Ein Tanker bedroht Millionen Menschen
Jemen. Ein Öltanker vor der Küste des Jemen könnte explodieren oder sinken. Neun Millionen Menschen drohen dann den Zugang zu sauberem Wasser zu verlieren. Davor warnen Forscher.
Wien/Sanaa. Safer: Das ist der Name eines 350 Meter langen Öltankers, der seit 2015 unweit der Küste des Jemen schlummert. Safer: Das ist auch der Name einer möglichen Katastrophe. Denn der Öltanker rostet im salzigen Roten Meer. Er verfällt. Und mit jedem Tag wächst die Gefahr einer Tragödie. Die Dimensionen wären gewaltig und auch größer als jene der Katastrophe um die Exxon Valdez, den berüchtigten und 1989 vor Alaska havarierten Tanker. Damals ruinierten geschätzte 40 Millionen Liter ausgetretenes Rohöl das betroffene Ökosystem.
Die Verheerungen wirken bis heute nach. Aus der Safer droht im schlimmsten Szenario viermal so viel Erdöl auszulaufen, nämlich rund 160 Millionen Liter. Dass vor der Küste des Jemen im rostigen Bauch der Safer eine Zeitbombe tickt, ist schon länger bekannt. Auch die drohenden Folgen für das maritime Ökosystem wurden gut untersucht. Ein Forscherteam hat für das Fachmagazin „Nature Sustainability“erstmals die möglichen unmittelbaren Auswirkungen auf die öffentliche Gesundheit in Zahlen gegossen. Sein Bericht liest sich teilweise wie eine Vorausschau auf eine Apokalypse.
Ölpest immer wahrscheinlicher
Die Forscher geben sich keinen Illusionen hin: Eine Ölpest im Roten Meer werde „immer wahrscheinlicher“und hätte fatale Folgen: Die Fischerei in dem bettelarmen Land würde zerstört, und zwar zu 93 bis 100 Prozent. In wenigen Wochen würde der Ölteppich mehrere Häfen lahmlegen, über die mehr als zwei Drittel der Hilfsgüter den Jemen erreichen – das Land hängt am Tropf der internationalen Gemeinschaft. Es importiert auch Treibstoff zur Aufrechterhaltung jener Reste kritischer Infrastruktur, die noch intakt sind, darunter Tanklastwagen. Auch Anlagen zur Trinkwasseraufbereitung, zur Entsalzung, würden (nicht nur im Jemen) ausfallen.
Alles in allem könnte so viel sauberes Wasser fehlen, wie neun bis 9,9 Millionen Menschen pro Tag verbrauchen. Eine multiple Gesundheitskrise drohte: Je nach Szenario
würden Rauch und/oder schmutzige Verdunstungen die Luft von Millionen Menschen verpesten.
Die Modellrechnungen sind nur Annäherungen. Die Ausmaße der Katastrophe hängen unter anderem davon ab, ob das Schiff sinkt, auseinanderbricht, Feuer
fängt und explodiert oder nur einige Tanks leck werden. Die Windrichtung ist ein Faktor. Auch die Jahreszeit. Sicher ist, dass ausgerechnet dem Jemen eine neue Katastrophe droht, jenem Land also, das immer schon arabisches Armenhaus war und seit 2014 von einem Krieg geschunden wird, der 16,2 Millionen Menschen, mehr als die Hälfte der Bevölkerung, in eine Nahrungsmittelkrise stürzte.
Schiff als Verhandlungsmasse
Die Safer ist ein angejahrter Tanker, der 1975 in Japan vom Stapel lief, in den Achtzigern zum schwimmenden Ölterminal umgerüstet und 2015 im Zuge des Jemen-Krieges von den Huthi-Rebellen besetzt wurde. Sie herrschen über das nahe Küstenland. Seither wurde der Tanker nicht mehr gewartet.
Wichtige Systeme sind angeblich außer Kraft. Feuer könnten im Ernstfall nicht gelöscht werden. Hinzu kommt, dass die Safer über keine doppelte Hülle verfügt, sondern nur einwandig ist und damit anfälliger für Lecks.
Gespräche zwischen den Huthis und der Weltgemeinschaft über eine Inspektion und Wiederinstandsetzung liegen auf Eis. Ein Appell des UN-Sicherheitsrats verhallte ungehört. Denn die Safer ist nicht nur tickende Bombe, sie ist auch Verhandlungsmasse und ein Schatz, weil in ihr noch immer wertvolles Öl schlummert.
Ändert sich nichts, lautet die Frage nicht, ob eine Katastrophe eintritt, sondern nur wann. Noch aber lässt sie sich abwenden. Das Öl muss vom Schiff, schreiben die Forscher. Rasch. Die Uhr tickt.