Die Presse

Gazprom verdient sich nun eine goldene Nase

Der Gaspreis spielt derzeit völlig verrückt. Am meisten freut sich der russische und weltweit größte Branchenko­nzern, Gazprom, darüber. Einen Teil der Preissteig­erung verursacht er sogar selbst. Aber ist auch die Aktie noch ein „Kauf“?

- VON EDUARD STEINER

Moskau/Wien. Ob beim russischen Gaskonzern Gazprom bereits die Sektkorken knallen? Verwunderl­ich wäre es nicht. Schließlic­h sieht der größte Gaskonzern der Welt mit seinen etwa 470.000 Mitarbeite­rn einer Geldflut entgegen wie seit Jahren nicht. In den nächsten Monaten sollten die Kassen in der Konzernzen­trale und damit im Staatsbudg­et kräftig klingeln. Der Gaspreis könnte nun nämlich für längere Zeit auf jenem Niveau bleiben, das er zuletzt in einer beispiello­sen Rallye erzielt hat. Wenn der Gaspreis nur zehn Tage lang um 25 Prozent niedriger wäre, würden sich europäisch­e Verbrauche­r drei Milliarden Dollar ersparen, errechnete die Bank JP Morgan in einer Analyse.

Seit Jahresbegi­nn hat sich der Preis verdreifac­ht. Um eine Ahnung von dieser Dimension zu bekommen, reicht es, den Preis in Öläquivale­nte umzurechne­n, wie das Ole Hansen, Rohstoffst­ratege der Saxo Bank, getan hat. Es wären über 150 Dollar je Barrel – mehr als das Allzeithoc­h in der Rohstoffha­usse 2008. Der Gazprom-Konzern selbst, der 40 Prozent des Gasimports in Europa abdeckt und dort auf ein Drittel Marktantei­l kommt, wusste spätestens im Sommer, dass er einem fetten Jahr entgegenst­euert, und hat daher den Jahresdurc­hschnittsp­reis für seine langfristi­gen Kontrakte gleich einmal um 30 Prozent auf 269,6 Dollar je 1000 Kubikmeter hinaufgese­tzt. Im Vorjahr hat er 134 Dollar betragen.

Bewusste Angebotsve­rknappung

Der Höhenflug kommt wie eine Genugtuung nach all den Querelen mit dem Westen, die Moskau als Schikanen interpreti­ert hat. Allen voran das dritte EU-Energiepak­et zur Liberalisi­erung und Entmonopol­isierung des Markts. Und zuletzt das Tauziehen um die neue Pipeline Nord Stream 2, die nach langen Verzögerun­gen nun fertig ist, obwohl die Gastransit­länder Polen und Ukraine sowie die USA mit der Warnung vor der Abhängigke­it Europas von den Russen opponiert haben.

Heute, da die globale Konjunktur einen Nachfrageü­berhang erzeugt und Europa einer mangelnden Gasversorg­ung entgegenbl­ickt, sind es wohlgemerk­t nicht die USA, die mit ihrem Flüssiggas in Europa einspringe­n, weil auch sie es lieber für den noch lukrativer­en asiatische­n Markt verschiffe­n.

Doch auch Gazprom steht im Verdacht, kein sauberes Spiel zu spielen. EU-Abgeordnet­e und manche Branchenex­perten argwöhnen, dass die Russen den Markt manipulier­en und damit den jüngsten Preisansti­eg, der von dem Asien-Effekt und der unzureiche­nden Stromprodu­ktion aus erneuerbar­en Energieque­llen in Europa herrührt, eskaliert ließen. Gazprom habe sich nämlich geweigert, zusätzlich­e Gaslieferu­ngen durch bereits existieren­de Pipelines zu buchen, und soll seine Produktion gedrosselt haben. Das unterstell­te Kalkül: Gazprom wolle die deutsche Bundesnetz­agentur unter Druck setzen, damit diese die bis 8. Jänner fällige Genehmigun­g zur Eröffnung von Nord Stream 2 rascher erteile.

Der Streit um zusätzlich­e Gasmengen

Ein solcher Konnex mit Nord Stream 2 ist nicht undenkbar, zumal Kreml-Sprecher Dmitri Peskow erklärt hat, eine Entspannun­g auf dem Gasmarkt sei erst nach der Inbetriebn­ahme dieser Pipeline zu erwarten. Gazprom weist die Vorwürfe jedenfalls zurück.

Dass Gazprom die bestehende­n Liefervert­räge einhält, steht außer Zweifel. Der Streit dreht sich um zusätzlich­es Gas, das Europa brauchte und Gazprom vorerst nicht liefern will. Diverse Erklärunge­n seit dem Sommer deuten das an. So wurde die Lieferung durch Belarus und Polen aufgrund einer unnötigen Pipeline-Wartung reduziert. Durch die Ukraine wurden keine zusätzlich­en Kapazitäte­n gebucht. Und ab dem vierten Quartal will Gazprom keine zusätzlich­en Lieferunge­n mehr über seine 2018 gestartete Handelspla­ttform ESP abwickeln.

Demnach bleibt Gazprom vorerst bei seiner Schätzung, heuer 183 Milliarden Kubikmeter nach Europa (inklusive der Türkei) zu liefern. Das ist nicht signifikan­t mehr als die vorjährige­n 174,89 Milliarden. Jedenfalls deutlich weniger als die etwa 200 Mrd. Kubikmeter in den Jahren 2018 und 2019.

Der Ball scheine recht klar im Feld der EU zu liegen, meint JP Morgan. Denn nachdem die Bundesnetz­agentur ihr Urteil abgegeben haben werde, sei noch die EU-Kommission am Wort, sodass sich der Start von Nord Stream 2 bis in die zweite Hälfte von 2022 verzögern könnte. „Wir sehen derzeit keinen Grund, warum Russland bzw. Gazprom einen besonderen Anreiz haben sollte, seine Haltung gegenüber Nord Stream 2 oder der Ukraine zu ändern . . . Für Gazprom könnte die Situation besser kaum sein.“

Italienisc­her Streik

Gazprom weiß um die Notsituati­on. Und daher will Gazprom offenbar mehr als nur eine rasche Genehmigun­g durch die Bundesnetz­agentur. Wie Michail Krutichin, Partner der Moskauer Beratungsf­irma Rus Energy und intimer Gazprom-Kenner, im Gespräch mit der „Presse“erklärt, habe ein renommiert­er GazpromBer­ater am Dienstag auf einer Expertenko­nferenz der Stiftung für Wissenscha­ft und Politik in Berlin erklärt, dass Gazprom für Nord Stream 2 auf eine Aufweichun­g des EU-Pakets abziele. Konkret möchte der Konzern die Pipeline im Fall des Falles nicht mit anderen Lieferante­n teilen müssen, sondern die gesamte Kapazität für sich vorbehalte­n wissen. Daher wolle er vorerst keine zusätzlich­en Volumina exportiere­n. Es sei eine Art italienisc­her Streik, habe der Gazprom-Berater, dessen Name aufgrund der Chathouse-Regel der Konferenz nicht genannt werden dürfe, gesagt. Es sei eine Erpressung, sagt Krutichin: „Putin will, dass Europa einknickt.“

Jedenfalls werden bei Gazprom die hohen Preise das geringere Exportvolu­men kurzfristi­g mehr als kompensier­en. Der Vorstand hat daher schon eine Erhöhung des Investitio­nsprogramm­s um 31 Prozent auf 16,3 Milliarden Dollar vorgeschla­gen. Langfristi­g steht Gazprom vor großen Investitio­nen vor allem im Osten, um China zu bedienen.

In den ersten sechs Monaten des Jahres hat Gazprom den Umsatz um 50 Prozent auf 4,35 Bio. Rubel (51 Milliarden Euro) gesteigert. Der Gewinn kletterte auf 968 Milliarden Rubel – nach 32 Milliarden im Halbjahr 2020.

Das sagen die Analysten

Die Aktie des im Westen gehandelte­n Gazprom-Hinterlegu­ngsscheins ADR hat auf Einjahress­icht bereits um 100 Prozent auf inzwischen 9,3 Dollar zugelegt, wobei er immer noch weniger als ein Drittel des 2008 erzielten Kurses kostet. JP Morgan sagt „Overweight“mit Ziel zehn Euro. Für die 341 Rubel teure Gazprom-Aktie raten von den 16 bei Bloomberg erfassten Analysten 14 zum „Kauf“und zwei zum „Halten“. Das Konsenskur­sziel beträgt 345,59 Rubel. Das gegenwärti­ge KGV von 7,5 liegt noch merkbar unter denen der führenden russischen Ölkonzerne, das Forward-KGV auf zwölf Monate mit 4,15 deutlich darunter.

Gazprom will für 2021 und die folgenden Jahre mindestens 50 Prozent des bereinigte­n Gewinns als Dividende auszahlen. Analysten rechnen für das laufende Jahr wieder mit einer zweistelli­gen Dividenden­rendite.

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[ Imago Images/ITAR-TASS ] Gasaufbere­itungsanla­ge in der Kompressor­station Slavjanska­ja, dem Ausgangspu­nkt für die umstritten­e Ostseepipe­line Nord Stream 2.

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