Warum wir ohne Schlaf nicht auskommen
Biologie. Wozu wir schlafen müssen, war lang unklar. Die vielversprechendste Erklärung ließ sich nun durch Experimente stärken: Beschädigte DNA in den Neuronen wird repariert, ein Enzym managt den Prozess.
Napoleon war stolz darauf, mit wenig Schlaf auszukommen. Sechs oder noch mehr Stunden? Das sei etwas für „Idioten“. Verlorene Lebenszeit! Und man ist dabei schutzlos seinen Feinden ausgeliefert! Dennoch schläft alles, was ein Nervensystem hat, sogar Quallen, Würmer und Muscheln. Wenn auch mit einer großen Bandbreite: Nachtaffen brauchen 17 Stunden, wild lebende Elefanten nur zwei, wir Menschen sieben bis acht, Napoleon zum Trotz. Aber wozu? Warum sterben Lebewesen sehr bald, wenn man sie gar nicht schlafen lässt? Das konnten Biologen bis heute nicht wirklich klären.
Doch sie verfolgen seit Längerem eine besonders vielversprechende Spur: Die DNA in den Zellkernen wird laufend beschädigt, wobei ein oder sogar beide Stränge der Doppelhelix brechen. Diese Schäden müssen von speziellen Proteinen repariert werden. In reifen Neuronen, die sich nicht teilen, funktioniert das langsamer als in anderen Zellen. Die Folge: Die Schäden kumulieren sich – solang wir wach sind. Erst im Schlaf lassen sich alle nötigen Instandhaltungsarbeiten erledigen. Der israelische Neurobiologe Lior Appelbaum und sein Team haben schon nachgewiesen: Während des Schlafs bewegen sich die Chromosomen in den Kernen der Neuronen nicht langsamer, sondern schneller, was die Reparaturen irgendwie fördert. Nun haben sie zeigen können, wie das alles zusammenhängt und wodurch es gesteuert wird (Molecular Cell, 18. 11.). Ihre Studienobjekte erscheinen nur auf den ersten Blick wenig geeignet: die Larven von Zebrafischen. Aber diese Tierchen sind nicht nur praktischerweise völlig transparent, sie schlafen auch in der Nacht und haben ein Hirn, dessen Struktur – wenn auch sehr vereinfacht – der bei Säugetieren ähnelt. Die Forscher haben die Ergebnisse auch in Versuchen mit Mäusen repliziert und ergänzt.
Schlaf weckt die Chromosomen auf
Es zeigt sich: Zebrafische brauchen sechs Stunden Schlaf. Das Enzym PARP1, das auch die innere Uhr mit steuert und für das Langzeitgedächtnis gebraucht wird, dient hier als Manager des gesamten Prozesses. Diese Aufgabe dürfte es innehaben, seit es Organismen mit Nervensystem gibt, sie ist über die Evolutionsgeschichte unverändert geblieben. Das Enzym entdeckt Schäden und aktiviert in Sekundenschnelle zwei Reparaturproteine, schon im Wachzustand. Wenn sich die Schäden häufen, signalisiert es dem gesamten Organismus Schlafbedarf, und zwar immer dringlicher, je länger die Ruhe ausbleibt. In der Schlafphase intensivieren sich die Instandhaltungsarbeiten. PARP1 sorgt dann dafür, dass sich die Chromosomen schneller bewegen und Teile absondern. Das könnte zwei Gründe haben: Entweder ermöglichen sie damit den Reparaturproteinen einen leichteren Zugang zu den beschädigten Stellen, oder aber sie eilen zu „Reparaturwerkstätten“am Rande des Zellkerns. Jedenfalls ist die Dynamik ein Auslöser dafür, dass sich die Reparaturproteine in größeren Mengen zusammenfügen.
Wie haben die Forscher die Kausalitäten nachgewiesen? Durch Versuche, in denen sie etwa die DNA der Larven zusätzlich schädigten, die Schlafphasen durch Licht verkürzten oder die Wirkung von PARP1 unterdrückten. Letzteres passiert übrigens auch als Nebenwirkung in Krebstherapien bei Menschen: Die Patienten schlafen dann schlechter, fühlen sich aber im zu langen Wachzustand ständig erschöpft.
Allerdings haben Fische keine unterschiedlichen Schlafphasen (unruhiger REM-, ruhiger Non-REM-Schlaf ). Auch deshalb die ergänzenden Experimente mit Mäusen: In ihnen ließ sich zeigen, dass die Hemmung von PARP1 auch die Tiefe und Qualität des Schlafs beeinträchtigt.