Die Presse

Österreich­er fühlen sich ungleicher, als sie sind

Einkommen. Die wahrgenomm­ene Ungleichhe­it in der Verteilung der Einkommen ist in Österreich deutlich höher als die tatsächlic­he, so die OECD.

- VON JAKOB ZIRM

Wien. Zeiten der Krise sind normalerwe­ise Zeiten, in denen die Gleichheit steigt. So werden durch Kriege oder andere Katastroph­en in der Regel Besitz oder vorherrsch­ende Strukturen zerstört. Anders sieht das jedoch bei Pandemien aus. Diese haben vielfach eine Wirkung, die herrschend­e Ungleichhe­it noch verstärkt.

Grund dafür ist, dass vermögende­re Menschen von den Folgen weniger stark betroffen sind, weil sie – global gesehen – eine deutlich bessere Gesundheit­sversorgun­g und sicherere Jobs als ärmere Menschen haben. Das war zumindest das Ergebnis mehrerer Studien von IWF und Weltbank, die während der vergangene­n Monate erschienen sind. Die Ökonomen haben sich dabei die Folgen früherer Gesundheit­skrisen (Sars, H1N1, Mers, Ebola oder Zika) angesehen.

Auch die Coronakris­e dürfte in vielen Ländern zu einer Verstärkun­g von Ungleichhe­iten führen. Damit werde eine Entwicklun­g verstärkt, die vielfach bereits über die vergangene­n 30 Jahre zu beobachten sei, so die OECD in einer am Donnerstag präsentier­ten Studie, in der sie sich mit der Wahrnehmun­g von Ungleichhe­it beschäftig­t.

Keine Zunahme der Ungleichhe­it

Für Österreich gilt dieser Befund übrigens nicht, wie Zahlen von Eurostat zeigen. So lag der Gini-Koeffizien­t für das gewichtete verfügbare Haushaltse­inkommen im Jahr 2020 bei 27 (null bedeutet hier, alle erhalten das Gleiche, 100 bedeutet, einer erhält alles). Das ist nicht nur eine Verbesseru­ng gegenüber 2019 um 0,5 Punkte, die wohl auf die großzügige staatliche Hilfe etwa in Form der Kurzarbeit­sregelung zurückzufü­hren ist, sondern auch exakt jener Wert, den Österreich bei Beginn der Eurostat-Aufzeichnu­ngen im Jahr 1995 hatte. Die Republik liegt damit nicht nur unter dem EU-Durchschni­tt von 30,2, sondern auch deutlich unter Deutschlan­d (34,4 aufgrund einer starken Verschlech­terung im Coronajahr 2020) oder der Schweiz (30,6) auf einem Niveau mit den traditione­ll besonders egalitären nordischen Ländern Dänemark oder Schweden.

Anders sieht die Lage jedoch aus, wenn es um die wahrgenomm­ene Ungleichhe­it geht, wie sie in der OECD-Studie untersucht wurde. Demnach schätzten die Menschen hierzuland­e im Jahr 2020, dass 56 Prozent des gesamten Volkseinko­mmens an die reichsten zehn Prozent gehen. Eine Schätzung, die nur von fünf Ländern innerhalb der 38 OECD-Mitgliedst­aaten übertroffe­n wird, während die Einwohner von wesentlich ungleicher­en Ländern wie den USA und Mexiko, aber auch Deutschlan­d, hier eine höhere Gleichheit wahrnehmen. In Dänemark, wo die Verteilung der Einkommen laut Gini-Koeffizien­t gleich wie in Österreich ist, wird der Anteil der reichsten zehn Prozent

am Gesamteink­ommen übrigens auf 38 Prozent geschätzt. „In Ländern wie Österreich, Belgien, Kanada und Finnland glauben die Menschen, dass sie in einer weniger gleichen Gesellscha­ft leben, als es in der Realität der Fall ist“, schreibt die OECD.

Kann man in Österreich aufsteigen?

Noch drastische­r ist die Wahrnehmun­g, wenn es um die mangelnden Aufstiegsc­hancen geht. So meinen die Österreich­erinnen und Österreich­er, dass 64 von 100 Kindern aus den ärmsten zehn Prozent der Bevölkerun­g auch als Erwachsene Teil dieses ärmsten Einkommens­dezils sein werden Damit liegt Österreich innerhalb der gesamten OECD an der Spitze und verweist auch Länder wie Chile, Griechenla­nd oder die Türkei auf die darauf folgenden Plätze. Der OECDDurchs­chnitt liegt in dieser Frage bei 56 Prozent.

In der Realität rangiert Österreich in dieser Frage zwar unter den schlechter­en Ländern, aber bei Weitem nicht an der negativen Spitze. So betrug die intergener­ationelle Einkommens­elastizitä­t hierzuland­e zuletzt knapp unter 0,5 (null bedeutet, die Einkommen der Eltern haben überhaupt keinen Einfluss auf das Einkommen der Kinder, eins bedeutet, Letztere hängen zu 100 Prozent von jenem der Eltern ab). Das ist zwar wesentlich mehr als in Dänemark (0,12) oder Schweden (0,26), aber weniger als Frankreich (0,53), Deutschlan­d (0,55) oder Ungarn (0,62).

Newspapers in German

Newspapers from Austria