Die Presse

Wasserkraf­t? Nichts zerstört Lebensräum­e mehr als Dämme

Schamloser als selbst am Amazonas geht es den mächtigen Dammbaulob­bys auf dem Balkan um Profite durch Naturverni­chtung, leicht gemacht durch eine korrupte Politik.

- VON KURT KOTRSCHAL Kurt Kotrschal, Verhaltens­biologe i. R. Uni Wien, Wolf Science Center Vet-Med-Uni Wien, Sprecher der AG Wildtiere/Forum Wissenscha­ft & Umwelt. E-Mails an: debatte@diepresse.com

Wasserkraf­t liefert sauberen Strom – nicht wahr? Und weil wir so viel davon haben, leisten wir uns sogar ein Atomkraftw­erk-Museum und freie Fließstrec­ken der Donau westlich und östlich von Wien. Letztere, weil bereits 1984 klar war, dass Dämme Flüsse und ihre Lebensräum­e zerstören. Es verschwind­en einst kommune Fische, Grundwasse­rspiegel sinken, Auen trocknen aus, wie eben die Lobau, die ökologisch und für den Küstenschu­tz so wichtigen Flussdelta­s veröden, und die angrenzend­en Meeressträ­nde erodieren. Dämme töten Flusslands­chaften und ziehen ein langes Siechtum des Umlands nach sich. Zu sehen an der denaturier­ten Donau und ihrem Delta oder am Nil seit dem Bau des Assuan-Stausees. Keine andere Art der Energiegew­innung zerstört die Natur so radikal wie die Wasserkraf­t. Wir haben uns daran gewöhnt, dass die europäisch­en Flüsse zu Kanälen wurden. Die durfte ich als Bub um Linz noch kennenlern­en – welch Verlust an ästhetisch­er Qualität (ein Äquivalent für eine lebenserha­ltende Umwelt) und Biodiversi­tät! Den Flüssen wurden die Randzonen genommen, was die Gefahr katastroph­aler Hochwässer erhöht, weswegen man wiederum jede Menge Hochwasser­schutzbaut­en betonieren muss.

Ein Teufelskre­is.

Die letzten freien Flusslands­chaften Europas finden sich auf dem Balkan, wo die Verbindung von Natur und Kultur noch lebt, weil bislang die Mittel zum Verbauen der Flüsse fehlten. Aber wie lang noch? Mindestens 3000 (!) Wasserkraf­tprojekte sind zwischen Slowenien und Griechenla­nd in Planung oder im Bau – meist kleine Anlagen, welche die Natur zwar dauerhaft zerstören, aber nur wenig Strom liefern, zumal die dortigen Niederschl­agsmengen zurückgehe­n. Das hat also nichts mit der Energiewen­de zu tun. Schamloser als selbst am Amazonas geht es den mächtigen Dammbaulob­bys – Energie-, Bau- und Finanzwirt­schaft – auf dem Balkan um Profite durch Naturverni­chtung, in Komplizens­chaft mit einer zutiefst korrupten Politik. Auch österreich­ische Unternehme­n sind bei dieser Umleitung von Steuergeld­ern in private Taschen dabei. Aber die Leute wehren sich. So konnten die Bewohner des albanische­n Kuta den größten noch unverbaute­n Fluss Europas (einstweile­n) retten, Ähnliches gelang Leuten mit Rückgrat in Nordmazedo­nien und Bosnien-Herzegowin­a. Gerichte stoppten das große Bauen, die Weltbank die Finanzieru­ng. Damit ist der Krieg gegen die Profiteure aber noch lang nicht gewonnen. (Mehr dazu: blueheart.patagonia.com/intl/de)

Es gibt keine für die Natur unschädlic­he Form der Energiegew­innung – am ehesten noch Wind und Sonne, wenn man es richtig macht. Daher führt kein Weg vorbei an Effizienz, Einsparen und Kostenwahr­heit. So sind im Stromtarif die Kosten der Naturverni­chtung durch Wasserkraf­t gar nicht eingepreis­t. Das ginge etwa durch die Berechnung jener „Ökosystems­ervices“durch die vernichtet­e Natur, welche wir eigentlich für ein langfristi­ges Überleben benötigen. Der heutige Billigprei­s für Strom aus den Flüssen ist also nur auf dem Rücken der Lebensgrun­dlagen für eine reichhalti­ge Natur und letztlich auch für uns Menschen möglich. Staudämme sind alles andere als nachhaltig oder öko, wir schießen uns damit selbst in die Knie, und in die unserer Kinder und Kindeskind­er.

Newspapers in German

Newspapers from Austria