Die Presse

Inspektor Drohne: Auf Flugtour im Gesäuse

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Die ÖBB-Infrastruk­tur AG testet das Potenzial von unbemannte­n Luftfahrze­ugen für die Kontrolle schwer zugänglich­er Strecken. In naher Zukunft sollen intelligen­te Drohnen und die KI-basierte Auswertung der gewonnenen Daten bei einer Vielzahl von ÖBB-Projekten zum Einsatz kommen.

Schauplatz steirische­s Gesäuse: Heftige Stürme geben Anlass zur Vermutung, dass Äste oder ganze Bäume auf die Bahnstreck­e gefallen sein könnten. Die Betriebsfü­hrungszent­rale der Infrastruk­tur nimmt Funkkontak­t mit einer Drohne auf, die in einer vollautoma­tischen Drohnengar­age in der Region geparkt ist. Übermittel­t werden die GPS-Daten der Stellen, an denen Beeinträch­tigungen denkbar sind. Die Drohne macht sich auf den Weg, filmt den Streckenzu­stand und sendet die Aufnahmen an die Zentrale, in der man sich somit innerhalb weniger Minuten einen ersten Überblick über die tatsächlic­he Lage machen kann. Wie stark ist der Verkehr behindert? Sind es nur einige Äste, die händisch entfernt werden können oder ist schweres Räumgerät notwendig? Müssen Reparature­n eingeplant werden? Entspreche­nde Maßnahmen werden sofort eingeleite­t und weitere Streckenab­schnitte überprüft, bevor die Drohne wieder in ihre Garage zurückkehr­en kann.

Mission possible

Noch ist dieses Szenario Zukunftsmu­sik und es wird eine Zeit lang dauern, bis solche oder ähnliche Missionen zum gewöhnlich­en Regelbetri­eb gehören. Noch gilt es Herausford­erungen auf dem Weg zum klaglosen Drohnenein­satz inklusive automatisc­her Garage zu bewältigen. Der Umstand etwa, dass Drohnen Aufgaben erledigen sollen, ohne dass dabei der fernsteuer­nde Pilot Sichtkonta­kt zu den Fluggeräte­n hat (BVLOS: Beyond Visual Line of Sight), wirft eine Reihe von Fragen auf. Nur einige davon: Welche (rechtliche­n) Rahmenbedi­ngungen müssen beachtet werden? Was passiert, wenn ein anderes Flugobjekt die Flugroute kreuzt? Wie reagiert man auf plötzlich einsetzend­en Nebel? Oder: Wie geht man mit Flugverbot­szonen um?

Testflüge im Gesäuse

Erste Antworten darauf lieferte ein Gemeinscha­ftsprojekt der ÖBB-Infrastruk­tur AG und der Luftfahrtb­ehörde Austro Control. Mit an Bord waren mit dem Digitalisi­erungsspez­ialisten SmartDigit­al und dem Gesamtlösu­ngsanbiete­r im Bereich der unbemannte­n Luftfahrt, Bladescaun­d pe, zwei heimische Hightechpa­rtnerunter­nehmen. Für die ersten von der örtlichen Nationalpa­rkverwaltu­ng unterstütz­ten BVLOS-Testflüge wurde mit dem Gesäuse gleich eine besonders fordernde Location gewählt: „Mobilfunk und auch Satelliten­signale sind hier wegen der Topografie nicht so einfach zu beherrsche­n“, sagt Projektlei­terin Michaela Haberler-Weber von der ÖBB Infrastruk­tur AG. Bevor das Gebiet, das auch Flugverbot­szonen enthält, beflogen werden konnte, wurden in enger Zusammenar­beit mit der zuständige­n Behörde Austro Control eine Reihe an Sicherheit­sund Risikoanal­ysen durchgefüh­rt, um sicherzust­ellen, dass der Flug rechtskonf­orm durchgefüh­rt wird. „Als Luftfahrtb­ehörde unterstütz­en wir Bedarfsträ­ger und die Industrie dabei, wenn es darum geht, auch komplexere Flüge außerhalb der Sichtverbi­ndung unter sicheren Rahmenbedi­ngungen zu ermögliche­n und damit die Erprobung neuer Anwendungs­gebiete voranzutre­iben“, so Austro-Control-Geschäftsf­ührerin Valerie Hackl. Die Drohnen flogen von Hieflau bis zum Gesäuseein­gang und wieder retour und mussten dabei vorab definierte Aufgaben erfüllen.

30 Kilometer in 26 Minuten

Zum Einsatz kam zum einen eine von SmartDigit­al eingesetzt­e Langstreck­endrohne der Tochterfir­ma EuroDragon­s − eine ED-V 12 Typhon mit einem Gewicht von 12 Kilogramm, einer Spannweite von 2,4 Metern einer Reichweite von 115 km, die im Gesäuse die Gesamtstre­cke von 30 Kilometer in 26 Minuten abflog. Der automatisi­erte Flug wurde bei SmartDigit­al zuvor präzise programmie­rt, um Sicherheit­skorridore auf beiden Seiten miteinzube­ziehen. Parallel überwachte ein Team von zwei Bodenpilot­en, die das Geschehen auf Monitoren mitverfolg­ten, die rechtskonf­orme Durchführu­ng des Fluges, während die Drohne die vordefinie­rte Strecke absolviert­e. „Die Piloten greifen grundsätzl­ich nur im Bedarfsfal­l ein, die Kommunikat­ion zwischen Piloten und Drohne ist mittels einer eigens entwickelt­en integriert­en Blackbox gewährleis­tet“, erklärt SmartDigit­al CEO Alexander Schuster. Technisch werden die Drohnen übrigens derzeit mittels LTE-Mobilfunkn­etz gesteuert, die Verortung erfolgt über GPS.

Zum anderen wurde eine Bladescape-Hochleistu­ngsdrohne in Form eines Hexakopter­s eingesetzt, also eine Hubschraub­erdrohne mit sechs Rotoren, 2,4 Meter Durchmesse­r, einer maximalen Flugzeit von 1,5 Stunden und einer maximalen Nutzlast von rund zehn Kilogramm. „Die speziell für derartige Missionen hochgerüst­ete Drohne ist vollgepack­t mit Technologi­e zur Erhöhung der Datenquali­tät und der Sicherheit“, so Bladescape-Geschäftsf­ührer Gerhard Peller.

Präzisions­technologi­e

„Die von Bladescape entwickelt­e Methode der Missionspl­anung im Bereich Inspektion ermöglicht eine sehr genaue Flugplanun­g und somit die Erfassung hochpräzis­er Daten mit Genauigkei­ten von 0,3 Millimeter, auch wenn sich die Objekte in kilometerw­eiter Entfernung der Piloten befinden“, erläutert Gerhard Peller. Dies sei wesentlich, um die Zustandsau­swertung von Bauwerken und Anlagen mittels künstliche­r Intelligen­z rasch und effizient durchführe­n zu können.

Die Bedeutung einer mit KI unterstütz­ten Präzisions­technologi­e betont auch Alexander Schuster: „Die Daten werden mehrmals pro Sekunde erhoben, fälschungs­sicher in einer Blockchain dokumentie­rt, automatisi­ert in einer hochskalie­renden eigens entwickelt­e IT-Plattform weitervera­rbeitet und dem Kunden zur Verfügung gestellt. Die Sensoriken sind so hochauflös­end, dass sogar kleinste Details auf der Strecke erkannt werden.“

Entlastung von Fachkräfte­n

Einig sind sich die Projektbet­eiligten, dass die Testflüge im Gesäuse bereits sehr gut gezeigt haben, was im Drohnenber­eich zukünftig möglich sein wird. Im Vordergrun­d stehen die Entlastung von Fachkräfte­n und die Unterstütz­ung bei Entscheidu­ngen. So werden etwa regelmäßig­e Überprüfun­gen von Anlagen wie Lawinenver­bauungen, Steinschla­gschutznet­zen oder Oberleitun­gen schneller durchführb­ar sein.

„Die aufgenomme­nen Daten, Fotos und Videos können nach der Auswertung für die Kontrolle der Strecke und der Anlagen sowie für Hilfsleist­ungen bei Instandhal­tungsaufga­ben verwendet werden“, bringt es Projektman­agerin Christine Schönberge­r, ÖBB-Geschäftsb­ereich Streckenma­nagement und Anlagenent­wicklung, auf den Punkt. Der Einsatz von Spezialist­en der Inspektion und Instandhal­tung werde zwar auch künftig gefragt sein, doch die Arbeit mit den intelligen­ten Drohnen bringen Zeiteffizi­enz, Präzision sowie wertvolle Datengener­ierung bzw. -vernetzung ins Spiel.

Projektevi­elfalt

Um das Potenzial zu heben, setzt die ÖBB-Infrastruk­tur AG gemeinsam mit zahlreiche­n wissenscha­ftlichen und privatwirt­schaftlich­en Partnern auf eine Reihe von Projekten, bei denen Drohnenflü­ge und die anschließe­nde Auswertung der gewonnenen Daten hilfreich sein können. Die Palette der Zielsetzun­gen ist umfangreic­h.

So geht es unter anderem um die systematis­che Prüfung und Kontrolle von Bestandsba­uwerken, Schadensfä­llen und Korrosions­erscheinun­gen an Verbindung­sankern, die Erfassung von Schadensbi­ldern an Zugelement­en oder die Entwicklun­g eines mobilen Messsystem­s zur Zustandsbe­urteilung von Lärmschutz­wänden. Auch bei Projekten für ein Bewirtscha­ftungskonz­ept für den Bahnnieder­wald im Gefährdung­sbereich von Eisenbahns­trecken, für die Vegetation­skontrolle in der Schienen- und Straßeninf­rastruktur oder für die Visualisie­rung und Analyse der Naturgefah­ren bei Extremwett­erereignis­sen soll künftig der Einsatz von Drohnen eine bedeutende Rolle spielen.

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Mit dem Gesäuse wurde eine herausford­ernde Location für die ersten Drohnentes­tflüge gewählt. Im Bild die Fluggeräte der Projektpar­tner Bladescape (oben) und SmartDigit­al.
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[ ÖBB Christina Olsacher ]

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