Familien-Tradition „an Board“
Rodeln. David Gleirscher erhielt zum Saisonstart am Olympia-Schauplatz Yanqing Einblicke in eine ganz andere Welt. Über brüderliche Rivalitäten im Eiskanal und Vergleiche zum Gold-Cup 2018.
Yanqing/Wien. In China nimmt man es ganz genau. „So viel Desinfektionsmittel habe ich noch nie eingeatmet“, sagt David Gleirscher. Seit Anfang November trainiert der Tiroler auf der nagelneuen Olympiabahn in Yanqing, wo am Wochenende auch der Start in die neue Weltcupsaison erfolgt. Gemäß dem strengen Corona-Protokoll wird nicht nur bis zum Mistkübel alles desinfiziert, sondern das Mittel mit einer Art Luftgebläse auch in Außenbereichen verteilt. „Sie sind schon extrem.“
Nach der ersten Selbstisolation ist inzwischen etwas Bewegungsfreiheit in der Unterkunft wieder erlaubt. Das Essen beim Buffet ist allerdings nach wie vor mit Handschuhen zu servieren und auf physisch getrennten Plätzen einzunehmen. Trotz dieser Umstände leidet der Spaß am Sport für Gleirscher, 27, nicht. „Wir sind einfach froh, wenn wir unsere Rennen fahren können.“Sechs Wochen wird das ÖRV-Team unterwegs sein, auf den Auftakt in China folgt eine Doppel-Veranstaltung in Sotschi.
Wie der Vater, so die Söhne
Fern der Heimat hat Gleirscher mit Bruder Nico, 24, zumindest eine kleine Familienabordnung zur Seite. Mit Madeleine und Selina Egle sowie Jonas und Yannick Müller sind noch zwei Geschwisterpaare im ÖRV aktiv. Das Gleirscher-Duo setzt die Tradition fort, die Vater Gerhard mit drei Olympia-Starts und WM-Teamgold 1997 begonnen hat. Seine Karriere bekamen sie in jungen Jahren nur am Rande mit, andere Sportarten waren interessanter, wie die Mutter gern erzählt. So fuhr David Gleirscher Skirennen, erst mit zwölf Jahren entschied er sich für die Rennrodel – nachdem er dem jüngeren Bruder zugeschaut hatte. „In gewisser Weise war er also mein Vorbild.“
Bald hatte der Ältere den Jüngeren überholt. 2013 debütierte David Gleirscher im Weltcup, fünf Jahre später katapultierte ihn Olympiagold in Pyeongchang über Nacht ins Rampenlicht. „Da habe ich gemerkt, dass das eine ganz eigene Nummer ist“, erinnert er sich. Verändert habe dieser Erfolg aber nicht allzu viel. „Menschlich hoffentlich sowieso, sportlich versuche ich die positive Erfahrung und das Selbstvertrauen mitzunehmen.“Am wichtigsten sei, Druck und Erwartungen von außen nicht an sich heranzulassen. Denn bis zum ersten Weltcupsieg musste sich der Olympiasieger noch bis Jänner 2020 gedulden.
Bei der WM zu Jahresbeginn folgte ein besonderes Podest: Erstmals teilte er es mit Bruder Nico, den WM-Titel im Sprint war er ihm als Drittplatzierter nicht neidig. „Es ist ein positiver Anreiz, wenn der kleine Bruder gut am Weg ist“, sagt der 27-Jährige. Eine besondere familieninterne Rivalität gebe es trotzdem nicht: „Wenn die Ampel am Start auf grün schaltet, dann ist es egal, wer gerade führt.“
Chinesische Extreme
Mit Sohn Leon, 4, fiebert die nächste Generation inzwischen vor dem Fernseher mit, wenn der „Papa mit dem blauen Helm“mit 130 km/h durch den Eiskanal rast. Als Olympiasieger durfte Gleirscher die mit 1600 Meter und 16 Kurven längste Kunsteisbahn der Welt – einem chinesischen Drachen nachempfunden
– in Yanqing schon 2020 auskundschaften, das Eisprofil habe sich im Vergleich völlig verändert. Noch läuft vor Ort nicht alles rund, das machte zuletzt der schwere Unfall eines polnischen Rodlers deutlich.
Mit Chinas Rodler haben die Österreicher in der ersten Woche trainiert, und sich auch ausgetauscht. „Das ist eine andere Welt: Einer hat erzählt, dass sie nur zwei Wochen im Jahr zu Hause sind.“Trotz des ausländischen Knowhows reiche es für Topzeiten noch nicht, der Fokus läge zunächst ohnehin darauf, einen der drei Startplätze für die Winterspiele zu ergattern. Die Rodler gelten als Österreichs olympische Medaillenbank, seit 1992 gab es stets zumindest ein Stück Edelmetall. Den Erfolg von 2018 zu wiederholen, empfindet Gleirscher weder als leichter noch schwieriger, nur eines steht fest: „Ich habe sicher in Korea die bessere Medaillenfeier erwischt.“
Wir sind einfach froh, dass wir hier unsere Rennen fahren können. Aber: So viel Desinfektionsmittel habe ich noch nie eingeatmet.
David Gleirscher Rodel-Olympiasieger 2018