„Die Musik von Rossini fetzt einfach“
Am Dienstag hat Herbert Fritschs Inszenierung von „Il barbiere di Siviglia“Premiere. Der „Presse“erzählte er, dass es ihm dabei nicht ums Blödeln gehe, sondern um Extreme des Ausdrucks. Und dass er keine Noten lesen kann.
Die Presse: Was ist eine Rossini-Buffa für Sie? Ein Spaß? Eine Komödie? Eine Burla wie in „Falstaff“? Oder wie man in Wien sagt : eine Hetz?
Herbert Fritsch: Die Hetz gefällt mir schon sehr gut, weil es mit Geschwindigkeit zu tun hat, und das haut bei Gioachino Rossini total hin. Über Komödie denke ich gar nicht nach, wenn ich an einem Format arbeite. Mir geht es um die Gefühle, um die Emotionalität, die da hochkommt. Darauf lasse ich mich ein – ohne daran zu denken, was am Ende dabei herauskommt. Zum Beispiel muss das Maschinelle der Rossini-Musik durch den ganzen Körper gehen wie beim Pop- oder Rock’n’Roll-Tanzen. Dabei hört das Auge immer mit, Ton und Stimme müssen der Optik entsprechen, daraus ergeben sich Linien und Charaktere, welche die Sänger schaffen müssen. Darum gibt es bei mir keine Requisiten. Es ist schon alles ziemlich abstrakt, die Sänger sind auf sich selbst angewiesen.
Sie kommen eigentlich vom Schauspiel her. Bevorzugen Sie mittlerweile die Oper als Format?
Für mich ist Theater grundsätzlich auch Oper. Ich mache da keinen Unterschied. Der Begriff Musiktheater ist für mich Pleonasmus, denn Theater ist immer Musik – wie Duke Ellington sagt: „It don’t mean a thing, if it ain’t got that swing.“Wenn die Schwingung stimmt, dann überträgt es auch etwas. Da ist etwas Geheimnisvolles, was einen betrifft. Ich mache zwischen Oper und Schauspiel keinen Unterschied. Manchmal nur habe ich das Gefühl, dass die Sänger die besseren Schauspieler sind, weil sie mit ihrer Körperlichkeit geschickter umgehen und sie einen kräftigen Ausdruck haben. Menschliche Gewohnheiten interessieren mich nicht am Theater. Über den „Barbiere“heißt es immer, es gehe nur ums Geld. Das stimmt ja gar nicht, es geht um Leidenschaften, die ich hochpeitschen und vergrößern muss – und dabei immer eine Lücke lassen, die dem Publikum die Möglichkeit bietet zu sehen, was es eben sehen will. Ich weise niemanden darauf hin, dass etwas zum Beispiel in die MeToo-Debatte passen würde – wenn er es sehen will, soll er doch. Je mehr Freiheit einer im Betrachten hat, desto mehr wird übertragen. Das ist wie ein geschliffener Diamant, der in vielen Farben strahlen kann. Wenn ich ein Thema total ausformuliere, ist es tot.
Die Optik bestimmt Ihr Handwerk. Bestimmt das Tempo der Musik auch das
Tempo der Optik?
Das könnte ich so nicht sagen. Mir geht es um das Fortführen des Tempos, um das Antreiben – um den Trieb, der einem eine Zeit lässt. Menschen sind oft gefährdet, sich zu verheddern, in der Komödie wie in der Tragödie. Rossini macht das wiederum ganz anders: Er schreibt so viele Noten, die man gar nicht spielen kann. Er hat das so überzogen, dass man dem fast nicht folgen kann. Das fetzt einfach. Bei mir heißt es oft, es wird alles verblödelt – aber das ist Quatsch, es geht darum, welche Extreme des Ausdrucks man wählt.
Ist der Notentext für Sie sakrosankt?
Also ich kann keine Noten lesen. Ich höre Musik, wie ich sie hören kann, und dann reagiere ich darauf. Ich kann auch kein Italienisch, meine Frau ist Italienerin, aber ich kann nur ein paar Brocken. Mich interessiert der Klang, und dann mache ich was draus. Ich schaue auf die Sänger, was machen die aus der Musik. Es ist wie bei der Sprache oder wie beim Schauspiel das Buch: Punkt und Komma interessieren mich nicht; wichtig ist, was der Klang sagt und überträgt. Ich muss die Leute gut kennenlernen, mit denen ich probiere. Darum mache ich auch keine Konzeptionsgespräche: zu sagen, der Graf im „Barbiere“ist wie Harvey Weinstein, das ist doch völliger Blödsinn. Wenn ich nur in die Noten oder in das Buch gucke, was dort alles steht, aber ich nicht mitbekomme, was oben auf der Bühne los ist und passiert, dann werde ich überhaupt nie fertig.
Wie Sie frech formulieren, klingt das nach Berliner Schnauze: Sind Sie ein waschechter Berliner?
Aber nein! Mein Gott, was unterstellen Sie mir? Ich bin Bayer. Darum bin ich ja so gern in Wien. Diese Lebensart gefällt mir. Ich bin in Bayern und Hamburg aufgewachsen, und dann hat es mich überallhin verschlagen. Auch nach Berlin, wo ich lange Zeit bei Frank Castorf an der Volksbühne war. Berlin hat etwas Unberechenbares an sich, ist aber eine faszinierende Stadt. Ich wohne seit 25 Jahren dort.
Karin Bergmann hat sie ans Burgtheater geholt. Wie kommen Sie mit der Wiener Mentalität zurecht?
Ich fühle mich hier zu Hause. Meine Mutter hatte Wiener Vorfahren, sogar musikalische: Der Instrumentenbauer Hermann Zuleger war maßgeblich an der Entwicklung der Wiener Oboe beteiligt.
Was kommt nach dem „Barbiere“?
In Basel „Die Nase“von Schostakowitsch.