Österreicher fühlen sich ungleicher, als sie sind
Einkommen. Die wahrgenommene Ungleichheit in der Verteilung der Einkommen ist in Österreich deutlich höher als die tatsächliche, so die OECD.
Wien. Zeiten der Krise sind normalerweise Zeiten, in denen die Gleichheit steigt. So werden durch Kriege oder andere Katastrophen in der Regel Besitz oder vorherrschende Strukturen zerstört. Anders sieht das jedoch bei Pandemien aus. Diese haben vielfach eine Wirkung, die herrschende Ungleichheit noch verstärkt.
Grund dafür ist, dass vermögendere Menschen von den Folgen weniger stark betroffen sind, weil sie – global gesehen – eine deutlich bessere Gesundheitsversorgung und sicherere Jobs als ärmere Menschen haben. Das war zumindest das Ergebnis mehrerer Studien von IWF und Weltbank, die während der vergangenen Monate erschienen sind. Die Ökonomen haben sich dabei die Folgen früherer Gesundheitskrisen (Sars, H1N1, Mers, Ebola oder Zika) angesehen.
Auch die Coronakrise dürfte in vielen Ländern zu einer Verstärkung von Ungleichheiten führen. Damit werde eine Entwicklung verstärkt, die vielfach bereits über die vergangenen 30 Jahre zu beobachten sei, so die OECD in einer am Donnerstag präsentierten Studie, in der sie sich mit der Wahrnehmung von Ungleichheit beschäftigt.
Keine Zunahme der Ungleichheit
Für Österreich gilt dieser Befund übrigens nicht, wie Zahlen von Eurostat zeigen. So lag der Gini-Koeffizient für das gewichtete verfügbare Haushaltseinkommen im Jahr 2020 bei 27 (null bedeutet hier, alle erhalten das Gleiche, 100 bedeutet, einer erhält alles). Das ist nicht nur eine Verbesserung gegenüber 2019 um 0,5 Punkte, die wohl auf die großzügige staatliche Hilfe etwa in Form der Kurzarbeitsregelung zurückzuführen ist, sondern auch exakt jener Wert, den Österreich bei Beginn der Eurostat-Aufzeichnungen im Jahr 1995 hatte. Die Republik liegt damit nicht nur unter dem EU-Durchschnitt von 30,2, sondern auch deutlich unter Deutschland (34,4 aufgrund einer starken Verschlechterung im Coronajahr 2020) oder der Schweiz (30,6) auf einem Niveau mit den traditionell besonders egalitären nordischen Ländern Dänemark oder Schweden.
Anders sieht die Lage jedoch aus, wenn es um die wahrgenommene Ungleichheit geht, wie sie in der OECD-Studie untersucht wurde. Demnach schätzten die Menschen hierzulande im Jahr 2020, dass 56 Prozent des gesamten Volkseinkommens an die reichsten zehn Prozent gehen. Eine Schätzung, die nur von fünf Ländern innerhalb der 38 OECD-Mitgliedstaaten übertroffen wird, während die Einwohner von wesentlich ungleicheren Ländern wie den USA und Mexiko, aber auch Deutschland, hier eine höhere Gleichheit wahrnehmen. In Dänemark, wo die Verteilung der Einkommen laut Gini-Koeffizient gleich wie in Österreich ist, wird der Anteil der reichsten zehn Prozent
am Gesamteinkommen übrigens auf 38 Prozent geschätzt. „In Ländern wie Österreich, Belgien, Kanada und Finnland glauben die Menschen, dass sie in einer weniger gleichen Gesellschaft leben, als es in der Realität der Fall ist“, schreibt die OECD.
Kann man in Österreich aufsteigen?
Noch drastischer ist die Wahrnehmung, wenn es um die mangelnden Aufstiegschancen geht. So meinen die Österreicherinnen und Österreicher, dass 64 von 100 Kindern aus den ärmsten zehn Prozent der Bevölkerung auch als Erwachsene Teil dieses ärmsten Einkommensdezils sein werden Damit liegt Österreich innerhalb der gesamten OECD an der Spitze und verweist auch Länder wie Chile, Griechenland oder die Türkei auf die darauf folgenden Plätze. Der OECDDurchschnitt liegt in dieser Frage bei 56 Prozent.
In der Realität rangiert Österreich in dieser Frage zwar unter den schlechteren Ländern, aber bei Weitem nicht an der negativen Spitze. So betrug die intergenerationelle Einkommenselastizität hierzulande zuletzt knapp unter 0,5 (null bedeutet, die Einkommen der Eltern haben überhaupt keinen Einfluss auf das Einkommen der Kinder, eins bedeutet, Letztere hängen zu 100 Prozent von jenem der Eltern ab). Das ist zwar wesentlich mehr als in Dänemark (0,12) oder Schweden (0,26), aber weniger als Frankreich (0,53), Deutschland (0,55) oder Ungarn (0,62).