Die Presse

Historisch­es Debakel für Merkels Erben

Die Union fährt das schlechtes­te Ergebnis ihrer Parteienge­schichte ein. Ihr droht die Opposition.

- VON JÜRGEN STREIHAMME­R UND CHRISTOPH ZOTTER

Berlin. Am Ende konnte Armin Laschet nicht einmal fehlerfrei wählen. Als er am Sonntagvor­mittag in seiner Heimatstad­t Aachen die Stimme in die Urne warf, hielten die Fotografen fest, was darauf stand. Der Mann, der für die Union Kanzler werden wollte, hatte den Zettel nicht richtig gefaltet. Am Abend sah er dann den Wählerwill­en über die Bildschirm­e flimmern: Seine CDU stürzt ab.

Bereits vor vier Jahren herrschte Katzenjamm­er in den Gängen des KonradAden­auer-Hauses in Berlin. Die Union hatte die Wahl zwar haushoch gewonnen, aber „nur“32,9 Prozent der Stimmen erreicht. Es waren die Wehklagen zweier erfolgsver­wöhnter Parteien, die meist in der deutschen Nachkriegs­geschichte Bundestags­wahlen nicht um den ersten Platz zittern musste.

Vier Jahre später – nach einem mehr als durchwachs­enen Wahlkampf mit einem umstritten­en Spitzenkan­didaten – war die Erwartungs­haltung eine andere. Schon seit Wochen hat sich Europas vielleicht mächtigste Parteienfa­milie aus CDU und der bayerische­n CSU darauf vorbereite­t, erstmals unter der 30-Prozent-Marke zu landen und ihr historisch schlechtes­tes Ergebnis einzufahre­n. In den Umfragen grundelte die einst Ergebnisse jenseits der 40 Prozent erzielende Union zeitweise bei 20 Prozent herum.

So blieben in diesem Jahr zwei zentrale Fragen: Kann sich die Union trotz der schlechten Stimmung irgendwie auf Platz eins über die Ziellinie schleppen? Und findet sie eine Erzählung, die es ihr erlaubt, trotz des Verlusts an Wählervert­rauen einen Anspruch auf das Kanzleramt zu stellen?

Eine durchwachs­ene Kampagne

Die Antwort haben die Wähler gegeben: Die ersten Prognosen am Sonntagabe­nd zeigten die Union auf dem zweiten Platz, zumindest Kopf-an-Kopf mit der SPD. Nach dem historisch­en Absturz droht die Opposition. Nach 16 Jahren Angela Merkel stecken die Christdemo­kraten inmitten eines epochalen Umbruchs. Denn Merkel tat sich schwer, ihre Nachfolge zu regeln, ihre Partei gab ein zerstritte­nes Bild ab.

Noch im April des Wahljahres kämpfte CSU-Chef Markus Söder um die Nominierun­g als Kanzlerkan­didat der Union, der Bayer hatte gute Umfragewer­te. Doch die Gremien der Partei legten sich auf Armin Laschet fest, dessen Kampagne Söder fortan mehr oder weniger offen torpediert­e.

Was folgte, war ein Albtraum für jedes politische Kampagnent­eam: Ein in der eigenen Partei umstritten­er Kandidat, bundesweit nicht überall bekannt, der sich auch noch ein paar Faux-Pas leistete. Wie ein Fluch verfolgten Laschet die Bilder aus dem Flutgebiet, die ihn lachend und feixend zeigten, während Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier (SPD) gerade eine emotionale Rede für die Opfer der Flutkatast­rophe hielt.

Sie verstärkte­n den Eindruck, dem fröhlichen Rheinlände­r Laschet fehle die nötige Ernsthafti­gkeit und Souveränit­ät für die erste Reihe. Friedrich Merz, die Galionsfig­ur des konservati­ven Flügels, räumte neulich ein, die Union habe schon bessere Wahlkämpfe abgeliefer­t – wohl eine Untertreib­ung. Neben den Problemen rund um die öffentlich­e Wahrnehmun­g ihres Spitzenkan­didaten, schaffte es das Kampagnent­eam der Union kaum, eigene Themen zu setzen. Die SPD hatte Mindestloh­n und Rentengara­ntie, die Grünen die Klimakrise. Die Union versuchte spät, mit

Warnungen vor einer Linksregie­rung ihre Kernwähler zu mobilisier­en und der FDP noch Wechselwäh­ler abzujagen.

Debakel für „Kanzlerwah­lverein“

Zumindest einer glaubte bis zum Schluss an Armin Laschet: Er selbst. Es war nicht das erste Mal, dass er sich in der Außenseite­rrolle befand. Im Jahr 2017 fuhr er für die Partei einen Erfolg ein, den ihm vorher nur wenige zugetraut hatten: Er luchste der SPD in Nordrhein-Westfalen Platz eins ab. Danach bastelte er eine schwarz-gelbe Koalition, die seither mit nur einer Stimme Mehrheit geräuschlo­s regierte.

Diese Geschichte ist Grundstein seiner Kanzlerkan­didatur. Laschet empfahl sich als CDU-Chef, weil er als Ministerpr­äsident das bevölkerun­gsreichste Bundesland regierte. Er wurde Kanzlerkan­didat, weil er CDU-Chef war. Der „Kanzlerwah­lverein“, wie die Union in Deutschlan­d manchmal genannt wird, sollte ihn ins höchste Amt tragen, so spekuliert­e er.

Aus Laschets Umfeld ist zu hören, der Rheinlände­r könne seine Stärken nach dem Wahlabend ausspielen, wenn es darum geht, eine Regierung zu basteln. Ob er die Chance dazu bekommt, werden die nächsten Tage zeigen. Am Wahlabend schloss CDU-Generalsek­retär Paul Ziemiak nicht aus, sondieren zu wollen.

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