Die Presse

„Der Tod ist demokratis­ch“

Mit der Memento-Mori-Veranstalt­erin Tina Zickler unterwegs zwischen Steinkreis, Bäumen, Gräbern und Kunst-Geschichte­n auf dem Wiener Zentralfri­edhof in Simmering.

- VON DANIELA MATHIS [ Christophe­r Dickie ]

Gestern sprangen hier Feldhamste­r und sogar ein Reh über die Wiese.“Tina Zickler zeigt auf den Platz zwischen dem Steinkreis und der „Kathedrale“auf dem Wiener Zentralfri­edhof, genauer den Park der Ruhe und Kraft, der 1999 – auch besonders für trauernde Friedhofsb­esucher – errichtet wurde. Viele Bäume und Steine – behauene und Findlinge – finden sich hier, die nach den Kriterien der Geomantie (ähnlich dem chinesisch­en Feng Shui) platziert wurden, um, so jedenfalls die Idee dahinter, die Energie der Erde spürbar zu machen.

An diesem düsteren Septembert­ag liegt der Park mit den schönen Bäumen etwas verschlafe­n zwischen dem zweiten und dritten Tor des 1874 errichtete­n Friedhofs. Auch sonst ist auf den zweieinhal­b Quadratkil­ometern, wenig überrasche­nd, nicht viel los: Es ist ja noch nicht Allerheili­gen. Doch Zickler ist in letzter Zeit öfters hier unterwegs – Memento Mori wegen. Das Festival mit dem barocken Titel findet im Oktober statt, die Vorbereitu­ngen laufen auf Hochtouren. „Das Thema interessie­rt, fasziniert und erschreckt zugleich, viele wollen gern darüber sprechen, wir sind ja alle ausnahmslo­s davon betroffen, der Tod ist demokratis­ch.“

Tina Zickler im Park der Ruhe und Kraft auf dem Wiener Zentralfri­edhof.

Paradies für Tiere & Touristen

330.000 Grabstelle­n und drei Millionen Verstorben­e machen den „Zentral“, wie er von einigen Wienern liebevoll genannt wird, zu einer der größten Friedhofsa­nlagen Europas mit zahlreiche­n Bauten im historisie­renden Stil und im Jugendstil, wie etwa den Bauten beim Haupttor, auf dessen Rückseite trotz kühler Temperatur­en die Kaffeehaus­terrasse gar nicht so spärlich besucht ist. Neben den Abteilunge­n für die diversen Religionsg­emeinschaf­ten ist hier für alle (Un-)Gläubigen Platz für die letzte Ruhestatt. „Ich würde mich jetzt eigentlich nicht als Friedhofsg­eherin

bezeichnen“, meint Zickler, die im Mai 1989 von Berlin nach Wien kam und hier vor allem mit der Recherche über die Brüder Schwadron (Wiener Fliesenerz­euger) bekannt wurde. „Aber den Friedhof St. Marx und den alten Jüdischen in der Seegasse im neunten Bezirk hab ich mir auch schon angesehen“, erzählt sie.

Entlang der Gruppen 22 und 29 sind einige Gräber mit einem roten Pickerl gekennzeic­hnet. „Das stimmt mich traurig, dass so viele nicht mehr erhalten werden“, meint Zickler. „Man beginnt, sich über so einiges Gedanken zu machen – wer wohl das Gesteck da, das schon längst vertrockne­t ist, gebracht hat und nicht wiedergeko­mmen ist, weshalb?“, nennt sie ein Beispiel. Ein Bus der Linie ZF biegt um die Ecke, aus der Richtung der Ehrengräbe­r huscht ein Eichhörnch­en herbei. Auch Dachse, Turmfalken, Marder und Mäuse sind hier daheim, ebenso selten gewordene Schmetterl­inge.

Die Idee, ein Festival zum Thema Tod und Trauer zu veranstalt­en, sei langsam gewachsen, „seitdem ich einen Sterbebegl­eiterKurs absolviert habe und erlebt habe, dass man dem Tod nicht entkommen, aber besser vorbereite­t entgegentr­eten kann“, meint sie. Auseinande­rsetzung statt Tabu, Raum für Erinnerung und Begegnung schaffen, für Austausch statt Schweigen. „Das funktionie­rt hier auf dem Friedhof, das funktionie­rt durch die Kunst“, meint sie. „In der Kunst geht es so oft um Liebe, und Trauer ist ja das Glück, geliebt zu haben“, meint sie.

Neben Lesungen, Vorträgen, Installati­onen, Konzerten, Theater, Kabarett, Filmen und Workshops gibt es auch Führungen: etwa durch den Marxer Friedhof im dritten Bezirk, im Bestattung­smuseum, in der Festivalze­ntrale Volkskunde­museum in der Josefstadt, (und in diversen anderen Museen), zur Schottenki­rche, zum Heldentor und zu Schuberts Sterbewohn­ung im vierten Bezirk. Und natürlich durch den Zentralfri­edhof.

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