„Der Tod ist demokratisch“
Mit der Memento-Mori-Veranstalterin Tina Zickler unterwegs zwischen Steinkreis, Bäumen, Gräbern und Kunst-Geschichten auf dem Wiener Zentralfriedhof in Simmering.
Gestern sprangen hier Feldhamster und sogar ein Reh über die Wiese.“Tina Zickler zeigt auf den Platz zwischen dem Steinkreis und der „Kathedrale“auf dem Wiener Zentralfriedhof, genauer den Park der Ruhe und Kraft, der 1999 – auch besonders für trauernde Friedhofsbesucher – errichtet wurde. Viele Bäume und Steine – behauene und Findlinge – finden sich hier, die nach den Kriterien der Geomantie (ähnlich dem chinesischen Feng Shui) platziert wurden, um, so jedenfalls die Idee dahinter, die Energie der Erde spürbar zu machen.
An diesem düsteren Septembertag liegt der Park mit den schönen Bäumen etwas verschlafen zwischen dem zweiten und dritten Tor des 1874 errichteten Friedhofs. Auch sonst ist auf den zweieinhalb Quadratkilometern, wenig überraschend, nicht viel los: Es ist ja noch nicht Allerheiligen. Doch Zickler ist in letzter Zeit öfters hier unterwegs – Memento Mori wegen. Das Festival mit dem barocken Titel findet im Oktober statt, die Vorbereitungen laufen auf Hochtouren. „Das Thema interessiert, fasziniert und erschreckt zugleich, viele wollen gern darüber sprechen, wir sind ja alle ausnahmslos davon betroffen, der Tod ist demokratisch.“
Tina Zickler im Park der Ruhe und Kraft auf dem Wiener Zentralfriedhof.
Paradies für Tiere & Touristen
330.000 Grabstellen und drei Millionen Verstorbene machen den „Zentral“, wie er von einigen Wienern liebevoll genannt wird, zu einer der größten Friedhofsanlagen Europas mit zahlreichen Bauten im historisierenden Stil und im Jugendstil, wie etwa den Bauten beim Haupttor, auf dessen Rückseite trotz kühler Temperaturen die Kaffeehausterrasse gar nicht so spärlich besucht ist. Neben den Abteilungen für die diversen Religionsgemeinschaften ist hier für alle (Un-)Gläubigen Platz für die letzte Ruhestatt. „Ich würde mich jetzt eigentlich nicht als Friedhofsgeherin
bezeichnen“, meint Zickler, die im Mai 1989 von Berlin nach Wien kam und hier vor allem mit der Recherche über die Brüder Schwadron (Wiener Fliesenerzeuger) bekannt wurde. „Aber den Friedhof St. Marx und den alten Jüdischen in der Seegasse im neunten Bezirk hab ich mir auch schon angesehen“, erzählt sie.
Entlang der Gruppen 22 und 29 sind einige Gräber mit einem roten Pickerl gekennzeichnet. „Das stimmt mich traurig, dass so viele nicht mehr erhalten werden“, meint Zickler. „Man beginnt, sich über so einiges Gedanken zu machen – wer wohl das Gesteck da, das schon längst vertrocknet ist, gebracht hat und nicht wiedergekommen ist, weshalb?“, nennt sie ein Beispiel. Ein Bus der Linie ZF biegt um die Ecke, aus der Richtung der Ehrengräber huscht ein Eichhörnchen herbei. Auch Dachse, Turmfalken, Marder und Mäuse sind hier daheim, ebenso selten gewordene Schmetterlinge.
Die Idee, ein Festival zum Thema Tod und Trauer zu veranstalten, sei langsam gewachsen, „seitdem ich einen SterbebegleiterKurs absolviert habe und erlebt habe, dass man dem Tod nicht entkommen, aber besser vorbereitet entgegentreten kann“, meint sie. Auseinandersetzung statt Tabu, Raum für Erinnerung und Begegnung schaffen, für Austausch statt Schweigen. „Das funktioniert hier auf dem Friedhof, das funktioniert durch die Kunst“, meint sie. „In der Kunst geht es so oft um Liebe, und Trauer ist ja das Glück, geliebt zu haben“, meint sie.
Neben Lesungen, Vorträgen, Installationen, Konzerten, Theater, Kabarett, Filmen und Workshops gibt es auch Führungen: etwa durch den Marxer Friedhof im dritten Bezirk, im Bestattungsmuseum, in der Festivalzentrale Volkskundemuseum in der Josefstadt, (und in diversen anderen Museen), zur Schottenkirche, zum Heldentor und zu Schuberts Sterbewohnung im vierten Bezirk. Und natürlich durch den Zentralfriedhof.