Historisches Debakel für Merkels Erben
Die Union fährt das schlechteste Ergebnis ihrer Parteiengeschichte ein. Ihr droht die Opposition.
Berlin. Am Ende konnte Armin Laschet nicht einmal fehlerfrei wählen. Als er am Sonntagvormittag in seiner Heimatstadt Aachen die Stimme in die Urne warf, hielten die Fotografen fest, was darauf stand. Der Mann, der für die Union Kanzler werden wollte, hatte den Zettel nicht richtig gefaltet. Am Abend sah er dann den Wählerwillen über die Bildschirme flimmern: Seine CDU stürzt ab.
Bereits vor vier Jahren herrschte Katzenjammer in den Gängen des KonradAdenauer-Hauses in Berlin. Die Union hatte die Wahl zwar haushoch gewonnen, aber „nur“32,9 Prozent der Stimmen erreicht. Es waren die Wehklagen zweier erfolgsverwöhnter Parteien, die meist in der deutschen Nachkriegsgeschichte Bundestagswahlen nicht um den ersten Platz zittern musste.
Vier Jahre später – nach einem mehr als durchwachsenen Wahlkampf mit einem umstrittenen Spitzenkandidaten – war die Erwartungshaltung eine andere. Schon seit Wochen hat sich Europas vielleicht mächtigste Parteienfamilie aus CDU und der bayerischen CSU darauf vorbereitet, erstmals unter der 30-Prozent-Marke zu landen und ihr historisch schlechtestes Ergebnis einzufahren. In den Umfragen grundelte die einst Ergebnisse jenseits der 40 Prozent erzielende Union zeitweise bei 20 Prozent herum.
So blieben in diesem Jahr zwei zentrale Fragen: Kann sich die Union trotz der schlechten Stimmung irgendwie auf Platz eins über die Ziellinie schleppen? Und findet sie eine Erzählung, die es ihr erlaubt, trotz des Verlusts an Wählervertrauen einen Anspruch auf das Kanzleramt zu stellen?
Eine durchwachsene Kampagne
Die Antwort haben die Wähler gegeben: Die ersten Prognosen am Sonntagabend zeigten die Union auf dem zweiten Platz, zumindest Kopf-an-Kopf mit der SPD. Nach dem historischen Absturz droht die Opposition. Nach 16 Jahren Angela Merkel stecken die Christdemokraten inmitten eines epochalen Umbruchs. Denn Merkel tat sich schwer, ihre Nachfolge zu regeln, ihre Partei gab ein zerstrittenes Bild ab.
Noch im April des Wahljahres kämpfte CSU-Chef Markus Söder um die Nominierung als Kanzlerkandidat der Union, der Bayer hatte gute Umfragewerte. Doch die Gremien der Partei legten sich auf Armin Laschet fest, dessen Kampagne Söder fortan mehr oder weniger offen torpedierte.
Was folgte, war ein Albtraum für jedes politische Kampagnenteam: Ein in der eigenen Partei umstrittener Kandidat, bundesweit nicht überall bekannt, der sich auch noch ein paar Faux-Pas leistete. Wie ein Fluch verfolgten Laschet die Bilder aus dem Flutgebiet, die ihn lachend und feixend zeigten, während Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD) gerade eine emotionale Rede für die Opfer der Flutkatastrophe hielt.
Sie verstärkten den Eindruck, dem fröhlichen Rheinländer Laschet fehle die nötige Ernsthaftigkeit und Souveränität für die erste Reihe. Friedrich Merz, die Galionsfigur des konservativen Flügels, räumte neulich ein, die Union habe schon bessere Wahlkämpfe abgeliefert – wohl eine Untertreibung. Neben den Problemen rund um die öffentliche Wahrnehmung ihres Spitzenkandidaten, schaffte es das Kampagnenteam der Union kaum, eigene Themen zu setzen. Die SPD hatte Mindestlohn und Rentengarantie, die Grünen die Klimakrise. Die Union versuchte spät, mit
Warnungen vor einer Linksregierung ihre Kernwähler zu mobilisieren und der FDP noch Wechselwähler abzujagen.
Debakel für „Kanzlerwahlverein“
Zumindest einer glaubte bis zum Schluss an Armin Laschet: Er selbst. Es war nicht das erste Mal, dass er sich in der Außenseiterrolle befand. Im Jahr 2017 fuhr er für die Partei einen Erfolg ein, den ihm vorher nur wenige zugetraut hatten: Er luchste der SPD in Nordrhein-Westfalen Platz eins ab. Danach bastelte er eine schwarz-gelbe Koalition, die seither mit nur einer Stimme Mehrheit geräuschlos regierte.
Diese Geschichte ist Grundstein seiner Kanzlerkandidatur. Laschet empfahl sich als CDU-Chef, weil er als Ministerpräsident das bevölkerungsreichste Bundesland regierte. Er wurde Kanzlerkandidat, weil er CDU-Chef war. Der „Kanzlerwahlverein“, wie die Union in Deutschland manchmal genannt wird, sollte ihn ins höchste Amt tragen, so spekulierte er.
Aus Laschets Umfeld ist zu hören, der Rheinländer könne seine Stärken nach dem Wahlabend ausspielen, wenn es darum geht, eine Regierung zu basteln. Ob er die Chance dazu bekommt, werden die nächsten Tage zeigen. Am Wahlabend schloss CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak nicht aus, sondieren zu wollen.