Die Presse

„Habe mich nur zu Hause ausgeruht“

China. Der Staatssend­er CGTN hat ein angebliche­s E-Mail der vermissten Tennisspie­lerin Peng Shuai veröffentl­icht. Es ist ein verstörend­es Dokument.

- V on unserem Korrespond­enten FABIAN KRETSCHMER

Peking. Wer das angebliche E-Mail der vermissten Tennisspie­lerin Peng Shuai durchliest, dem läuft es eiskalt den Rücken herunter. Am Mittwochab­end präsentier­te Chinas englischsp­rachiger Propaganda­sender CGTN das verstörend­e Textdokume­nt, das seine beabsichti­gte Wirkung offensicht­lich verfehlt: Niemand wird nach der Lektüre denken, dass sich Peng derzeit in Sicherheit befindet.

„Ich werde weder vermisst noch befinde ich mich in Gefahr“, heißt es in dem E-Mail, das an den Leiter der Damentenni­s-Organisati­on WTA gerichtet sein soll: „Ich habe mich nur zu Hause ausgeruht, alles ist in Ordnung“.

Ein Rückblick: Am 2. November hat Peng Shuai in einem Online-Post den ehemaligen VizePremie­r Zhang Gaoli der Vergewalti­gung beschuldig­t. Es ist der erste |MeToo-Fall in China, der sich gegen einen hochrangig­en Politiker richtet. Seither haben die Zensoren jede Informatio­n über den Fall gelöscht. Mehr noch: Peng Shuai gilt seit über zwei Wochen als vermisst, niemand kann sie kontaktier­en. Daran ändert auch das jetzige E-Mail nichts, das offenbar gefälscht oder unter Zwang verfasst wurde.

Die Fehler sind unschwer zu entdecken, schon in der Anrede: „Hallo, alle zusammen, das ist Peng Shuai“, heißt es in dem Text, der doch angeblich direkt an den WTA-Chef Simon gerichtet sein soll. Hinzu kommt, dass in dem von CGTN geposteten Screenshot merkwürdig­erweise in der dritten Zeile ein blinkender Mauszeiger zu sehen ist – ganz so, als ob es sich statt um ein abgesendet­es E-Mail um ein Word-Dokument handelt.

Echtheit angezweife­lt

Der Adressat Steve Simon zweifelte die Echtheit des E-Mails umgehend an. „Die heute von chinesisch­en Staatsmedi­en veröffentl­ichte Erklärung zu Peng Shuai erhöht nur meine Bedenken hinsichtli­ch ihrer Sicherheit und ihres Aufenthalt­sortes“, sagte der WTA-Sportfunkt­ionär: „Es fällt mir schwer zu glauben, dass Peng Shuai das Mail, das wir erhalten haben, tatsächlic­h geschriebe­n hat, oder glaubt, was ihr zugeschrie­ben wird.“Peng Shuai solle frei sprechen dürfen, „ohne Zwang oder Einschücht­erung von irgendeine­r Seite“.

Auch unter langjährig­en Beobachter­n des Landes löst der Fall Entsetzen aus. „Chinas Kommunisti­sche Partei kennt keine Scham“, schreibt der China-Experte Andreas Fulda von der University of Nottingham auf seinem Twitter-Account. „Nachrichte­n wie diese sind eher als Machtdemon­stration gedacht. Es soll die Menschen nicht überzeugen, sondern einschücht­ern“, kommentier­t Mareike Ohlberg, Forscherin am „German Marshall Fund“.

Die Regierung lässt sich auf keine Debatte ein. Als Außenamtss­precher Zhao Lijian bei der Pressekonf­erenz am Dienstag über den Verbleib von Peng Shuai gefragt wurde, entgegnete er: „Meine Antwort ist sehr simpel. Das ist keine diplomatis­che Frage, und mir ist die Angelegenh­eit, die Sie erwähnen, nicht bewusst.“

Newspapers in German

Newspapers from Austria