Folterer will Interpol-Chef werden
Vereinigte Arabische Emirate. Der reiche Golfstaat schickt seinen hohen Beamten Raisi für den Chefposten der internationalen Polizeibehörde ins Rennen. Dagegen regt sich nun Widerstand.
Istanbul. Ahmed Naser Al-Raisi sieht sich als Reformer. Als Präsident der internationalen Polizeibehörde Interpol werde er diese modernisieren und für den Kampf gegen das internationale Verbrechen rüsten, sagt der Generalmajor aus den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE). Kommende Woche stellt sich Raisi bei der Generalversammlung von Interpol in Istanbul zur Wahl für den Chefposten. Als Generalinspekteur im VAE-Innenministerium hat er zwar Erfahrung – doch die besteht nach Meinung von Kritikern vor allem in der Verfolgung Andersdenkender. Sie fürchten, Interpol könnte unter seiner Leitung zum Instrument autokratischer Regierungen werden.
50-Millionen-Euro-Spende
Die Bewerbung passt zum außenpolitischen Konzept der VAE unter ihrem De-facto-Herrscher und Kronprinzen Mohammed bin Zayed. MBZ, wie der Prinz genannt wird, will sein Land in die erste Liga der internationalen Mächte bringen. Raisi soll die Nachfolge des derzeitigen Interpol-Präsidenten,
des Südkoreaners Kim Jong Yang, antreten, der turnusgemäß ausscheidet. Mit seiner Wahl an die Spitze von Interpol bei der Versammlung vom 23. bis zum 25. November wollen die VAE Einfluss und Prestige weiter steigern. Seine Bewerbung wird seit Langem vorbereitet: Schon 2017 überwiesen die VAE eine Spende von 50 Millionen Euro an Interpol. Das entspricht mehr als einem Drittel des Interpol-Jahresetats.
Reich, modern, tolerant, diesen Ruf haben die VAE. Mit der Glitzerstadt Dubai ist das Land ein Zentrum der internationalen Luftfahrt und Finanzwirtschaft, das Ausländern einen westlichen Lebensstil ohne Einschränkungen etwa beim Alkoholkonsum garantiert.
Nach Ansicht von Kritikern geht die VAE-Regierung jedoch mit rabiaten Mitteln gegen alle vor, die sich dem Willen der Mächtigen entgegenstellen. Als hoher Polizeioffizier helfe Raisi dabei, kritisiert die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch. Seine Kandidatur
sei der Versuch der VAE, sich internationales Ansehen und einen Persilschein für Menschenrechtsverletzungen zu kaufen.
Dass die VAE-Herrscher keinen Widerspruch dulden, ist bekannt. Prominentestes Beispiel ist Prinzessin Latifa bint Mohammed bin Rashid Al Maktoum, Tochter des milliardenschweren Herrschers von Dubai und VAE-Vizepräsidenten. Sie hatte 2018 vergeblich versucht, vor ihrem Vater, Scheich Mohammed bin Rashid Al Maktoum, zu fliehen. Sie wurde jahrelang festgehalten, bis sie per Video Hilferufe an die Öffentlichkeit schickte. Seither ist sie zwar wieder gesehen worden – inwieweit sie selbstbestimmt leben kann, ist aber weiter unklar.
Der Scheich geriet zudem vor zwei Jahren in die Schlagzeilen, weil seine Exfrau Raja mit zwei Kindern nach London floh. Die britische Justiz wirft ihm vor, die Telefone seiner Exfrau und ihrer Anwälte mithilfe der israelischen Spionage-Software Pegasus angezapft zu haben. Angesichts dieser Kritik wirkt Raisis Plädoyer für mehr Hochtechnologie bei Interpol auf seine Kritiker wie Hohn.
Zu den Opfern der VAE-Politik gehört auch der Brite Matthew Hedges, der 2018 ein halbes Jahr wegen Spionagevorwürfen in den Emiraten inhaftiert war und nach eigenen Angaben gefoltert wurde. Raisi soll dabei eine entscheidende Rolle gespielt haben. Sollte er nun zum Chef von Interpol gewählt werden, würde dies die Werte der internationalen Polizeibehörde untergraben, sagte Hedges der britischen Zeitung „Daily Express“.
Strafanzeige in Frankreich
Die arabische Menschenrechtsorganisation GCHR hat nach dem Weltrechtsprinzip über einen Anwalt in Frankreich eine Strafanzeige gegen Raisi stellen lassen. Sollte dies zu einer Anklage führen, könnte Raisi bei der Einreise nach Frankreich festgenommen werden – dann wäre er nicht in der Lage, sein Büro in der Interpol-Zentrale in Lyon zu beziehen. Kritik kommt auch aus dem EU-Parlament. Im September forderten die Abgeordneten, die Vorwürfe gegen Raisi müssten untersucht werden.