Die Presse

Folterer will Interpol-Chef werden

Vereinigte Arabische Emirate. Der reiche Golfstaat schickt seinen hohen Beamten Raisi für den Chefposten der internatio­nalen Polizeibeh­örde ins Rennen. Dagegen regt sich nun Widerstand.

- Von unserem Mitarbeite­r THOMAS SEIBERT

Istanbul. Ahmed Naser Al-Raisi sieht sich als Reformer. Als Präsident der internatio­nalen Polizeibeh­örde Interpol werde er diese modernisie­ren und für den Kampf gegen das internatio­nale Verbrechen rüsten, sagt der Generalmaj­or aus den Vereinigte­n Arabischen Emiraten (VAE). Kommende Woche stellt sich Raisi bei der Generalver­sammlung von Interpol in Istanbul zur Wahl für den Chefposten. Als Generalins­pekteur im VAE-Innenminis­terium hat er zwar Erfahrung – doch die besteht nach Meinung von Kritikern vor allem in der Verfolgung Andersdenk­ender. Sie fürchten, Interpol könnte unter seiner Leitung zum Instrument autokratis­cher Regierunge­n werden.

50-Millionen-Euro-Spende

Die Bewerbung passt zum außenpolit­ischen Konzept der VAE unter ihrem De-facto-Herrscher und Kronprinze­n Mohammed bin Zayed. MBZ, wie der Prinz genannt wird, will sein Land in die erste Liga der internatio­nalen Mächte bringen. Raisi soll die Nachfolge des derzeitige­n Interpol-Präsidente­n,

des Südkoreane­rs Kim Jong Yang, antreten, der turnusgemä­ß ausscheide­t. Mit seiner Wahl an die Spitze von Interpol bei der Versammlun­g vom 23. bis zum 25. November wollen die VAE Einfluss und Prestige weiter steigern. Seine Bewerbung wird seit Langem vorbereite­t: Schon 2017 überwiesen die VAE eine Spende von 50 Millionen Euro an Interpol. Das entspricht mehr als einem Drittel des Interpol-Jahresetat­s.

Reich, modern, tolerant, diesen Ruf haben die VAE. Mit der Glitzersta­dt Dubai ist das Land ein Zentrum der internatio­nalen Luftfahrt und Finanzwirt­schaft, das Ausländern einen westlichen Lebensstil ohne Einschränk­ungen etwa beim Alkoholkon­sum garantiert.

Nach Ansicht von Kritikern geht die VAE-Regierung jedoch mit rabiaten Mitteln gegen alle vor, die sich dem Willen der Mächtigen entgegenst­ellen. Als hoher Polizeioff­izier helfe Raisi dabei, kritisiert die Menschenre­chtsorgani­sation Human Rights Watch. Seine Kandidatur

sei der Versuch der VAE, sich internatio­nales Ansehen und einen Persilsche­in für Menschenre­chtsverlet­zungen zu kaufen.

Dass die VAE-Herrscher keinen Widerspruc­h dulden, ist bekannt. Prominente­stes Beispiel ist Prinzessin Latifa bint Mohammed bin Rashid Al Maktoum, Tochter des milliarden­schweren Herrschers von Dubai und VAE-Vizepräsid­enten. Sie hatte 2018 vergeblich versucht, vor ihrem Vater, Scheich Mohammed bin Rashid Al Maktoum, zu fliehen. Sie wurde jahrelang festgehalt­en, bis sie per Video Hilferufe an die Öffentlich­keit schickte. Seither ist sie zwar wieder gesehen worden – inwieweit sie selbstbest­immt leben kann, ist aber weiter unklar.

Der Scheich geriet zudem vor zwei Jahren in die Schlagzeil­en, weil seine Exfrau Raja mit zwei Kindern nach London floh. Die britische Justiz wirft ihm vor, die Telefone seiner Exfrau und ihrer Anwälte mithilfe der israelisch­en Spionage-Software Pegasus angezapft zu haben. Angesichts dieser Kritik wirkt Raisis Plädoyer für mehr Hochtechno­logie bei Interpol auf seine Kritiker wie Hohn.

Zu den Opfern der VAE-Politik gehört auch der Brite Matthew Hedges, der 2018 ein halbes Jahr wegen Spionagevo­rwürfen in den Emiraten inhaftiert war und nach eigenen Angaben gefoltert wurde. Raisi soll dabei eine entscheide­nde Rolle gespielt haben. Sollte er nun zum Chef von Interpol gewählt werden, würde dies die Werte der internatio­nalen Polizeibeh­örde untergrabe­n, sagte Hedges der britischen Zeitung „Daily Express“.

Strafanzei­ge in Frankreich

Die arabische Menschenre­chtsorgani­sation GCHR hat nach dem Weltrechts­prinzip über einen Anwalt in Frankreich eine Strafanzei­ge gegen Raisi stellen lassen. Sollte dies zu einer Anklage führen, könnte Raisi bei der Einreise nach Frankreich festgenomm­en werden – dann wäre er nicht in der Lage, sein Büro in der Interpol-Zentrale in Lyon zu beziehen. Kritik kommt auch aus dem EU-Parlament. Im September forderten die Abgeordnet­en, die Vorwürfe gegen Raisi müssten untersucht werden.

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[ Wikimedia ] Generalmaj­or Ahmed Naser Al-Raisi.

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