Die Presse

Peymanns Spiel mit dem Tod

In den Kammerspie­len der Josefstadt inszeniert Claus Peymann „Der König stirbt“von Eug`ene Ionesco präzise als zugleich tief tragisches und höchst lächerlich­es Endspiel.

- VON THOMAS KRAMAR [ Lukas Pichelmann ]

Ein Mensch muss sterben, seine Zeit läuft ab, seine Welt schwindet. Darum geht es in „25 Minutes to Go“von Johnny Cash, und darum geht es auch in „Der König stirbt“von Ionesco. Der Vergleich mit dem „Jedermann“liegt nahe, wurde auch schon oft gezogen, doch bei Ionesco gibt es kein Gewissen, keine Reue und kein Gericht, keine überirdisc­hen Mächte, die um die Seele kämpfen. Nur den Skandal des Todes, den Schrecken der Leere. Er macht dieses Theater aus, und ihn meint Margarete, die erste Frau des Königs, wenn sie einmal ruft: „Schluss mit dem ganzen Theater!“

Warum ist der Sterbende – der wie in Ionescos „Nashörnern“Behringer heißt – ein König? Gegenfrage­n: Warum ist Hamm in Becketts (1956, sechs Jahre vor „Der König stirbt“, uraufgefüh­rtem) „Endspiel“ein König? Warum hat sich Regisseur Claus Peymann oft mit Krone fotografie­ren lassen? „O Gott“, sagt Prinz Hamlet, „ich könnte in eine Nussschale eingesperr­t sein und mich für einen König von unermessli­chem Gebiete halten, wenn nur meine bösen Träume nicht wären.“Im Angesicht des Todes ist jedermann ein König, aber ein König, der zum Kind regrediert, dessen Reich auf eine Nussschale schrumpft. Das ist komisch, verzweifel­t komisch, und diese verzweifel­te Komik arrangiert Claus Peymann in seiner Inszenieru­ng von „Der König stirbt“präzise.

„Was für eine Komödie“

Dabei will man am Anfang des Stücks, wenn es den Wächter unter der Rüstung juckt, schon seufzen: Bitte nicht so viel blecherne Komödianti­k! Und dann kommen noch die restlichen Figuren mit Masken wie im venezianis­chen Fasching . . . Doch das Spiel gewinnt schnell an Tiefe, was natürlich an Ionescos Text liegt, aber auch an Peymanns treuer und genauer Arbeit damit. Hier sitzt jeder Satz, nein: jedes Wort im Rhythmus, und wenn der König strauchelt und fällt, dann folgt er einer unerbittli­chen Mechanik in einer abgekartet­en Choreograf­ie. Die aus der schlichten dramatisch­en Situation folgt: Der König hat nur mehr zwei Stunden, länger kann das Spiel nicht dauern. „Es lebe der König“, ruft der Wächter, „der König stirbt.“„Was für eine Komödie“, kommentier­t Margarete. „Es ist Ihre Pflicht, in Würde zu sterben“, mahnt der Arzt ein wenig später.

Ach, die Würde. Auch sie löst sich auf in diesen zwei Stunden, sie verdampft wie die Welt des Königs, während dieser alle Strategien erprobt, die einem Menschen einfallen, wenn der Tod näher rückt. Das Flehen: „Bitte, lasst mich nicht sterben.“Die Verdrängun­g: „Natürlich sterbe ich, in dreihunder­t Jahren.“Die Ablenkung: „Sollen doch alle sterben, wenn ich nur ewig lebe.“Das devote Sich-Fügen: „Ich bin nie gewesen.“Natürlich auch die paradoxe Anklage: „Warum bin ich geboren, wenn nicht für immer?“Bei diesem erschrecke­nden Satz lachten bei der Premiere etliche im Publikum! Allein dieser Effekt zeigte, wie gut es Peymann gelungen ist zu zeigen, dass das Lächerlich­e und das Tragische im Grunde ein und dasselbe sind.

Bernhard Schirs irrwitzige Mimik

Bernhard Schir als König zeigt diese Äquivalenz schon in seiner irrwitzige­n Mimik: Auf Fotos festgehalt­en, mag sie peinlich wirken, in der Bewegung von Fratze zu Fratze ist sie tragikomis­ch im besten Sinn. Rührend. Fallen kann er gut. Und träumen auch, vom Leben, von der Sonne, von Eintopf (mit „Möhren“, da ist der alte Peymann stur). Maria Köstlinger als zweite, geliebte Frau des Königs ist ihm eine manisch zärtliche Begleiteri­n, ihr fließen die Tränen leicht.

Lore Stefanek spielt als erste Königin zunächst virtuos den Neid auf die junge Bevorzugte, doch dann wird mehr aus ihrer Figur: eine Art Todesgötti­n zum Schluss, die den Sterbenden begleitet, ob er will oder nicht. Johannes Krisch als Arzt beginnt im Rollenbild des venezianis­chen Pestdoktor­s, doch er wird mehr und mehr zum strengen Anwalt des Todes, der dämonisch breit grinst, wenn er deklariert: „Alles ist Vergangenh­eit.“

Marcus Bluhm ist strammer Wächter und Chefkommen­tator des Geschehens. Johanna Mahaffy als Haushälter­in Julchen darf rotwangig ihrem König zu Diensten sein, aber auch knapp vor Schluss eine Prise Sozialreal­ismus ins Spiel bringen und dem König auf seine Frage, wie denn ihr Leben sei, antworten: „Schlecht, Majestät.“Worauf er, in einer Abwandlung des berühmten Diktums des Achill („Lieber ein Bettler sein im Reiche des Lichts als ein König im Reiche der Schatten“), festhält: „Man kann nicht schlecht leben. Das ist ein Widerspruc­h.“

Für Licht und Schatten im ärmlichen Königreich sorgt Achim Freyer, der den König in der bewegenden Schlusssze­ne allein unter Sonne, Mond und Sterne setzt – und diesmal darauf verzichtet, Personen und Bühne mit Seilen und Stricken zu dirigieren. Immerhin sieht der Thron, den er dem König bereitet hat, so wacklig aus, dass man schon fürchtet, dass Bernhard Schir frühzeitig stürzt.

Tut er nicht. Dieses Spiel funktionie­rt auf allen Ebenen gut. Und im Zuseher keimt ein kühner Wunsch: Könnte Peymann sich nicht vielleicht doch noch einmal an Beckett wagen? Ein „Endspiel“von ihm möchte man gern erleben. Obwohl: Besser, liebevolle­r als den Schlussapp­laus in den Kammerspie­len am Samstag könnte er es nicht inszeniere­n.

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Was für ein Theater: Lore Stefanek, Johannes Krisch, Bernhard Schir, Maria Köstlinger.

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