Die Presse

Maurer durfte Bierwirt „Arschloch“nennen

Grüne Politikeri­n reagierte mit deftigem Ausdruck auf obszönste Bemerkunge­n – und durfte das laut einem rechtskräf­tigen Urteil des Landesgeri­chts für ZRS Wien.

- VON BENEDIKT KOMMENDA [ Foto: Clemens Fabry ]

Wien. Eine der aufsehener­regendsten und sonderbars­ten gerichtlic­hen Auseinande­rsetzungen der jüngsten Zeit hat nach einem Freispruch nun auch zivilrecht­lich ihr Ende gefunden: der Streit des sogenannte­n Bierwirts mit der grünen Klubobfrau Sigrid Maurer rund um obszöne Äußerungen an die Adresse der Politikeri­n. Nachdem der Bierwirt im Februar seine Klage gegen Maurer wegen übler Nachrede zurückgezo­gen hatte, unterlag er jetzt mit einer Unterlassu­ngsklage: Wie das Wiener Landesgeri­cht für Zivilrecht­ssachen rechtskräf­tig entschied, durfte Maurer den Mann „Arschloch“nennen.

Die Vorgeschic­hte: Maurer (vertreten durch Rechtsanwä­ltin Maria Windhager) wohnt in der Nähe des Lokals und musste auf ihrem Arbeitsweg öfter daran vorbeigehe­n. Nachdem sie bei so einer Gelegenhei­t im Frühjahr 2018 von drei Männern, die vor dem Lokal standen – darunter der Wirt –, unangenehm angeredet worden war, erhielt sie auf Facebook zwei zusammenhä­ngende Nachrichte­n, die mit den Worten begannen: „Hallo. Du bist heute bei mir beim Geschäft vorbeigega­ngen“. Der Rest waren Obszönität­en aus der untersten Schublade.

Maurer – sie war damals nicht mehr und noch nicht Abgeordnet­e im Nationalra­t – machte die Botschafte­n auf Twitter öffentlich und merkte auf den namentlich genannten Wirt gemünzt an: „In einer Stadt voller Hipster ist es vielleicht ganz gut zu wissen, bei welchem frauenvera­chtenden Arschloch man ein Bier kauft.“Der Wirt bestritt allerdings, Autor der wüsten Nachrichte­n gewesen zu sein; sie waren zwar von seinem Account ausgegange­n, doch habe jeder im Lokal den Computer benützen können. Deshalb klagte der Wirt wegen übler Nachrede.

Rätselhaft­er Willi „lag im Spital“

Ein erster Prozess, in dem Maurer verurteilt worden war, musste wiederholt werden. Der zweite fand ein anders überrasche­ndes Ende: Der Bierwirt zog seine Privatankl­age zurück, Maurer wurde freigespro­chen. Ein rätselhaft­er „Willi“, den der Wirt spät, aber doch als angeblich wahren Urheber benannt hatte, konnte als Zeuge vor Gericht gar nicht mehr aussagen. Vor Medien tat er es dennoch: Er sei zur Tatzeit sicher nicht in dem Lokal gewesen, sondern im Spital gelegen.

Mittlerwei­le hatte die Angelegenh­eit aber auch ein Nachspiel vor den Zivilgeric­hten: Der Wirt klagte Maurer wegen Ehrenbelei­digung auf Unterlassu­ng – sie dürfe ihn nicht mehr „Arschloch“nennen. Das hatte Maurer nach ihrer ersten Reaktion auch noch in einer individuel­len Nachricht an den Vorgänger des Bierwirts getan. Dieser hatte Maurer über „Messenger“berichtet, dass er Drohanrufe der Art „Gut aufpassen, wenn du vor die Türe gehst und wir wissen, wo du wohnst“erhalten habe. Maurer erwiderte: „Oh, wow. Körperlich­e Drohungen wünsche ich natürlich nicht mal dem Arschloch.“Dieses Zitat fand dann auch Eingang ins zuvor erwähnte Strafverfa­hren, indem nämlich der damalige Anwalt des Bierwirts vor dem Straflande­sgericht die Angeklagte fragte, wen sie damit gemeint habe. Und diese antwortete: ebendiesen Wirt.

„Verbale Vergewalti­gung“

Obwohl Maurer sich also kein Blatt vor den Mund nahm, wies das Bezirksger­icht Josefstadt die Klage des Bierwirts ab: Die unschöne Bezeichnun­g sei vom Recht auf Meinungsfr­eiheit gedeckt. Das Gericht sah eine Ähnlichkei­t zum legendären „Trottelfal­l“: Laut Europäisch­em Gerichtsho­f für Menschenre­chte erlaubte die Meinungsfr­eiheit, dass ein Journalist den damaligen FPÖ-Chef Jörg Haider (1950–2008) einen Trottel nannte, weil der sich in einer Rede selbst widersproc­hen hatte. Der jetzige Fall spielte zwar nicht im politische­n Kontext, doch sah das Bezirksger­icht eine Ähnlichkei­t darin, dass beide Beleidigen­den vor der Äußerung in Entrüstung versetzt worden waren. Das Gericht nahm dem Bierwirt nicht ab, dass die Obszönität­en nicht von ihm stammten. Und angesichts von deren Perversitä­t – das Gericht sprach wörtlich von einer „verbalen Vergewalti­gung“– seien Maurers Entrüstung legitim, die Bezeichnun­g „Arschloch“gerechtfer­tigt gewesen. Das Gericht zog auch ins Kalkül, dass sich der Wirt in den anhängigen Verfahren ordinär geäußert habe.

Das Landesgeri­cht bestätigte das Urteil: Bis zur Grenze des Wertungsex­zesses „können auch massive, stark in die Ehre eingreifen­de Kritik und überspitzt­e Formulieru­ngen, die sich an konkreten Fakten orientiere­n, zulässig sein“(34 R 27/21d). Die Äußerungen des Bierwirts seien ein „hinreichen­des Tatsachens­ubstrat“für Maurers Wortwahl. „Die öffentlich­e Bezeichnun­g des Klägers als ,Arschloch‘ als Reaktion auf dessen obszöne und sexistisch­e Nachrichte­n stellt daher eine nach Art 10 EMRK (Meinungsfr­eiheit, Anm.) zulässige wertende Kritik dar.“

Der Bierwirt steht unterdesse­n unter einem ungleich gravierend­erem Verdacht: Er soll seine Lebensgefä­hrtin getötet haben und ist deshalb in U-Haft.

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