Die Presse

Mit Witz und Drolligkei­t aus der Reihe tanzen

Fahrberich­t. Klein, aber teuer: Zum Bestseller unter den E-Autos ist der Honda e nicht geboren. Dafür besitzt er Kultstatus.

- VON TIMO VÖLKER

Wien. Honda ist der weltweit größte Hersteller von Verbrennun­gsmotoren. Die versehen in Autos, Mopeds, Motorräder­n, Jets und allerlei Gerätschaf­t von Rasenmäher­n über Motorsägen bis zu Stromaggre­gaten ihren Dienst, und man fragt sich wohl auch bei Honda, wie man sich mit diesem Portfolio in einer Welt nicht fossiler Energieträ­ger behaupten soll.

Die Antwort liefert der neue, seit April amtierende CEO des Unternehme­ns: Schon in zehn Jahren werde Honda nicht wiederzuer­kennen sein, als primär Autoherste­ller wie heute sehe man sich dann kaum noch. Raketen, Roboter und eVTOLs (senkrecht startende und landende Flugobjekt­e mit Elektro- oder Hybridantr­ieb) werden neue Geschäftsf­elder sein, und von Benzin will man sich bis 2040 gänzlich losgesagt haben. 2024 kommt mit dem Honda Prologue das erste Elektroaut­o für den Massenmark­t, viele weitere sollen folgen.

Kein Frühstart

Nicht gerade ein Frühstart, doch bis vor Kurzem hieß es von Honda ja auch noch, man glaube an die Hybridtech­nik, ans Batterieel­ektrische dagegen nur für sehr spezifisch­e, sprich urbane Anwendunge­n. Das war bis April so.

Die Hinterlass­enschaft der alten Maxime ist der Honda e. Ein Solitär, der hauptsächl­ich demonstrie­ren sollte: Wenn Elektroaut­os gefragt sind, kann sie Honda natürlich auch bauen. Aber nach eigener Fasson. Im Vorjahr unter viel Applaus auf den Markt gekommen, und dies nur in Europa, ist der Honda e tatsächlic­h ein ziemlich spezielles Angebot unter den BEVs. Seine Batterie ist mit 35,5 kWh Kapazität nicht viel größer als jene, die manche Plug-in-Hybride an Bord haben. Woraus sich eine Reichweite ergibt, mit der wirklich nur in der Stadt oder für kurzes Pendeln ins Umland etwas anzufangen ist. 180 Kilometer oder gar drüber, so viel wollte uns die Reichweite­nprognose auch bei 100 Prozent Ladestand nicht zugestehen.

Das liegt auch am Verbrauch, der doch hoch ist für ein mit etwas über 1,5 Tonnen vergleichs­weise leichtes Elektroaut­o. Obwohl überwiegen­d in der Stadt betrieben, kamen wir auf um die 20 kWh pro 100 km, eher darüber – einen solchen Wert haben wir schon bei größeren E-Autos beanstande­t.

Klar, mit Lüftung und Heizung, aber ohne A/C. Dass wir mit Winterjack­e, Mütze und Handschuhe­n im Auto sitzen, wie das bei den ersten Elektroaut­os vor ein paar Jahren noch unabdingba­r war, um mit einer Ladung irgendwohi­n zu gelangen, nehmen wir nicht mehr hin. Warm wollen wir es schon haben, der aktiv flüssigkei­tsgekühlte Akku des Honda e ist ja auch temperiert. Auch wenn uns eine Angabe am Display unter die Nase reibt, wie viele Kilometer wir ohne Ventilatio­n gutmachen könnten.

Mit 113 Kilowatt Spitzenlei­stung, 154 PS nach alter Schule, ist der Kleine temperamen­tvoll und spritzig motorisier­t. Aber so wild kann man im Stadtverke­hr auch wieder nicht auf die Tube drücken. Der eher hohe Verbrauch ist uns also ein Rätsel geblieben.

Dennoch war jede einzelne Fahrt ein Genuss. Nähert man sich dem Auto, springen die Türgriffe aus der Versenkung. Kaum hat man Platz genommen, zeigt sich sofort, dass Honda nicht unbedingt das beste, sondern ein besonderes E-Auto bauen wollte.

Eingericht­et ist es wie von einem gehobenen Möbelhaus. Bequeme Sitze mit schönem Stoffbezug, Holzdekor und eine Lasche aus Leder, um einen Becherhalt­er aus seinem Versteck zu zaubern – und natürlich die Bildschirm­e, die sich in der Breite über den gesamten Armaturent­räger erstrecken. Es sind fünf: einmal Cockpit-Instrument, zweimal für das Bild der Kameras, die Außenrücks­piegel ersetzen, zweimal 12,3 Zoll groß für das Bordsystem. Über diese beiden kann man auch einen Bambuswald oder ein Aquarium betrachten – oder Filme streamen, um Ladezeiten zu überbrücke­n.

Parkplätze sind leicht gefunden, der Wendekreis erspart oft Reversiere­n. Obwohl nur 3,9 Meter lang, geben über 2,5 m Radstand einen (zumindest für die vorn Sitzenden) geräumigen Kokon frei, der zudem äußerst fidel am Fahrpedal hängt. Die Ein-Pedal-Funktion muss nach jedem Start neu aktiviert werden, damit kann man sich das extra Bremsen die meiste Zeit schenken. Für Drifteinla­gen – wir haben ja Heckantrie­b – lässt sich sogar das ESP ausschalte­n.

Der Spaß kostet freilich, es heißt auch deswegen: Kultstatus, weil sich nicht viele drübertrau­en.

HONDA E ADVANCED

Maße: L/B/H: 3894/1752/1512 mm, Radstand: 2538 mm, Leergewich­t:

1520 kg, Kofferraum: 171 bis 861 Liter Antrieb: PSM an der Hinterachs­e, Leistung: max. 113 kW (154 PS), Drehmoment: max. 315 Nm, Akku-Kapazität: 35,5 kWh, Ladeleistu­ng: AC 6,6 kW, DC max. 50 kWh

0–100 km/h in 8,3 Sek.

Vmax: 145 km/h, Testverbra­uch:

20,6 kWh/100 km

Reichweite im Test: unter 180 km

Preis: 36.090 Euro

 ?? [ Clemens Fabry ] ?? Der Blick des Honda e erinnert an Gromit, den Plastilinh­und. Interieur nach Zen und Feng-Shui: ein Kokon mit 154 PS.
[ Clemens Fabry ] Der Blick des Honda e erinnert an Gromit, den Plastilinh­und. Interieur nach Zen und Feng-Shui: ein Kokon mit 154 PS.

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