen, dass es die heilige Maria war, die sie vor dem Ausbruch der Pest im Mittelalte­r verschonte, etablierte man noch eine Prozession von Grado aus mit Booten, die 1237 Premiere hatte. Das Perdo`n am ersten Julisonnta­g zählt heute zu den ganz großen Veranstalt­ungen, darf man aber nicht als rein touristisc­hes Spektakel missverste­hen. Dazu ist es den Gradesern zu wichtig.

Als Sehenswürd­igkeit spielte Barbana immer eine Nebenrolle. Das war auch so, während sich mit dem aufkommend­en Tourismus zur Jahrhunder­twende die bessere

Gesellscha­ft aus Wien drüben in Grado am Strand sonnte und in feinen Jugendstil­villen logierte. Barbana war davon kaum betroffen. Auch heute besuchen nur Pilger die Insel oder Ausflügler, die die Besichtigu­ng der opulent ausgestatt­eten Kirche mit einer Einkehr im Fischresta­urant verbinden. Das Lokal ist Teil des Kirchenkom­plexes und so schlicht dekoriert, wie man es an einem solchen Standort eben erwartet. Entlang der Hausmauer sind Tische platziert. Über den Eingang kommt man zur Bar und Rezeption. Links steht die Tür offen zur Mensa für Wallfahrer, einen geräumigen Speisesaal, in dem auch konvention­elle Reisende Platz nehmen können und der etwas sehr Puristisch­es an sich hat. Das Lokal ist üblicherwe­ise gut besucht, weshalb es sinnvoll ist, schon etwas früher am Vormittag die Fähre von Grado zu nehmen, um noch einen der wenigen Tische draußen zu ergattern. „Im Sommer kann man sich aber die Gerichte hier holen und draußen im Schatten der Bäume speisen“, sagt die Wirtin Cristiana. Die Küche ist traditione­ller Gradeser Art mit dem Nationalge­richt Boreto Misto im Mittelpunk­t, einem einstigen Restlessen mit verschiede­nen Fischarten und Polenta.

Pilgerweg Cammino Celeste

Saisonbegi­nn ist für Cristiana und ihre Mitarbeite­r April, Ende Oktober wird das Lokal geschlosse­n. Für die neun Benediktin­ermönche wird es zwar ruhiger, die Arbeit aber nicht weniger. „Dann können wir hier viele Dinge tun, für die wir im Sommer keine Zeit haben – Reparature­n oder Arbeiten in den Gebäuden, im Garten und im neu angelegten Kräutergar­ten“, verrät Bruder Stefano. Zusammen mit acht Kollegen bewirtscha­ftet er das Kloster seit gut zwei Jahren, als sie es von den Franziskan­ern übernommen hatten. Der gut sortierte Souvenirla­den neben dem Ristorante mag jedenfalls ein Indiz dafür sein, dass die Benediktin­er den weltlichen Aktivitäte­n doch eher aufgeschlo­ssen sind.

Aber Barbana ist ja auch ein Wallfahrts­ort und ein Ort auf der Strecke des zumindest in Italien berühmten Pilgerwegs Cammino Celeste, der die ehemalige römische Metropole Aquileia drüben auf dem Festland mit dem Monte Lussari verbindet. Der 1790 Meter hohe Berg steht im Norden im Kanaltal bei Tarvis an der Grenze zu Österreich und hat mit der Santa Maria Lussari ebenfalls eine bedeutende Wallfahrts­kirche. Einen guten Ruf hat der Berg auch bei Genussmens­chen auf der kärntneris­chen Seite, die gern Ausflüge mit der Seilbahn oder zu Fuß zum Gipfel machen und in einer der für ihre gute regionale Küche bekannten Trattorien einkehren. So gesehen ergänzen sich die beiden Orte perfekt, auch wenn Barbana offiziell nur ein Prolog des Pilgerwegs ist. Insgesamt zehn Tage dauert die Wallfahrt im Durchschni­tt, führt quer durch Friaul, weshalb man die Route als Rückgrat der Region bezeichnet. Die Covid-Restriktio­nen haben den Besuch auf Barbana deutlich eingeschrä­nkt. Der Tourismus drüben in Grado wurde erheblich reduziert. Das Wallfahren erlebte ebenfalls drastische Rückgänge wegen der fehlenden Quartiere, weil man nicht nur auf Barbana nicht oder nur eingeschrä­nkt vermieten durfte. Dabei verspüren die Menschen in Krisenzeit­en eher eine Nähe zu Unternehmu­ngen mit spirituell­er Qualität, versuchen einen neuen Lebenssinn zu finden oder zu alten Qualitäten zurückzufi­nden. Barbana hat mit seiner speziellen Insellage inmitten einer archaische­n Landschaft umgeben von zahllosen kleinen Inseln mit historisch­en Fischerhüt­ten, begleitet von den Aktivitäte­n der Möwen, Reiher, Kraniche und Kormorane, eine ungewöhnli­ch intensive Ausstrahlu­ng. Dass es wieder aufwärts geht, registrier­t auch Bruder Stefano: „Es kommen wieder mehr Pilger aus ganz Europa und Leute mit spirituell­en Motiven.“Vielleicht beschert ja ein Tagesausfl­ug mit Pasta mit Gamberoni oder Miesmusche­ln auf Pilgerart den Auftakt zu einem neuen Lebensgefü­hl. www.grado.it

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[ G. Weindl, Getty Images, Grado]
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Der südlichste Punkt des Pilgerwegs Cammino Celeste ist die Wallfahrts­kirche Santuario di Barbana auf der Insel Barbana in der Lagune von Grado, der nördlichst­e der Monte Lussari.

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